Die Schweizer Hotellerie erlebt einen regelrechten Gästeansturm. Die Übernachtungszahlen liegen im bisherigen Jahresverlauf gar höher als 2019 vor der Corona-Pandemie. Die Branche befindet sich auf Rekordkurs, die Stimmung ist gut. Euphorie ist aber nicht zu spüren, und das hat seine Gründe. Die Schweizer Gäste reisen wieder vermehrt ins Ausland. Das bekommen vor allem die Betriebe in der Bergregion zu spüren.
Ein Trend, der sich im Herbstgeschäft fortsetzen dürfte, wie eine Umfrage von Blick zeigt. «Der Flughafen ist unser Gegner in den Schweizer Alpen, gegen den wir ankommen müssen», sagt Ernst «Aschi» Wyrsch (61), Präsident von Hotelleriesuisse Graubünden. Bei den Bündner Hotels seien für die Herbstferien bis anhin 7 Prozent weniger Buchungen als im Vorjahr eingegangen. Dieser Rückgang ist auf die Schweizer Gäste zurückzuführen. Bei den ausländischen Gästen verzeichnen die Beherberger ein leichtes Plus.
Das Fernweh der Schweizer Gäste macht sich in der ganzen Schweiz bemerkbar: Im August konnten die Hotels 5,6 Prozent weniger Inlandgäste begrüssen.
Abnahme auf hohem Niveau
Seine Laune lässt sich Wyrsch davon aber nicht verderben. «Wir müssen auch sehen, dass wir im Kanton Graubünden im letzten Jahr super Zahlen hatten und auf einem sehr hohen Niveau verlieren.» Der Hotelierspräsident sieht auch im wachsenden Gästemix seine Vorteile: «Die Zunahme bei den ausländischen Gästen macht die Arbeit den Betrieben interessanter.»
Inflation, Massentourismus, Personalmangel und die Mittelmeerkonkurrenz
Im Gegensatz zum Graubünden konnte die Walliser Hotellerie bei den Logiernächten in diesem Sommer zulegen. «Im Herbst rechne ich mit einem ähnlichen Geschäft wie im letzten Jahr. Jedoch gibt es zwischen den Destinationen grosse Unterschiede. Und viele Gäste buchen sehr kurzfristig, je nachdem, wie das Wetter ist», sagt Olivier Andenmatten (47), Co-Präsident des Walliser Hoteliervereins. Von dieser Kurzfristigkeit können die Hotels in einigen Fällen profitieren. Immer mehr Gäste würden ihren Aufenthalt spontan vor Ort verlängern.
Zimmer für kurzfristige Buchungen gibt es in allen Kantonen noch genug.
Berner Oberland auf Rekordkurs
Doch auch die Walliser spüren, dass die Schweizerinnen und Schweizer vermehrt ins Ausland fliegen. Darunter haben in den letzten Monaten auch die Seilbahnen gelitten. Die Bähnli-Nation fehlt in den Gondeln. Trotzdem bleiben die inländischen Gäste wichtig: «Im Herbst machen sie 65 bis 70 Prozent unserer Gäste aus», sagt Andenmatten.
Geradezu euphorisch äussert sich Stefan Grossniklaus (51), Präsident von Hotelleriesuisse Berner Oberland: «Nach aktuellen Stand legen wir im Herbst noch mal zwischen 5 und 10 Prozent zu. Dabei hatten wir im Sommer und Herbst 2022 bereits Rekordzahlen.» Die Betriebe im Berner Oberland kommen für knapp 80 Prozent der Hotelübernachtungen im ganzen Kanton auf. Auch im Kanton Bern wird die Bilanz durch das Ausland aufpoliert. Gerade Gäste aus Asien, dem arabischen Raum und den USA sind wieder auf den Geschmack gekommen. Destinationen mit hohem Schweizer Gästeanteil hingegen müssen ein wenig Luft lassen.
Teurere Ferien, gute Zukunftsaussichten
Gäste müssen für ihre Ferien in der Schweiz heuer tiefer in die Taschen greifen: Im Graubünden kostet die Übernachtung im Schnitt 3,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Wallis liegen die Aufschläge je nach Betrieb und Zimmerkategorie zwischen 2 und 5 Prozent. Und auch Berner Oberland kosten die Ferien etwas mehr. «Die Betriebe haben wegen der Inflation im Einkauf oder beim Strom Mehrkosten, die sie zum Glück zu einem Teil auf die Gäste abwälzen können», sagt Grossniklaus.
Vom Anstieg der ausländischen Gäste profitiert gerade der Städtetourismus im grossen Mass. Die Hotels im Kanton Zürich legten im Juli um 12 Prozent zu. Dazu beigetragen hat ebenso die Zunahme bei den Geschäftsreisen. Auch Luzern oder Basel-Stadt legten zu.
Das Herbstgeschäft dürfte darüber entscheiden, ob die Schweizer Hotellerie in diesem Jahr tatsächlich 2019 übertrifft. Falls es heuer nicht klappt, stehen die Chancen trotzdem gut, dass der Rekord mittelfristig purzelt. In den künftig zu erwartenden Hitzesommern könnte gerade die Bergregion mit angenehmeren Temperaturen dem Fluggeschäft Inlandgäste abjagen.