OECD-Bericht warnt
Tiefe Impfquote gefährdet Schweizer Wirtschaft – Bundesrat Parmelin widerspricht

Die Schweiz erhält von der OECD mit Blick auf ihre Wirtschaftspolitik in der Pandemie Bestnoten. Besorgt ist die OECD aber über die vergleichsweise tiefe Impfquote. Wirtschaftsminister Guy Parmelin nimmt gegenüber Blick Stellung zu den Kritikpunkten und Empfehlungen.
Publiziert: 20.01.2022 um 20:11 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2022 um 20:59 Uhr
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Die Schweiz erhält für ihre Wirtschaftspolitik in der Pandemie Bestnoten. «Das macht uns stolz», sagt Wirtschaftsminister Guy Parmelin.
Foto: keystone-sda.ch
Sarah Frattaroli

«30 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben noch keine einzige Impfdosis erhalten», sagt OECD-Generalsekretär Mathias Cormann (51) anklagend. Die Schweizer Impfquote liegt deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nimmt die Schweizer Wirtschaftspolitik in ihrem am Donnerstag publizierten zweijährlichen Länderbericht genau unter die Lupe. Die Schweiz sahnt Bestnoten ab. Kaum ein anderes Land hat es wirtschaftlich so erfolgreich durch die Pandemie geschafft. Der Bericht lobt denn auch explizit, dass es hierzulande keine derart strikten und langen Lockdowns gab wie im Ausland. Nur eben die tiefe Impfquote bereitet Cormann Sorgen.

Bundesrat Guy Parmelin (62) stimmt ihm teilweise zu. «In Ländern mit höheren Impfquoten werden die Massnahmen teils vollständig aufgehoben», sagt der Wirtschaftsminister im Gespräch mit Blick. England etwa lässt sowohl Maskenpflicht als auch Homeoffice auslaufen. In Spanien wird das Covid-Zertifikat zumindest in manchen Regionen bereits wieder abgeschafft. In der Schweiz scheinen derartige Lockerungen angesichts der hohen Fallzahlen noch weit weg. «Wir haben viel versucht, damit sich die Bevölkerung impfen lässt. Das war kein voller Erfolg», gibt Parmelin zu.

«Wollen keine Zombie-Unternehmen finanzieren»

Wichtiger ist dem Wirtschaftsminister aber der Blick auf die anderen Aspekte des Berichts. Die OECD lobt die Schweiz für die Auszahlung von Kurzarbeits- und Härtefallhilfen in der Pandemie und prognostiziert ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent im laufenden Jahr. «Das Lob nehmen wir gerne entgegen», sagt Parmelin. Nur um zu betonen: «Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Pandemie sehr viele Opfer gefordert hat und dass auch verschiedene Wirtschaftsbereiche immer noch unter der Krise leiden.»

Sie haben denn auch weiterhin die Möglichkeit, ihre Mitarbeitenden in Kurzarbeit zu schicken. Die OECD mahnt in ihrem Bericht allerdings, dass die Kurzarbeit so bald wie möglich zurückgeschraubt werden soll. «Wir wollen damit natürlich keine Zombie-Unternehmen finanzieren», sagt auch Parmelin. Und meint damit, dass nur Betriebe am Leben gehalten werden sollen, die ohne Pandemie gewinnbringend arbeiten könnten. «Aber wir können die Hilfsmassnahmen erst zurückschrauben, wenn es die Pandemie zulässt.» Mit 2G+ in vielen Lebensbereichen, etwa in Fitnesscentern und Clubs, sei das noch nicht gegeben, so der Wirtschaftsminister.

Schweiz mit zu tiefem Rentenalter

Der OECD-Bericht beschäftigt sich aber nicht nur mit der Pandemie. Er nimmt auch andere Herausforderungen der Schweizer Wirtschaftspolitik unter die Lupe. Und kommt dabei unter anderem zum Schluss: «Eine substanzielle Rentenreform ist längst überfällig.» Die OECD regt an, dass Frauen frühestens mit 65 in Pension gehen. Das Rentenalter soll künftig ausserdem an die Lebenserwartung geknüpft, sprich nach und nach erhöht werden. Tatsächlich hat das Parlament im letzten Jahr grünes Licht für Frauenrentenalter 65 gegeben. «Aber verschiedene Seiten haben schon das Referendum angekündigt», wirft Parmelin ein.

Auch mit Blick auf die Geschlechtergleichstellung sieht die OECD Handlungsbedarf. «Das geschlechtsspezifische Lohngefälle ist beträchtlich», heisst es im Bericht. Und der Graben drohe sich noch weiter aufzutun, weil Frauen in der Pandemie häufiger von Kurzarbeit betroffen seien. Parmelin wehrt sich. «Das Lohngefälle hängt unter anderem damit zusammen, dass mehr Frauen Teilzeit arbeiten.» Genau das soll sich in Zukunft ändern, sind sich Bundesrat und OECD einig. Mehr Frauen im Arbeitsmarkt heisst auch mehr Produktivität.

Dafür brauche es bezahlbare externe Kinderbetreuung, mahnt die OECD. «Wir haben das Impulsprogramm für Kita-Plätze schon mehrmals verlängert», entgegnet Parmelin. Damit unterstützt der Bund die Schaffung zusätzlicher Kinderbetreuungsplätze mit einer Anschubfinanzierung. Was Parmelin dabei nicht erwähnt: Der Bundesrat hatte sich gegen die erneute Verlängerung des Impulsprogramms ausgesprochen. Es kam nur zustande, weil das Parlament sich darüber hinwegsetzte.

Auch mit Blick auf die übrigen Empfehlungen der OECD stellt Parmelin klar: «Wir prüfen sie mit grossem Interesse. Aber umsetzen können wir sie nur, wenn sie in der Schweiz auch politische Akzeptanz finden.» Der Bundesrat entscheidet schliesslich nicht allein. Parlament und Volk haben ein Wörtchen mitzureden. Bei der heiss umstrittenen Rentenreform etwa ist eine Volksabstimmung vorprogrammiert. Vorderhand steht aber weiterhin die Pandemiebekämpfung im Fokus. Ob sich die vergleichsweise tiefe Impfquote in der Schweiz dabei noch als Stolperstein erweisen wird, dürfte sich im Verlauf der kommenden Wochen mit dem Peak der Omikron-Welle zeigen.

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