Chefarzt kritisiert Spitalfinanzierung über die Börse
«Politik erwartet, dass die Behandlung von Kranken Gewinne bringt»

Mediziner Christoph Gubler (58) beobachtet eine fortschreitende «Kommerzialisierung» seiner Branche. Ein Beispiel dafür: Spitäler finanzieren sich vermehrt über den Kapitalmarkt – und nicht mehr über die öffentliche Hand.
Publiziert: 24.03.2024 um 18:57 Uhr
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Christoph Gubler ist Chefarzt Gastroenterologie in einem grossen Zürcher Spital und setzt sich als Vorstandsmitglied der «Akademie Menschenmedizin» für ein «menschengerechtes» Gesundheitswesen ein.
Foto: Philippe Rossier
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Das Schweizer Gesundheitssystem ist teuer – und belastet das Portemonnaie der Bevölkerung Jahr für Jahr mehr. Hauptgrund dafür sind (neben der Alterung der Gesellschaft und dem medizinischen Fortschritt) die komplexen Beziehungen zwischen Patienten, Medizinern, Spitälern, Pharmaindustrie und Versicherungen. Es bestehen zahlreiche Fehlanreize und fragwürdige Vorgaben, die dafür sorgen, dass das Kostenwachstum kein Ende findet. Ein kaum beachtetes Beispiel dafür: die Spitalfinanzierung über den Kapitalmarkt.

Seit 2012, nach einer Revision des Krankenversicherungsgesetzes, finanzieren sich Spitäler vermehrt über Anleihen, die an der Schweizer Börse platziert werden. Meist brauchen sie das Geld, um grosse Renovationen oder Neubauten zu bezahlen.

Das Problem dabei: Die Gesundheitseinrichtungen bezahlen bei der Kapitalaufnahme über die Börse höhere Zinsen, als wenn sie das Geld – wie früher – direkt von der öffentlichen Hand erhalten würden.

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Dabei geht es um Millionenbeträge, wie ein Beispiel aus dem Kanton Bern zeigt: Das Regionalspital Emmental, vollständig im Besitz des Kantons, hat 2023 eine 4-jährige Anleihe über 55 Millionen Franken herausgegeben und bezahlt den privaten Investoren 3 Prozent Zins. Pro Jahr sind das 1,65 Millionen Franken, über die volle Laufzeit 6,6 Millionen Franken. Der Kanton Bern selbst hat im selben Jahr eine 7-jährige Anleihe über 200 Millionen Franken herausgegeben, muss dafür aber nur 1,45 Prozent Zins bezahlen – also nicht einmal die Hälfte. Hätte der Kanton 55 Millionen Franken mehr aufgenommen und das Geld in Form eines zinslosen Darlehens dem Regionalspital überlassen, wären den Steuer- und Prämienzahlern Zinszahlungen in Millionenhöhe erspart geblieben.

In den Kantonen Aargau und Zürich gibt es ähnliche Beispiele aus früheren Jahren.

Kommerzialisierung der Medizin

Christoph Gubler (58), Chefarzt Gastroenterologie bei einem grossen Zürcher Spital, kritisiert die Spitalfinanzierung über den Kapitalmarkt scharf: «Das zeigt, wie weit die Kommerzialisierung der Medizin in der Schweiz fortgeschritten ist.» Gubler spricht als Vorstandsmitglied der Akademie Menschenmedizin, die sich für Veränderungen im Schweizer Gesundheitswesen einsetzt. Das Ziel des Vereins: «Weg von Problemen, die durch politische Einzelentscheide ohne umfassende Vision entstanden sind, hin zu einem menschengerechten Gesundheitswesen.»

Dass das Finanzierungskonzept, das sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat, ein solcher «Einzelentscheid» ist, bestreiten die Spitäler und deren Eigner, die Kantone. Sie verteidigen die Kapitalaufnahme an der Börse mit folgenden Hauptargumenten: Einerseits erhöhe dies die Unabhängigkeit von der Politik. Und zudem werde dadurch verhindert, dass die öffentlichen Spitäler gegenüber privat geführten Gesundheitseinrichtungen einen Wettbewerbsvorteil hätten.

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern hält dazu stellvertretend fest: «Die Spitäler sollten flexibler und politisch unabhängiger reagieren können, denn der zunehmende Wettbewerb erforderte und erfordert agiles, unternehmerisches Handeln.»

Ökonom sieht es positiv

Stefan Felder (64), Gesundheitsökonom mit eigener Professur an der Universität Basel, argumentiert ähnlich. Er ist ebenfalls der Überzeugung, dass die positiven Aspekte der selbständigen Kapitalbeschaffung überwiegen: «Die Finanzierung über den Kapitalmarkt ist zwar mit höheren Kosten verbunden, sorgt aber dafür, dass die öffentlichen Spitäler wirtschaftlicher denken und arbeiten müssen – und keinen Wettbewerbsvorteil geniessen gegenüber Privatkliniken.»

Bei Finanzierungskosten, die zu gering sind, würden Spitäler dazu verführt, unnötige Investitionen zu tätigen, die zu Überkapazitäten führten, so Felder. «Im Grundsatz ist es deshalb zu begrüssen, dass die Kantone bei der Spitalfinanzierung weniger stark eingebunden sind als früher.»

Gubler von der Akademie Menschenmedizin überzeugt diese Argumentation nicht. Ihm ist es ganz generell ein Dorn im Auge, dass die Schweizer Politik von den Spitälern erwartet, dass sie mit der Behandlung von Kranken Gewinne erzielen. «Diese sollen so hoch sein, dass damit nicht nur grosse Bauprojekte finanziert werden können, sondern dass für Investoren auch noch eine Rendite herausschaut. Das kann es doch nicht sein.»

Banken wittern ein gutes Geschäft

Tatsächlich werden die Anleihen der Spitäler von den Banken als attraktive und vor allem sehr sichere Investitionsmöglichkeiten angepriesen. Die Zürcher Kantonalbank hielt vor einigen Monaten in einer Branchenstudie fest: «Vor allem die öffentlichen Spitäler haben eine Bonitätseinschätzung, die besser ist, als ihre wirtschaftlichen Kennzahlen erwarten lassen. Das liegt daran, dass man wegen der strukturellen Bedeutung dieser Spitäler für die Bevölkerung von einer impliziten Staatsgarantie für sie ausgeht.»

Für die Investoren bedeutet das: Sie profitieren bei Spital-Anleihen von höheren Zinssätzen, als wenn sie in eine Anleihe eines Kantons investieren würden – geniessen aber praktisch die gleiche Sicherheit.

Für Gubler ist klar: «Die Schweiz tut so, als wäre die Gesundheit ein Gut wie jedes andere.» Dabei sollte es seiner Meinung nach sonnenklar sein, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachpersonen dazu da sind, um den Menschen zu helfen – und nicht um Geld zu verdienen. Er plädiert deshalb dafür, dass die öffentliche Hand den Ausbau der Gesundheits-Infrastruktur zu bestmöglichen Konditionen unterstützen sollte.

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