Auf einen Blick
Blick: Herr Cirillo, Ende Mai haben Sie die Schliessung von 170 Filialen angekündigt. Im Juni erlaubte der Bundesrat, dass die Post in Zukunft Briefe und Pakete flexibler zustellt. Im Parlament gibt es nun Vorstösse, beides rückgängig zu machen. Wie gehen Sie damit um?
Roberto Cirillo: Die Post hat sich in den vergangenen Jahren stets der Nachfrage der Kundinnen und Kunden angepasst. Das ist der Grund dafür, dass wir nach wie vor eine gesunde und stabile Post haben. Jetzt müssen Parlament und Bund die Weichen stellen, damit wir in der Schweiz auch über das Jahr 2030 hinaus eine moderne Grundversorgung haben. Ich finde es deshalb richtig und wichtig, dass die Politik über die Post diskutiert. Fundamental ist jedoch, dass sich die Post auch in Zukunft weiterentwickeln kann. Ein Stillstand wäre verheerend für unser Land.
Legen Sie die Poststellenschliessungen aufgrund der politischen Vorstösse auf Eis?
Nein, wir setzen die Anpassung des Filialnetzes wie geplant um. Die entsprechenden Entscheide fielen im Rahmen der Post-Strategie, die aktuell gültig ist. Ohne diese Rechtssicherheit lässt sich ein Sieben-Milliarden-Betrieb mit rund 46'000 Mitarbeitern nicht weiterentwickeln. Unabhängig davon möchte ich aber betonen, dass die 170 Poststellen nicht einfach abgebaut, sondern in Filialen mit Partnern umgewandelt werden. Zudem investieren wir über die nächsten vier Jahre 100 Millionen Franken in die Entwicklung unserer Filialen.
Auch zahlreiche Akquisitionen von Firmen in den vergangenen Monaten und Jahren stossen einigen Parlamentariern sauer auf. Eine Motion von SVP-Nationalrat Lars Guggisberg will sogar die Aufsicht über die Post stärken. Was sagen Sie zu diesen Bestrebungen?
Es ist legitim, dass in der Diskussion über das neue Postgesetz über die Aufsicht und Governance der Post diskutiert wird. Ich möchte aber daran erinnern, dass die Politik vor 20 Jahren entschieden hat, die Post in den freien Wettbewerb zu schicken. Mit Ausnahme der 50-Gramm-Briefe, die nur noch 16 Prozent unseres Umsatzes ausmachen, sind wir ausschliesslich in liberalisierten Märkten tätig. Deshalb müssen wir uns entsprechend an die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden anpassen können – auch durch Akquisitionen.
Die Firmen, die Sie gekauft haben, sind teilweise in Märkten tätig, die wenig mit dem Kerngeschäft der Post zu tun haben: Logistik für Baustellen, steriles Material für die Medizin, ein Ladenetz für Elektrofahrzeuge. Das sorgt für Kopfschütteln.
Das Kerngeschäft der Post ist die Logistik, die Kommunikation, das Finanzwesen und die Mobilität. Alle Dienstleistungen, die Sie erwähnt haben, gehören zu einem dieser vier Bereiche.
Wer an Post und Logistik denkt, hat eher Pakete im Sinn, nicht Baustellen-Transporte. Haben Sie wirklich die Expertise, um auf all diesen Geschäftsfeldern erfolgreich zu sein?
Diese Frage muss der Markt beantworten. Bis jetzt sind unsere Kunden sehr zufrieden mit uns. Im sogenannten Kerngeschäft werden übrigens nicht nur Pakete mit Büchern transportiert, sondern Velos, Gartenhäuschen und vieles mehr. Auch dafür setzen wir Lastwagen ein.
Und was ist mit der Bereitstellung von sterilen Materialien im Gesundheitswesen?
Das ist ebenfalls eine logistische Dienstleistung. Wir betreiben in Villmergen AG ein Logistikzentrum, das auf Arzneimittel und Medizinprodukte spezialisiert ist. Damit garantieren wir die Versorgung der Spitäler. Unsere Kunden erwarten von uns, dass wir die benötigten Einzelpäckchen bis in die Operationssäle transportieren.
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Die Post ist ein Stück Schweiz – wie die Migros. Dort wird die Diversifikationsstrategie der letzten Jahre gerade radikal rückgängig gemacht, mit einschneidenden Folgen für das Personal. Laufen Sie nicht Gefahr, dass bei der Post in zehn, 20 Jahren dasselbe passiert?
Mit Abstand die grösste Gefahr für die Post ist das Verschwinden der Briefpost – und damit die Grundlage dafür, die Grundversorgung ohne Steuergelder finanzieren zu können. Wir müssen unsere Dienstleistungen deshalb der Nachfrage anpassen, insbesondere im Bereich der digitalen Kommunikation. Sonst werden die Leute in zehn Jahren zurückschauen und sagen: Wer waren diese Deppen, die nicht gesehen haben, dass sich die ganze Gesellschaft digitalisiert. Die Post darf kein Museum werden.
Uvek-Chef Albert Rösti spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die Zukunft Ihres Konzerns geht. Haben Sie Angst, dass er Ihre Akquisitionsstrategie wie sein Parteikollege Guggisberg infrage stellen könnte?
Wir sind in engem Austausch mit unserem Eigner, und ich habe keine Hinweise darauf, dass Bundesrat Rösti mit unserer Strategie nicht einverstanden ist. Wir haben in den letzten fünf Jahren bewiesen, dass wir die Post gesund managen können. Es gab kein einziges Jahr, in dem wir die hohen Qualitätsvorgaben im Paket- und Briefbereich nicht erreicht hätten – und das trotz Corona, Wirtschaftskrise und Lieferketten-Chaos im Welthandel. Das hat in ganz Europa keine andere Postgesellschaft geschafft.
Roberto Cirillo (52) leitet seit 2019 den Konzern der Schweizerischen Post. Der Tessiner ist diplomierter Maschinenbauingenieur der ETH Zürich. Seine berufliche Karriere startete er bei McKinsey. Später wirkte er als Länderchef des Dienstleistungsunternehmens Sodexo mehrere Jahre in Paris, dann als CEO der internationalen Spitalgruppe Optegra in London. Cirillo ist verheiratet und lebt mit seiner Frau in Küsnacht ZH am Zürichsee.
Roberto Cirillo (52) leitet seit 2019 den Konzern der Schweizerischen Post. Der Tessiner ist diplomierter Maschinenbauingenieur der ETH Zürich. Seine berufliche Karriere startete er bei McKinsey. Später wirkte er als Länderchef des Dienstleistungsunternehmens Sodexo mehrere Jahre in Paris, dann als CEO der internationalen Spitalgruppe Optegra in London. Cirillo ist verheiratet und lebt mit seiner Frau in Küsnacht ZH am Zürichsee.
Anfang Jahr sorgte Bundesrat Rösti für Schlagzeilen, weil er in der Landesregierung die Abschaffung der A-Post zur Diskussion stellte. Geschah dies in Absprache mit Ihnen?
Niemand wollte jemals die A-Post abschaffen, auch nicht Bundesrat Rösti. Diese Schlagzeilen kamen aufgrund von Fehlinterpretationen zustande. Nach meinem Wissensstand ging es in der Diskussion des Bundesrats nur um die gesetzlichen Mindestvorgaben, die an die Produkte der Post gestellt werden. Ob ein Produkt aber existiert oder nicht, hängt einzig davon ab, ob es eine Nachfrage gibt. Das ist bei der A-Post der Fall. Es gibt deshalb keine Pläne, sie abzuschaffen.
Die Briefpost ist rückläufig, das ist kein Geheimnis. Was aber überrascht: In den vergangenen zwei Jahren sind auch die Paketmengen zurückgegangen. Wie erklären Sie sich das?
Das hat zwei Gründe: Unmittelbar nach Covid, als es kaum eine Alternative zum Onlineshopping gab, hatten viele das Bedürfnis, mal wieder in einem Laden einzukaufen. Hinzu kommt, dass die Paketmengen sehr stark mit der Wirtschaftsentwicklung und der Konsumentenstimmung zusammenhängen. Die war zuletzt schlecht. Das sind aber nur kurzfristige Wellen, die eins bis drei Jahre anhalten. Entscheidend sind die Gezeiten. Und da sind wir überzeugt: Das langfristige Wachstum des Onlinehandels ist noch lange nicht vorüber.
Während der Corona-Krise haben Sie entschieden, 1,5 Milliarden Franken in die Paketinfrastruktur zu investieren – mindestens 15 Standorte sollten gebaut werden. War das, im Nachhinein betrachtet, zu viel des Guten?
Nein, wir haben bei weitem nicht überinvestiert. In anderen Ländern lassen sich die Menschen viel mehr Pakete nach Hause liefern. In England, Japan oder den USA ist die Anzahl der Pakete pro Haushalt mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz. Wenn wir mittelfristig ein ähnliches Niveau erreichen, werden es hierzulande pro Jahr mehr als 280 bis 300 Millionen Pakete sein.
Derzeit sorgt der chinesische Onlineshop Temu für Furore. Wie stark profitieren Sie von diesem Hype?
Temu ist für die Post ein Kunde wie jeder andere und wird genau gleich behandelt wie Amazon, Zalando oder Schweizer Anbieter. Chinesische Onlinehändler profitieren auch nicht stärker von günstigeren Tarifen des Weltpostvereins, wie das bis vor ein paar Jahren der Fall war. Meines Wissens haben die tiefen Preise von Temu wenig mit der Transportlogistik zu tun. Vielmehr scheint das Unternehmen bei der Produktion in China neue Wege zu gehen. Im Detail kenne ich diese Abläufe aber nicht.
Der Konkurrenzkampf im Paketgeschäft ist gross: DPD, DHL, Planzer – alle buhlen um Grossaufträge. In den vergangenen Jahren hat die Post einige Marktanteile verloren. Wird das so weitergehen?
Nein, ich erwarte, dass wir unsere Marktanteile dieses Jahr halten oder gar ausbauen können. Zwar können wir uns nicht über den Preis differenzieren, aber wir bieten die beste Qualität. Das wird stark nachgefragt. Doch es stimmt: Die Konkurrenz ist hart, sowohl durch inländische als auch ausländische Anbieter. Wir müssen deshalb investieren, um unsere Spitzenposition halten zu können.
Auch Ihre Mitarbeitenden müssen sehr viel leisten, um im Konkurrenzkampf zu bestehen – vielleicht zu viel: Die Zahl der Krankheitsausfälle, Berufsunfälle und auch die Personalfluktuation bei der Post ist so hoch wie nie. Was läuft falsch?
Das beschäftigt uns stark. Allerdings möchte ich festhalten, dass die entsprechenden Zahlen gesamtschweizerisch in die Höhe gehen. Die Post entwickelt sich wie die Schweiz – mit dem Unterschied, dass wir in der Logistik tätig sind und diese Arbeit oft sehr belastend ist. Wir müssen deshalb mehr in die Prävention sowie in die Gesundheit der Mitarbeitenden investieren. Das schaffen wir nicht von heute auf morgen. Aber wir arbeiten daran, diese unschöne Entwicklung zu stoppen.
Sie sagen, die Post sei ein Abbild der Schweiz. Von einem Staatsbetrieb würde man sich erhoffen, dass die Arbeitsbedingungen besser sind als bei privaten Paketdiensten …
Wir bieten unseren Mitarbeitenden bessere Konditionen. Die Arbeit bei der Post ist aber genauso hart wie bei der Konkurrenz. Ich will das nicht beschönigen: Pakete zu sortieren und auszutragen, ist ein harter Job. Durch die Verschiebung von der Briefpost zu Paketen ist die Arbeit zudem körperlicher geworden. Diese Veränderung ist sehr schwierig zu bewältigen, insbesondere für Leute, die aus der Briefzustellung kommen.