Ringen um schärfere Sanktionen gegen Putin
Der Schweiz droht neuer Ärger aus Washington

Ändert der Bund seinen Kurs nicht, wollen Aktivisten und US-Politiker das Land unter Druck setzen. Das Ziel: Schärfere Sanktionen gegen Putin.
Publiziert: 17.09.2022 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2022 um 08:20 Uhr
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«Die Schweiz sollte sich dem Rest der zivilisierten Welt angleichen», sagt Bill Browder.
Foto: Bloomberg via Getty Images
Simon Marti

Der Ständerat tagt oft abseits der Weltöffentlichkeit. Kommende Woche aber wird es ein wenig anders sein: Wenn die kleine Kammer darüber diskutiert, ob der Bund eigenständig Sanktionen gegen Staaten oder Personen ergreifen kann, welche die Menschenrechte verletzen, hört man in Washington interessiert zu. Und auch Bill Browder (58), in London ansässiger Unternehmer und Aktivist, blickt gespannt nach Bern.

Derzeit übernimmt die Schweiz lediglich Sanktionen der Uno oder der EU, beschliesst aber keine eigenen Massnahmen. Ein unhaltbarer Zustand, findet Browder: «Die Schweiz ist ein souveräner Staat, kein Ableger der EU oder der USA. Sie kann ihre eigenen Entscheide fällen.» Tut sie das nicht, könnte es bald ungemütlich werden, warnt er schon mal im Voraus.

Nun ist Browder nicht irgendein reicher Brite mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch, sobald von der Schweiz im Allgemeinen und der Neutralität im Besonderen die Rede ist. Der gebürtige Amerikaner versteht sich als Speerspitze in einem internationalen Kampf für Menschenrechte und gegen Geldwäscherei. Ein sehr persönlicher Feldzug, der mit dem Angriff der Russen auf die Ukraine noch grösseres Gewicht bekam.

Denn Browder hat die Skrupellosigkeit des Regimes selbst erlebt. Kurz nach dem Ende der Sowjetunion zog er nach Russland. Die Geschäfte liefen im wilden Osten der 90er-Jahre glänzend. Aber als er begann, Fälle von Korruption und Geldwäsche anzuprangern, drehte der Wind. Unter Wladimir Putin verabschiedete sich das Land in Richtung Autokratie, Browder wurde zur Persona non grata erklärt und konnte bald nicht mehr nach Russland einreisen. Sein Mitarbeiter Sergei Magnitski hatte weniger Glück. Er starb nach einer monatelangen, brutalen Haft im November 2009 in Moskau. Er wurde ermordet, das ist für Bill Browder erwiesen.

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Ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz?

In diesem Moment wandelte sich der Financier zum politischen Lobbyisten. Seine Bücher, in denen er sich unbescheiden «Putins Staatsfeind Nr. 1» nennt, sind Bestseller. Und sein Wort hat in Washington Gewicht. Auf sein Drängen hin verabschiedete der US-Kongress 2012 den Magnitski Act, durch welchen Personen, die mit dem Fall in Verbindung gebracht werden konnten, sanktioniert und zig Konten eingefroren wurden. Die Europäische Union und weitere Staaten zogen nach. Heute dient der Magnitski Act als Blaupause für die internationale Ahndung von Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen. So war das Gesetz wegweisend für die US-Sanktionen gegen China, als die Menschenrechtsverletzungen gegen die Minderheit der Uiguren publik wurden.

Das ist die Grössenordnung, in der Browder denkt. Mit Feinheiten hält er sich nicht auf.

«Die Schweiz sollte sich dem Rest der zivilisierten Welt angleichen, wenn es um das Geld von Diktatoren und Geldwäschern geht», sagt er im Gespräch mit SonntagsBlick. «Kein Parlamentarier wird auch nur eine Stimme verlieren, wenn er ein Gesetz unterstützt, das es erlaubt, Kleptokraten zu bestrafen und Menschenrechtsverletzungen zu ahnden.»

Noch im Juni sah es gut aus für die Befürworter der Reform. Der Nationalrat verankerte im Embargogesetz eine entsprechende Passage. Der Ständerat dürfte sich morgen Montag aber querstellen. Sowohl die Aussenpolitische (APK) als auch die Sicherheitspolitische (SiK) Kommission sprachen sich dagegen aus. Eine eigenständige Sanktionspolitik, «wäre in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Neutralität äusserst problematisch und würde ein Sicherheitsrisiko für die Schweiz darstellen», warnte die SiK in einem Mitbericht (SonntagsBlick berichtete). «Alles, was den ökonomischen Interessen der Schweiz dient, fällt unter die Rubrik Neutralität. Das scheint keine moralische Entscheidung zu sein», kritisiert Browder. Dass die Schweiz längst Sanktionen gegen Moskau umsetzt, lässt er nicht gelten. Ein viel zu geringer Anteil russischer Vermögen auf Schweizer Banken sei blockiert. Tatsächlich ist derzeit lediglich ein Bruchteil der über 200 Milliarden Franken schweren Konten eingefroren, wie aus den Zahlen der Bankiervereinigung hervorgeht.

«Auf dem besten Weg zu einem neuen Nazigold-Skandal»

Zielgenaue Sanktionen gegen diese Gelder und deren Besitzer sind für Browder zwingend. Sieht das Parlament davon ab, «wäre dies das Signal für die Russen, dass die Schweiz weiterhin ein sicherer Hafen für ihr dreckiges Geld ist». Dann würde die Schweiz zum Problem für die westliche Welt und die Bemühungen, Putin von seinen finanziellen Ressourcen abzuschneiden. «Die Schweiz muss Partei ergreifen. Sagt sie, sie sei neutral, steht sie auf der Seite Putins.»

Bereits im Frühling ging die sogenannte Helsinki Commission der US-Regierung hart mit dem Bund ins Gericht. Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein. Roger Wicker, Republikaner aus dem Bundesstaat Mississippi und Mitglied der Kommission, will nachlegen. «Senator Wicker ist auf dem Kriegspfad», sagt Browder. «Er beabsichtigt, mehr zu tun, um die Schweiz zur Verantwortung zu ziehen hinsichtlich Geldwäscherei und Russland.» Dies habe ihm Wicker vor kurzem angekündigt. «Setzt sie diese Politik der ‹Neutralität› fort, ist die Schweiz auf dem besten Weg zu einem neuen Nazigold-Skandal.»

Dass der Streit um Sanktionen und Neutralität diese internationale Dimension erreicht, darf man bezweifeln. Sicher ist, dass Browder und seine Mitstreiter nicht so rasch Ruhe geben. Oder wie Bill Browder seine Mission umschreibt: «Es gibt keinen Punkt, an dem ich sagen kann, ich bin fertig mit dem, was ich tue.»

In Bern wird man bald wieder von ihm hören.

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