Der Bund hat sich während der Pandemie 61 Millionen Dosen Covid-19-Impfstoff von sechs verschiedenen Herstellern gesichert. Wie viel Steuergelder dafür aufgewendet wurden, ist bis heute unbekannt.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Vereinbarungen mit den Pharmakonzernen Astrazeneca, Curevac, Janssen Pharmaceutica, Moderna, Novavax und Pfizer bisher nur stark zensiert herausgerückt. Zentrale Punkte wie etwa die Preis- und Zahlungsinformationen wurden geschwärzt.
Adrian Lobsiger (64), Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (EDÖB), ist der Meinung, dass die Schwärzungen nicht vereinbar seien mit dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ). In einer Empfehlung vom 23.November 2023 hielt Lobsiger die Behörde deshalb dazu an, die Impfstoffverträge offenzulegen, namentlich die Beschaffungskosten.
Doch das BAG von Direktorin Anne Lévy (52) will davon nichts wissen. In sechs gleichlautenden Verfügungen, die Blick vorliegen, schrieb die Behörde am 22. Dezember 2023: «Entgegen der Empfehlung des Beauftragten (...) hält das BAG an den Schwärzungen (...) fest.»
Die Gründe dafür beschreibt das Amt auf 13 Seiten. Das Kernargument: Bei Vertragsabschluss habe die Schweiz sowohl den Impfstoffherstellern als auch den Partnerstaaten Frankreich und Schweden Vertraulichkeit zugesichert, über die ein Teil der Impfdosen beschafft worden waren.
Sollte die Schweiz dieses Versprechen nun brechen, würden die Vertragspartner in Zukunft nicht mehr mit der Schweiz verhandeln wollen. Laut BAG wäre der Bund deshalb bei einer nächsten Krise nicht mehr in der Lage, benötigte Impfstoffe oder Medikamente zu beschaffen – was wiederum die «zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen» beeinträchtigen würde.
BAG argumentiert fragwürdig
Die Verantwortlichen betonen zudem, dass die Details der Impfstoffverträge auch in anderen Staaten nicht offengelegt worden seien: «Ein Abweichen würde (...) die Europäische Kommission sowie die EU-Mitgliedsstaaten und insbesondere die Partnerstaaten Frankreich und Schweden brüskieren.» Eine Offenlegung laufe deshalb den «aussenpolitischen Interessen» der Schweiz zuwider.
Weiter führen die Beamten den Schutz der «Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse» der Pharmafirmen ins Feld. Dazu heisst es wörtlich: «Durch die Offenlegung entstünde zum Nachteil der angehörten Person (die Impfstoffhersteller, die Redaktion) ein verstärkter Wettbewerb, woraus ein geringerer Preis auf dem Markt resultieren würde.»
Es ist ein fragwürdiges Argument, hat ein transparentes Beschaffungswesen doch das Ziel, dass ein funktionierender Wettbewerb und tiefe Preise entstehen.
EDÖB-Lobsiger konnte mit dieser Argumentation denn auch wenig anfangen: «Die Begründung lässt nicht erkennen, worin genau eine Wettbewerbsverzerrung bei der Offenlegung des Preises (...) in einem staatlich kontrollierten Markt besteht», schrieb er in der Begründung seiner Empfehlung. Zudem merkte er spitz an, dass das Argument des angeblichen «Wettbewerbsnachteils» für alle sechs Impfstoffhersteller angeführt werde. Im Umkehrschluss bedeutet das: gleich lange Spiesse für alle, ein fairer Wettbewerb.
Dass der Fall «eine wesentliche aussenpolitische Komponente» aufweise, bestritt Lobsiger nicht. Seiner Meinung nach gelang es dem BAG aber nicht, konkret und plausibel darzulegen, inwiefern durch eine Offenlegung der Verträge die «aussenpolitischen Interessen» der Schweiz beeinträchtigt werden könnten.
Es könnte sich um Steuergelder in Milliardenhöhe handeln
Zudem hält er unmissverständlich fest, dass von den Schwärzungen, welche die EU vorgenommen hat, keine Rechtfertigung für die Schwärzung der Verträge in der Schweiz abgeleitet werden könnten – zumal zu den EU-Verträgen ebenfalls Rechtsverfahren hängig seien.
Zum Punkt, wonach eine Offenlegung die «zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen» beeinträchtigen würde – also Beschaffungen bei einer nächsten Krise – äusserte sich Lobsiger nicht. Diesen Artikel, dessen Erfüllung eine Ausnahme vom Öffentlichkeitsgesetz rechtfertigen würde, hat das BAG erst jetzt im Nachgang des Schlichtungsverfahrens ins Feld geführt.
Die Verfügung des BAG kann nun vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten werden. Ob das geschehen wird, ist unklar. «Damit der Fall überhaupt angenommen wird, muss ich als Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss von bis zu 5000 Franken leisten», sagt Rémy Wyssmann (56), neu gewählter SVP-Nationalrat und einer der involvierten Gesuchsteller.
Doch damit nicht genug: Sollte das Bundesverwaltungsgericht – und am Ende das Bundesgericht – im Sinne des BAG und der Pharmakonzerne entscheiden, müssten die Beschwerdeführer zusätzlich deren Anwaltskosten übernehmen. «Das kann schnell mehrere Zehntausend Franken kosten», so Wyssmann.
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Um die finanziellen Risiken zu minimieren, erwägt er deshalb, sich auf einen Impfstoffvertrag zu fokussieren. Zudem würde er sich gerne mit anderen Gesuchstellern koordinieren. Wyssmann: «Der EDÖB hat uns recht gegeben. Jetzt dürfen wir uns durch die zusätzlichen Hürden nicht davon abhalten lassen, von den Behörden Transparenz einzufordern.»
Aller Wahrscheinlichkeit nach geht es um Steuergelder von weit mehr als einer Milliarde Franken.