Bundesrat: Interner Knatsch um Rentenalter
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Bersets Buebetrickli:Bundesrat: Interner Knatsch um Rentenalter

Nur mit einem Buebetrickli konnte Berset das Ja zur Renten-Initiative verhindern
Bürgerliche Bundesräte wollten Rentenalter 66+

Das Nein zur 13. AHV-Rente war im Bundesrat unbestritten. Nicht hingegen das Nein zur Renten-Initiative der Jungfreisinnigen. Die SVP- und FDP-Bundesräte drängten auf eine Annahme. Alain Berset nahm seine Gspänli ins Gebet – und konnte die Ja-Empfehlung verhindern.
Publiziert: 07.01.2022 um 01:40 Uhr
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Aktualisiert: 07.01.2022 um 07:56 Uhr
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Die Jungfreisinnigen wollen mit ihrer Renten-Initiative das Rentenalter auf 66 Jahre und mehr für alle erhöhen.
Foto: Keystone
Ruedi Studer

Es wird die wichtigste Volksabstimmung des Jahres: Voraussichtlich im September entscheidet das Stimmvolk über die AHV-Reform und damit die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Fällt sie durch, gehts zurück auf Feld eins – gefolgt von einer jahrelangen Blockade.

Mitten in dieser heiklen Auseinandersetzung grätschten die SVP- und FDP-Bundesräte ihrem Gspänli Alain Berset (49) in die Beine. Im Herbst, als es um die bundesrätliche Haltung zur Volksinitiative des Gewerkschaftsbunds für eine 13. AHV-Rente sowie die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen für ein höheres Rentenalter 66+ für alle ging.

Während das Nein zur 13. AHV-Rente unbestritten war (zu teuer), lief Berset mit seinem Nein zur Renten-Initiative beinahe auf. So beantragten die SVP-Bundesräte Ueli Maurer (71) und Guy Parmelin (62) sowie FDP-Magistrat Ignazio Cassis (60) in ihren Mitberichten ein Ja zur Renten-Initiative, wie CH Media damals berichtete.

Auch FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter (58) erachtete die Initiative gemäss Blick-Informationen als «annahmewürdig». Vom Cassis-Antrag unter Druck gesetzt, sah sie keine andere Möglichkeit, als sich zugunsten der Initiative zu positionieren, heisst es in Bundesbern.

Cassis: «Langfristige strukturelle Reform»

Amtliche Dokumente, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat, bestätigen das Bild des widerspenstigen SVP/FDP-Quartetts. So beantragte das Generalsekretariat des Aussendepartements von Cassis die Annahme der Renten-Initiative oder zumindest einen indirekten Gegenvorschlag, «der den Kerninhalt der Initiative aufnimmt und weitere Elemente zur Stabilisierung der AHV-Finanzen vorsieht».

Das Aussendepartement ärgerte sich über Bersets Argumentation, dass die Renten-Initiative im Widerspruch zur AHV-Reform steht. Vielmehr werde diese ergänzt: «Während die AHV-21-Reform die Periode bis 2030 abdeckt, strebt die Renten-Initiative eine langfristige strukturelle Reform an.» Sollte Berset nicht darauf eingehen, wollte das EDA die Differenz im Aussprachepapier offiziell ausgewiesen haben.

Sperrfeuer aus Finanzdepartement

Sperrfeuer kam auch aus Maurers Finanzdepartement. Die Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) machte sich ebenso für die Annahme stark wie auch das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF). Mit einem Ja zur Initiative könne der Bundesrat sein «Engagement für eine langfristige Stabilisierung der AHV (über 2030 hinaus)» signalisieren, unterstrich EFV-Direktorin Sabine D'Amelio-Favez. Und mit Verweis auf die drohenden Defizite in der AHV-Rechnung befand sie: «Alle Ansätze, die diese sich abzeichnende Situation entschärfen können, sind unserer Ansicht nach aktiv zu verfolgen.»

Und damit eben auch die Renten-Initiative, die die AHV im Jahr 2030 um rund 2,5 Milliarden Franken entlasten würde. «Durch die Verankerung des Rentenalters an die Lebenserwartung wird ein automatischer Stabilisator (Budgetregel) in der ersten Säule geschaffen, der willkommen und wünschenswert ist und die richtigen Weichen stellt», so D'Amelio-Favez. Gleichzeitig betonte sie, dass es auch weitere Einnahmen brauche für ein ausgewogenes Reformpaket nach 2030.

Für eine längerfristige Stabilisierung der Altersvorsorge brauche es nicht nur Reformen bei der AHV und der beruflichen Vorsorge, sondern auch ein höheres Rentenalter, warf das SIF ein. Konsequenterweise sollte sich der Bundesrat auch hinter die Renten-Initiative stellen und «die Bevölkerung über die eigentlich erfreuliche Tatsache der deutlich gestiegenen Lebenserwartung mit all den damit verbundenen Folgen sachlich neutral orientieren». Der vorgesehene Automatismus stelle die Nachhaltigkeit der AHV in den Vordergrund «und entpolitisiert deshalb den Parameter Rentenalter bis zu einem gewissen Grad».

Parmelins Seco für Generationengerechtigkeit

Berset stelle die Renten-Initiative als Gegenentwurf zur AHV-Reform dar, was sie «de facto nicht ist», monierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Parmelins Wirtschaftsdepartement. Der Automatismus zur Anpassung des Rentenalters leiste «einen positiven Beitrag zur finanziellen Stabilisierung der AHV sowie zur Generationengerechtigkeit».

Zudem beklagten die Wirtschaftsbeamten, dass das Innendepartement in seinem Papier die Arbeitsmarktsituation für ältere Arbeitnehmende zu negativ darstelle. «Eine Würdigung der hohen und wachsenden Bedeutung dieser Arbeitsgruppe für den Arbeitsmarkt fehlt», so das Seco – und forderte Berset auf, dies nachzuholen. Dieser nahm denn auch den Input auf, dass die Rentenalter-Erhöhung der «wachsenden Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften entgegenkommen dürfte».

Bersets Buebetrickli

Berset machte noch mehr. Als er merkte, dass er mit seinem Antrag auf ein Doppel-Nein auflaufen und die SVP/FDP-Mehrheit die Renten-Initiative zur Annahme empfehlen könnte, zog er seinen Antrag kurzerhand zurück.

In einer Tour durch die Departemente machte er seinen abtrünnigen Kolleginnen und Kollegen in Einzelgesprächen deutlich, was die Ja-Empfehlung bedeuten würde. Nämlich die Gefährdung der aktuellen AHV-Reform – würde die geplante Rentenalter-Erhöhung auf 66, 67 oder gar 68 Jahre für alle von den Gegnerinnen und Gegnern genüsslich ins Feld geführt.

Um die bisherigen Mitbericht vom Tisch zu wischen, griff Berset auf einen Kniff zurück: Anstatt wie bisher in einem einzigen Antrag ein Doppel-Nein zu fordern, teilte er seinen Vorschlag in zwei separate Nein-Anträge auf. Mit diesem Buebetrickli wurde das Mitberichtsverfahren nochmals gestartet. Und diesmal hielten sich insbesondere die SVP-Vertreter zurück.

Auf nächste Reform vertröstet

In der entscheidenden Sitzung liessen sie sich darauf vertrösten, dass der Bundesrat dem Parlament sowieso bis Ende 2026 eine neue AHV-Vorlage für die Zeit von 2030 bis 2040 vorlegen muss.

So räumt Berset in seinem Aussprachepapier denn auch ein, dass eine Rentenalter-Erhöhung über 65 Jahre hinaus «mittelfristig unumgänglich» sei. Diese Erhöhung soll aber nicht automatisch erfolgen, sondern jeweils demokratisch legitimiert durch politische Entscheide des Parlaments und des Souveräns. Das Rentenalter habe eben nicht nur eine demografische, sondern auch eine sozialpolitische Dimension, erklärte der Sozialminister.

Ende November segnete der Bundesrat die Stossrichtung ab. Bis Ende Mai muss Berset nun seine Botschaft zur 13. AHV-Rente vorlegen, bis Mitte Juli jene zur Renten-Initiative.

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