Darum gehts
- Notlandung in Graz, Tod eines Flugbegleiters, laufende Untersuchungen
- Nach dem Germanwings-Absturz: Mehr Aufmerksamkeit für mentale Gesundheit
- Jährlich eine Milliarde für Sicherheit, Nachhaltigkeit und Qualität der Swiss
Herr Fehlinger, vor Weihnachten musste eine Swiss-Maschine in Graz notlanden, ein junger Flugbegleiter starb später im Spital. Wie weit sind Sie mit der Aufarbeitung?
Jens Fehlinger: Dieses Ereignis beschäftigt uns nach wie vor sehr. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen unseres verstorbenen Kollegen. Wir haben das höchste Interesse, alles aufzuklären. Nicht nur, weil wir es den Angehörigen und Betroffenen schuldig sind, sondern weil es in der Sicherheits-DNA der Luftfahrt verankert ist, aus solchen Vorfällen zu lernen.
Was haben die Swiss-internen Untersuchungen ergeben?
Wir spekulieren nicht und warten die offiziellen Ergebnisse ab. Die Untersuchungen sind wie ein Puzzle aus mehreren Tausend Teilen: Es dauert Monate, manchmal sogar Jahre, bis alles geklärt ist.
Ein österreichischer Zwischenbericht stellt fest, dass die Piloten an Bord des Airbus A220 Probleme hatten, das Kabinenpersonal telefonisch zu erreichen. Was ist da passiert?
Unsere Pilotinnen und Piloten und unsere Kabinenbesatzungen sind top ausgebildet. Der Bericht zeigt, dass die Piloten schnell gehandelt haben. Sie haben das Flugzeug innerhalb von 20 Minuten aus einer Reiseflughöhe von 40’000 Fuss (über 10 Kilometer Flughöhe) sicher gelandet.
Wussten die Piloten, dass ein Kollege bewusstlos ist?
Es gibt viele Fragen, die noch nicht beantwortet sind. Klar ist: Die Piloten haben eine Luftnotlage erklärt, was bedeutet: Feuerwehr und Krankenwagen wurden angefordert. Das sind die gesicherten Erkenntnisse.
In der Kabine gab es Rauch. Unbeantwortet ist die Frage der Schutzmasken. Die Swiss wollte sie auswechseln – im betroffenen Flieger geschah das nicht. War Ihnen der Profit wichtiger?
Das Gegenteil ist der Fall. Die Masken sind nach wie vor zugelassen. Wir sind gemeinsam mit Edelweiss wahrscheinlich die einzige Airline, die proaktiv gesagt hat: Wir tauschen die Masken aus, nachdem es entsprechendes Feedback von unseren Mitarbeitenden gegeben hat. Aber das geht nicht von heute auf morgen, es müssen mehr als 5000 Masken ersetzt werden, zudem braucht es dafür Genehmigungen. Die haben wir für den A220 erst vor wenigen Monaten erhalten.
Die Swiss gehört zur Lufthansa-Gruppe. Vor zehn Jahren brachte ein Germanwings-Pilot seine Maschine in den französischen Alpen gewollt zum Absturz. Wo waren Sie vor zehn Jahren?
Ich war damals in Frankfurt und Teil des Care-Teams. Wir haben Angehörige getroffen, in Empfang genommen und ich war später mit ihnen in Frankreich vor Ort.
Was macht ein Pilot im Care-Team? Ist das nicht eher etwas für Psychologinnen oder Seelsorger?
Unsere Care-Teams bestehen aus vielen Freiwilligen, die sich engagieren. Wir wurden mit Schulungen auf solche Fälle vorbereitet. Natürlich ist die Realität dann immer eine andere.
Was können Sie in einer so schwierigen Situation für die Angehörigen tun?
Vor allem zuhören. Wir können Informationen teilen, die gesichert sind – am Anfang ist das noch sehr wenig. Und wir können zeigen, dass wir uns kümmern, dass wir an der Seite der Angehörigen stehen.
Was haben Sie in dieser Krise fürs Leben gelernt?
Es geht nicht um mich, sondern um die Angehörigen. Der Verlust ist unbeschreiblich. Das ist es, was nach zehn Jahren immer noch sehr schwer wiegt.
Und was hat die Lufthansa-Gruppe gelernt?
Das Thema mentale Gesundheit hat in der Luftfahrt einen ganz anderen Fokus bekommen. Die Hemmschwelle ist deutlich geringer, dieses Thema anzusprechen. Menschliche und berufliche Krisen gehören zum Leben. Wir sind für dieses Thema sensibler geworden.
Blicken wir in die Gegenwart: Weshalb ist die Swiss keine Premium-Airline mehr?
Wir sind eine Premium-Airline und wir investieren aktuell Milliarden in unsere Dienstleistungen, um das zu erreichen.
Wie definieren Sie Premium-Airline?
Es geht um Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und eine hohe Qualität. Die Basis von alledem ist natürlich, dass wir sicher fliegen.
Sind das nicht Selbstverständlichkeiten?
Nein, dafür arbeiten wir hart. Wir wissen, dass wir unsere Ziele bei der Pünktlichkeit und auch bei den Erwartungen der Gäste nicht immer erreichen. Die Corona-Zeit ging nicht spurlos an uns vorbei. Wir sind sehr gesund und stabil aus der Krise herausgekommen und investieren jährlich Milliarden, um besser zu werden und die Ansprüche der Passagiere zu erfüllen.
Seit Corona serviert die Swiss Passagieren auf der Kurzstrecke nur noch Wasser. Ist die Swiss geizig geworden?
Dem widerspreche ich. Wir sind ganz und gar nicht geizig, sondern investieren laufend hohe Summen in unser Produkt. Es ist nicht so, dass jeder Gast in der Economy essen oder trinken will. Mit unserem neuen Programm «Swiss Saveurs» können wir unseren Gästen in der Economy ein qualitativ hochwertiges Produkt bieten, das sie kaufen können, wenn sie es möchten. Hier setzen wir übrigens auf Schweizer Qualität. Ausserdem haben wir auf der Kurzstrecke ein neues Konzept: Sie können vor Ihrem Flug ein Essen bestellen. Wir setzen auf Klasse statt Masse.
Auf dem vierstündigen Flug Zürich–Kairo zum Beispiel gibt es gratis nur noch Wasser, der Rest kostet: Klasse geht anders.
Wir konzentrieren uns momentan auf die Langstrecke: Es gibt neue Flugzeuge, neue Sitze, einen neuen Service. Wir stehen vor der grössten Erneuerung in der Swiss-Geschichte, werden uns danach aber ganz sicher auch die Kurzstreckenflüge anschauen.
Seit Corona ist das Fliegen teurer geworden, zugleich feiern Sie Rekordgewinne. Warum zocken Sie Passagiere ab?
Wir investieren kontinuierlich in Sicherheit, Nachhaltigkeit und Qualität – vom CO2-effizienteren Flottenumbau bis hin zu besserem Kundenservice. Eine Milliarde jährlich. Das Geld müssen wir verdienen. Gleichzeitig wollen wir uns bewusst nicht auf einen ruinösen Preiskampf mit Billigfluggesellschaften einlassen. Qualität hat ihren Wert – und wir setzen alles daran, sie zu einem fairen Preis zugänglich zu machen.
In drei Monaten sind Sommerferien: Was muss in diesem Jahr besser laufen?
Wir müssen pünktlicher werden. Wir haben viele Gespräche mit unseren Partnern rund um den Flughafen Zürich geführt, damit es besser klappt. Und die Koffer müssen mit dem Passagier ankommen. Aktuelle Zahlen zeigen, dass es in die richtige Richtung geht.
Welchen Auftrag haben Sie aus der Zentrale in Deutschland erhalten, ausser die Cashcow Swiss ordentlich zu melken?
Von Melken kann keine Rede sein. Die Lufthansa-Gruppe braucht eine starke Swiss, und die Swiss braucht eine starke Lufthansa-Gruppe. Nur in der engen Zusammenarbeit können wir so stark sein. Der globale Wettbewerb ist enorm.
Wie ist Lufthansa-Boss Carsten Spohr drauf, Ihr Chef?
Wir arbeiten vertrauensvoll zusammen. Er ist jemand, der das langfristige strategische Ziel und das Wohl aller Unternehmen in der Lufthansa–Gruppe stetig im Auge hat.
Vielflieger lästern über «Spohrmassnahmen» und «Karsten Spar».
Man darf nicht verkennen, welche Investitionsmittel fliessen: Die ganze Lufthansa-Gruppe investiert enorm viel Geld – auch in die Swiss. Ich freue mich sehr über die Veränderungen, die wir in den nächsten Jahren für unsere Kundinnen und Kunden tätigen. Einen Sparzwang kann ich nicht erkennen.