«Hände weg von unseren Renten!» Rund 15'000 Menschen demonstrierten unter diesem Motto Ende September in Bern gegen bürgerlichen Rentenpläne. Genützt hat es nichts. Die Bürgerlichen brachten die AHV-Reform in der Wintersession durch. Frauen sollen künftig bis 65 Jahren arbeiten. Auch der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) drückten die Bürgerlichen im Nationalrat ihren Stempel auf.
Nach der Demo im Herbst gehen Linke, Grüne und Gewerkschaften erneut auf die Strasse. Diesmal zum Unterschriftensammeln. Bis am 7. April haben sie Zeit, die benötigten 50'000 Unterschriften zusammenzubringen. Eine Formsache. Hinter dem Referendum steht ein breites Bündnis, das «erbitterten Widerstand» gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters leisten wird, wie es am Dienstag an einer Medienkonferenz zum Auftakt der Sammelkampagne klar machte.
AHV-Rente reicht nicht zum Leben
«Niemand kann heute in der Schweiz nur von der AHV-Rente leben», betonte Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (53, VD) an der Medienkonferenz. Eine AHV-Einzelrente beträgt zwar bis zu 2390 Franken monatlich. Doch die Realität sieht für viele anders aus: Die mittlere AHV-Rente betrug 2019 für Frauen gerade mal 1770 Franken.
Auch die Pensionskasse hilft oft wenig: «Noch immer erhält fast ein Drittel der Frauen gar keine Rente aus der 2. Säule. Und sofern sie eine Pensionskasse haben, ist sie nur etwa halb so hoch wie die Pensionskassen-Rente der Männer», so Maillard. Die mittlere Pensionskassen-Rente der Frauen lag 2019 bei 1160 Franken pro Monat. «Diese Renten sind zu tief, eine Verschlechterung ist deshalb inakzeptabel.»
Rentenlücke von 37 Prozent
Kämpferisch zeigte sich auch Travailsuisse-Präsidentin und Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet (32, GE). Sie machte auf die in vielen Bereichen noch immer bestehende Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern aufmerksam, die sich auch auf die Renten auswirke. So zeigen Zahlen des Bundes eine Rentenlücke von 37 Prozent zwischen den Geschlechtern. Das sind rund 20'000 Franken pro Jahr. Kommt hinzu, dass jede zehnte Rentnerin auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist.
«Für viele Frauen ist der Ruhestand gleichbedeutend mit Armut», sagte Porchet. Es dürfe nicht sein, dass die zentrale Massnahme einer Reform der Altersvorsorge darin bestehe, das Rentenalter der Frauen zu erhöhen, obwohl die massive Rentenungleichheit zulasten der Frauen weiterbestehe.
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«Die Erhöhung des Rentenalters für Frauen ist inakzeptabel», so die Gewerkschafterin. «Dieses Referendum ist also eine Gelegenheit für die Bevölkerung, daran zu erinnern, dass nur der solidarische Weg für unser Rentensystem in Frage kommt. Es ist auch eine Gelegenheit für Frauen und Männer, sich gegen die verschiedenen Bestrebungen zu wehren, das Rentenalter für alle zu erhöhen.»
Kaskade von Renten-Abstimmungen
Das AHV-Referendum markiert den Auftakt zu einer ganzen Kaskade von Renten-Abstimmungen in den kommenden Jahren:
- AHV-Reform: Dass das Referendumskomitee die benötigten Unterschriften zusammenbringt, steht ausser Frage. Die Vorlage wird wohl im September an die Urne kommen.
- BVG-Reform:Die Bürgerlichen haben der Reform der beruflichen Vorsorge im Nationalrat den Stempel aufgedrückt. Nun muss der Ständerat entscheiden. Dieser dürfte versuchen, die Linke zu überzeugen, sonst ist das Referendum sicher. Abgestimmt würde wohl 2023.
- 13. AHV-Rente: Der Gewerkschaftsbund hat eine Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente eingereicht. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Gesundheitsminister Alain Berset (49) wird bis Ende Mai eine entsprechende Botschaft dazu vorlegen. Abgestimmt würde wohl 2023 oder 2024.
- Rentenalter 66+: Die Jungfreisinnigen zielen mit ihrer bereits eingereichten Renten-Initiative auf eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters für alle. Zuerst soll das Rentenalter auf 66 Jahre steigen und danach an die Lebenserwartung geknüpft werden. Das Rentenalter soll langfristig also weiter steigen. Auch diese Initiative lehnt der Bundesrat ab. Berset muss bis Mitte Juli eine entsprechende Botschaft dazu vorlegen. Abgestimmt würde wohl 2023 oder 2024.
- Rentenkürzung: Die Volksinitative «Ja zu fairen und sicheren Renten (Generationen-Initiative)» befindet sich im Sammelstadium. Diese will nicht nur das Rentenalter erhöhen, sondern bei den Pensionskassen auch laufende Renten kürzen. Die Initiative wurde im September lanciert. Es ist fraglich, ob die 100'000 benötigten Unterschriften zusammenkommen. Eine ähnliche Initiative war 2020 an der Unterschriftenhürde gescheitert.
- Nationalbank-Gelder für AHV: Gleich zwei Volksinitiativen sind für dieses Jahr angekündigt, die einen Teil der Nationalbank-Gewinne in die AHV-Kasse umleiten wollen. Der Gewerkschaftsbund fordert, dass in Zukunft ein Teil der Nationalbank-Gewinne statt den Kantonen der AHV gutgeschrieben wird. Das dürfte der AHV jährlich zwei Milliarden Franken einbringen. Zudem sollen sämtliche seit 2015 angefallenen Gewinne aus den Negativzinsen in die AHV fliessen, was einmalig bis zu 11 Milliarden Franken bringen dürfte. Ein Komitee um SVP-Nationalrat Alfred Heer (60, ZH) will ebenfalls die Gewinne aus den Negativzinsen in die AHV fliessen lassen, während die jährlichen Beiträge der Nationalbank an den Bund in gleicher Höhe gekürzt würden.
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AHV-Abstimmung als Gradmesser
Die AHV-Abstimmung im September wird ein erster Gradmesser in der laufenden Renten-Schlacht sein. Das ist auch den Gewerkschaften klar. Die Altersvorsorge befinde sich an einem Scheideweg, so Maillard. Der Kampf gegen die jetzige AHV-Reform sei erst der Anfang einer grösseren Auseinandersetzung.
«Der Gewerkschaftsbund wird deshalb 2022 mit einer klaren Opposition und einem entschlossenen Engagement für eine starke AHV und gegen jeden Rentenabbau kämpfen», betonte der SP-Nationalrat. «Denn in der Schweiz hat es genug Geld für anständige Renten – nicht nur für die Top-Verdiener.»