Mitte Juli forderte Bill Browder (59) vor der Helsinki-Kommission des amerikanischen Kongresses, drei Vertreter der Schweizer Justiz auf die US-Sanktionsliste zu setzen – unter ihnen Ex-Bundesanwalt Michael Lauber (57). Die Kommission stimmte zu und empfiehlt der US-Regierung nun, Browders Begehren zu folgen.
Wer ist Bill Browder? Und warum will er drei Schweizer auf eine Liste hieven, die gespickt ist mit kriminellen Regime-Vertretern aus Autokratien wie Russland, Venezuela und Iran?
Der grösste Kapitalist Russlands
Der studierte Ökonom kam 1964 in Chicago (USA) zur Welt. Sein Grossvater Earl Browder führte in den 1930er-Jahren die Kommunistische Partei der USA an und kandidierte zweimal für die US-Präsidentschaft. Als 1989 die Berliner Mauer fiel, zog sein Enkel Bill nach Moskau. «Mein Grossvater war der grösste Kommunist der USA», sagt Browder im Gespräch mit SonntagsBlick. «Ich wollte der grösste Kapitalist in Russland werden.»
Mit seiner Finanzgesellschaft Hermitage Capital Management wurde Browder zumindest der grösste ausländische Investor jenseits des Urals. Er erwarb Anteile an korrupt geführten Unternehmen und stellte die Verfehlungen öffentlich bloss. Die anschliessenden Korrekturen steigerten den Wert der Firmen. Als Wladimir Putin (70) im Jahr 2000 an die Macht kam, unterstützte er den Investor. «Wir hatten das gleiche Interesse», sagt Browder. «Wir legten den Oligarchen Zügel an.» Aber dann habe Putin die Besitztümer der Oligarchen an sich gerissen. «Nun standen meine Aktivitäten seinen Interessen im Weg.»
2005 erlässt Putin ein Einreiseverbot für Browder. Zwei Jahre später stürmt die Polizei dessen Moskauer Büros. Browders Unternehmen wird liquidiert. Kurz darauf fordert eine Bande von Kriminellen und korrupten Beamten vom russischen Staat Steuerrückzahlungen im Namen der – aufgelösten – Hermitage Capital Management und ergaunert sich so 230 Millionen Dollar.
Kampf gegen Korruption
Browders ehemaliger Mitarbeiter Sergei Magnitski deckt den Skandal auf. Kurz darauf wird Magnitski festgenommen – und stirbt 2009 in einem Moskauer Gefängnis. Die Umstände sind ungeklärt. Bill Browder sagt: «Sergei Magnitski wurde 358 Tage lang gefoltert und schliesslich ermordet. Sein Tod hat mein Herz gebrochen und mein Leben verändert.»
Tatsächlich gibt Browder nach Magnitskis Tod seine Geschäftstätigkeit auf und setzt sein Vermögen dafür ein, die Verantwortlichen des Korruptionsskandals zur Rechenschaft zu ziehen. Er folgt der Spur des Geldes, das auf Bankkonten rund um den Globus fliesst. 18 Millionen Dollar landen auf Konten von UBS und Credit Suisse in der Schweiz, wo Browder 2011 Strafanzeige wegen Geldwäscherei erstattet.
Schwere Vorwürfe gegen die Schweiz
Die Bundesanwaltschaft eröffnet ein Verfahren und spricht Browder den Status eines Privatklägers zu. Doch der damalige Bundesanwalt Michael Lauber, Staatsanwalt Patrick Lamon und Fedpol-Mitarbeiter Vinzenz Schnell lassen sich von den russischen Justizbehörden einwickeln. Sie machen Ausflüge an den Baikalsee und gehen in Sibirien auf Bärenjagd. Der Fedpol-Mann wird deshalb wegen Vorteilsnahme verurteilt.
Nach zehn Jahren ergebnisloser Untersuchung stellt die Bundesanwaltschaft das Verfahren 2021 ein. Von den 18 Millionen Dollar auf den Schweizer Bankkonten sollen 14 nach Russland zurückfliessen. Im gleichen Atemzug spricht die Bundesanwaltschaft Bill Browder den Privatkläger-Status wieder ab. So kann er die Einstellung des Verfahrens nicht mehr anfechten.
Deshalb fordert Browder nun die USA auf, die drei Schweizer Justizvertreter wegen Korruption zu sanktionieren. «Die Schweiz schafft es nicht, mit ihnen angemessen zu verfahren», sagt Browder. «Sie ist nicht imstande, im Fall von Sergei Magnitski für Recht zu sorgen.»
Browder revolutionierte das Sanktionssystem
Dass sich stattdessen eine fremde Regierung darum kümmern soll, liegt nicht einfach auf der Hand. Browder selbst hat die Basis dafür geschaffen, als er 2012 den US-Kongress dazu brachte, das Magnitski-Gesetz zu verabschieden. Es ermöglicht der amerikanischen Regierung, in den Magnitski-Fall involvierte Ausländer finanziell zu sanktionieren und mit einem Einreiseverbot zu belegen. 2016 wurde das Gesetz auf generelle Menschenrechtsverstösse und Korruption ausgedehnt.
Seither hat Bill Browder in 35 Staaten Magnitski-Gesetze durchgebracht. So sei er «Putins Staatsfeind Nr. 1» geworden, sagt der Aktivist. Vor allem aber hat er damit das moderne internationale Sanktionssystem geprägt.
Wirtschaftliche und militärische Sanktionen gegen Staaten gibt es seit der Antike. Doch erst 1993 geraten erstmals Individuen ins Visier, als der Uno-Sicherheitsrat Privatvermögen von Offizieren des Militärregimes in Haiti blockieren will – allerdings ohne Erfolg.
Auch die finanziellen Massnahmen der internationalen Gemeinschaft gegen mutmassliche Terroristen nach den Al-Kaida-Anschlägen von 2001 erweisen sich als wenig wirksam. Ganz anders die gezielten individuellen Sanktionen im Fall Magnitski: Allein das amerikanische Magnitski-Gesetz führt zur Sanktionierung von über 600 Personen. Als Russland im Frühling 2022 schliesslich die Ukraine überfällt, ist der Beschluss individueller Sanktionen gegen Vertreter des russischen Regimes schon fast eine Selbstverständlichkeit.
Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht
Auch in der Schweiz hat Bill Browder für die Einführung des Magnitski-Gesetzes gekämpft – vergeblich. Jetzt drohen Vertreter des helvetischen Rechtssystems aufgrund des US-Magnitski-Gesetzes sanktioniert zu werden. Weil ihnen Korruption vorgeworfen wird – aber nicht, weil die Schweiz die Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs zu lasch umsetzen würde.
Diese Unterscheidung ist Browder wichtig. Er sagt aber auch: «Die Einstellung des Magnitski-Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft ist eine Beleidigung für andere Länder inmitten eines Kriegs, in dem die Überweisung solcher Gelder an Russland das Schlimmstmögliche ist, was ein Land tun kann.»
Das will Bill Browder immer noch verhindern. Er hat gegen den Entzug seines Privatkläger-Status im Magnitski-Fall Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Das Urteil von Lausanne wird mit Spannung erwartet – auch in den USA, wo die Regierung schon bald darüber befindet, ob sie ihre Sanktionsliste um drei Eidgenossen erweitert.