Neue Studie zeigt
Ärzte und Spitäler wollen drei Milliarden zu viel

Es wird viel zu viel Geld für Gesundheitsleistungen in Rechnung gestellt. Würde das alles bezahlt, müssten die Prämien 10,5 Prozent höher sein.
Publiziert: 12.08.2018 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 06.10.2018 um 22:00 Uhr
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Ärzte in den Spitälern operieren mit dem goldenen Skalpell.
Foto: Illustration: Lily Metzker
Moritz Kaufmann

Probieren kann man es ja mal: die Rechnung einschicken und abwarten. Vielleicht zahlt die Kranken­kasse. Passieren kann einem sowieso nichts.

So denken Patienten. Aber auch Spitäler und Ärzte. Sie alle schicken ihre Rechnungen an die Versicherer. Die schauen dann, ob die Rechnung gültig ist. Erschreckend oft ist sie es nicht. Hochgerechnet auf die ganze Branche, bleiben allein im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung jährlich Rechnungen im Wert von drei Milliarden Franken hängen. Rechnet man die Zusatzversicherung hinzu, sind es sogar 3,5 Milliarden. Würden all diese Rechnungen tatsächlich bezahlt, würden unsere Krankenkassenprämien um ganze 10,5 Prozent höher liegen!

So geht es aus einer erstmals erstellten Studie des Krankenkassenverbandes Santésuisse hervor, durchgeführt vom Institut für Wirtschaftsstudien Basel, die SonntagsBlick vorliegt. Befragt wurden Santésuisse-Mitglieder, also die Krankenkassen. Sie antworteten auf Basis ihrer Erfahrungen im Jahr 2016.

«Ärzte und Spitäler wissen sehr genau, was sie abrechnen dürfen»

Die Kassen sind dafür zuständig, jede einzelne Rechnung zu prüfen. Pro Jahr werden 107 Mil­lionen davon bei den Kranken­kassen eingereicht. «Die Probleme bei der Rechnungskontrolle sind völlig unterschiedlich. Wir unterscheiden grob zwischen drei Kategorien», sagt Jürg Vontobel (53), Chef des Bereichs Leistungen und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Luzerner Krankenkasse Concordia.

Kategorie eins: nicht versicherte Leistungen. Etwa Zahnarztrechnungen, die der Patient einsendet, obwohl er gar keine Zahnversicherung hat.

Kategorie zwei betrifft Wirksamkeit, Zweck und Wirtschaftlichkeit einer medizinischen Leistung. Beispiel: War eine Therapie sinnvoll, hat sie etwas gebracht?

Kategorie drei – und hier wirds interessant: Fehler auf Rechnungen, die im wesentlichen Ärzte und Spitäler ausgestellt haben. Letztere verursachen mit rund 40 Prozent den grössten Kostenblock in der obligatorischen Krankenver­sicherung.

Concordia-Experte Vontobel, der selber Arzt ist: «Das Schweizer Gesundheitssystem ist sehr kompliziert. Wir werfen einer Einzelperson nicht vor, dass sie sich bereichern will, wenn sie eine falsche Rechnung eingeschickt hat.» Aber: «Die Leistungserbringer wissen sehr genau, was sie abrechnen dürfen und was nicht.»

Spitäler gehen ans Äusserste

Auf die Frage, an wen die meisten Rechnungen retourniert werden, kam bei der Santésuisse-Studie am häufigsten die Antwort: an die Spitäler! Das deckt sich mit den Beobachtungen der Concordia. «Das Problem ist: Gerade die Spitäler sind unter Druck, die Einnahmen zu steigern. Sie haben den klaren Auftrag, mehr zu verdienen, um ihre Kosten zu finanzieren», sagt ihr Experte Vontobel.

Die Tarife für die medizinischen Leistungen liessen zwar einen gewissen Spielraum, aber: «Die Spitäler reizen diesen Spielraum aus, teilweise bis aufs Äusserste!», stellt der Concordia-Chefprüfer fest. Mehr noch: «Sie tauschen sich untereinander aus und lassen sich teilweise auch beraten, wie man möglichst hohe Rechnungen stellen kann.»

Kostendruck macht sich bemerkbar

Die Schweizer Krankenhäuser rechtfertigen sich. «Die Spitäler stehen heute unter dem Druck, dass sie seit der neuen Spitalfinanzierung die Investitionen selber tragen müssen», sagt Dorit Djelid (43), Direktorin des Spitalverbands H+, dem 226 Spitäler angeschlossen sind. Djelid weist die Vorwürfe zurück: «Es wird heute im Vergleich zu früher genauer und detaillierter abgerechnet, also korrekter, aber nicht mehr, als tarifarisch in Ordnung ist.»

Der Ärzteverband FMH wiederum stellt klar: «Selbstverständlich ist die FMH der Ansicht, dass es Pflicht der Leistungserbringer ist, korrekte und saubere Rechnungen zu stellen.» Die Pressestelle betont aber auch: «Santésuisse hat im Jahr 2016 knapp 0,3 Prozent der berufstätigen Ärzte in der Schweiz eingeklagt. Das sind 98 von 37000. Verurteilt wurden deutlich weniger als diese 0,27 Prozent.»

Kaum Möglichkeiten, gegen schwarze Schafe vorzugehen

Dem entgegnet Santésuisse-Direktorin Verena Nold (55): «Die Krankenkassen haben heute sehr wenige Möglichkeiten, gegen schwarze Schafe vorzugehen.» Das Ergebnis der Studie zeige, dass immer wieder versucht wird, das System auszureizen.

Gemäss der aktuellen Studie geben die Schweizer Krankenkassen jedes Jahr 414 Millionen Franken für das Prüfen von Rechnungen aus. Das ist viel Geld, offenbar jedoch für einen Aufwand, den man treiben muss. «Dass über zehn Prozent der Forderungen unberechtigt sind, gibt sehr zu denken», sagt Nold. Santésuisse hofft, dass die Öffentlichkeit aufgrund der Studie bei Arzt- und Spitalrechnungen genauer hinschaut. Und dass die Politik den Krankenkassen bessere Instrumente zugesteht, um die Rechnungen zu prüfen.

Denn wie gesagt: Probieren kann man es ja mal.

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