Auf einen Blick
In den Finanzforen war schon immer viel Lärm, wenn es um Meyer Burger geht. Dieser Tage sind die Töne noch schriller. Ein Investor stöhnt im Cash.ch-Forum: «Eine Geschichte der unerfüllten Versprechen – ich hab alles verloren.» Im Telegram-Kanal «Meyer Burger – Shareholder» zeigt ein anderer Galgenhumor: «Sollte es zu keiner Insolvenz kommen, geht der Kurs steil durch die Decke. Achtung, Ironie, keine Anlageberatung.»
Mit jedem Tag schwindet die Hoffnung, dass die finanziell angeschlagene Firma aus der Misere findet. Eigentlich wäre Meyer Burger mit 100 Millionen Franken neuem Kapital auf einen Aufwärtspfad zu führen gewesen, doch seit ihr grösster Kunde, D. E. Shaw Renewable Investments (Desri), vor wenigen Tagen sämtliche Lieferverträge per sofort kappte, macht sich Katerstimmung breit. Die Solarfirma, die von der «Renaissance der Solarproduktion in Europa» schwärmte, steht vor dem Aus.
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Unter den Aktionären und Aktionärinnen ist die Meinung gemacht – abzulesen am Aktienpreis, der seit Anfang Jahr 99,3 Prozent verloren hat. Es war lange ein Liebhabertitel: Viele Familien aus dem Bernbiet hatten die Aktie im Portfolio, darunter ehemalige Mitarbeitende, dazu KMU-Investoren, die von der Idee beseelt waren, die Konkurrenz aus China mit einem Schweizer Qualitätsprodukt zu kontern. In jüngster Zeit aber sind die meisten mit Verlust abgesprungen. «Ich war leider auf beiden Augen blind», sagt ein Anleger.
Viele Schuldige
Es gibt viele Schuldige: ein Hüst und Hott bei der Strategie, fehlendes Kapital, ausbleibende Subventionen und der Preiszerfall bei den Modulen. Kostete das Solarpanel vor einem Jahr noch 140 Franken, ist es heute für 30 Franken zu haben. Morgen wird es wohl noch billiger sein, denn per Flieger wird aus Fernost containerweise Ware angeliefert. 6 Rappen pro Watt ist zurzeit das Preisniveau, vor einem Jahr waren es noch 18 Rappen. «So tief war es noch nie», sagt ein Unternehmer, der lange investiert war.
Selbst die Solargiganten aus China – Longi, Jinko oder Aiko – brechen trotz Milliardenumsätzen beim Gewinn ein. Zudem können sie wegen Zöllen und Importquoten in den USA ihre Ware dort nicht mehr so einfach abstossen, also wird sie in Europa und neuerdings in Afrika verhökert. Das Discounting macht es für Meyer Burger noch schwieriger, rentabel zu wirtschaften. Es bleiben nur noch wenige Lösungswege aus der Finanzlücke:
- Kapitalerhöhung: Grossaktionär Pjotr Kondraschew hat kaum mehr Interesse, weitere Millionen in die Firma zu stecken. Bereits vor Wochen hat sich sein – unabhängiger – Vertreter aus dem Verwaltungsrat zurückgezogen. Ein Signal, dass er bei einer Kapitalerhöhung nicht mehr mitziehen will. Ohnehin dürfte die Lust der Aktionärinnen und Aktionäre klein sein, an einer ausserordentlichen GV die nächste Kapitalerhöhung durchzuwinken. «Ein No-Go», sagt ein Beteiligter.
- Insolvenz: Auf Börsennews.de schreibt ein Anleger: «Ich schätze, dass der Insolvenzantrag bald kommt.» Eine mögliche, aber schlechte Lösung. Denn dann würden die Konkursrichter in den USA und in Deutschland übernehmen und die Assets in geordneten Bahnen verkaufen. Dieser Prozess könnte sich in die Länge ziehen, der Wert der Anlagen würde weiter sinken. Die Aktionäre und Aktionärinnen müssen ohnehin mit einem Totalverlust rechnen.
- Verkauf: Dieser wäre möglich, allerdings gibt es Restriktionen, insbesondere bei Kaufinteressenten aus China. Die Produktionswerke von Meyer Burger stehen in Deutschland und im US-Bundesstaat Arizona. Der Verkauf einer Hightechproduktion in den USA ist in der aktuellen politischen Lage nur schwer vorstellbar. Das dürfte in Deutschland eher möglich sein, um Arbeitsplätze zu retten und allenfalls noch etwas für die einst gewährten Subventionen zurückzuerhalten. Bedroht wären in der Schweiz wohl 80 Fachkräfte in Thun BE (Hauptsitz, Forschung) und in Hauterive NE (Forschung).
- Schrumpfen: Es gibt Investoren, die von einer Meyer Burger 2.0 träumen, nachdem der grösste Kunde abgesprungen ist – nach dem Motto «Klein, aber fein». Der Weg in die Nische wäre aber eine nächste Volte in der Geschichte der Solarfirma, die nun auf Masse aufgestellt ist. Zudem müsste die Effizienz der Solarmodule weit über jener der Konkurrenz stehen, tut sie aber nicht. «Statt Mengenexpansion und ständiger Strategieänderungen hätte man lieber ins Branding und in die Beziehungspflege mit Installateuren investiert», kritisiert ein ehemaliger Investor auf Börsennews.de.
- Verscherbeln: Die Produktionen in den USA und in Deutschland gelten als technisch top, zumal millionenschwere Investitionsprogramme zum grossen Teil kürzlich abgeschlossen wurden. Mit dem Verkauf des Panellagers in Deutschland könnten 30 bis 35 Millionen gelöst werden. Die Fabrik in Freiberg, die im Besitz von Meyer Burger ist, würde 10 bis 15 Millionen bringen, die Zellproduktionslinie 15 Millionen, das Fabrikinventar in den USA 40 Millionen – unter dem Strich kämen also insgesamt 100 Millionen zusammen. In der Schweiz ist derweilen nichts zu holen. Den Firmensitz in Thun hat man bereits 2019 an einen Immobilieninvestor verkauft. Schon damals schrieb man Verluste – es fehlte das Geld.