«Wir alle haben Fragen»
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CEO und COO der Swiss:«Wir alle haben Fragen»

Nach Notlandung in Graz: Tod mit 23 Jahren
Swiss-Flugbegleiter hatte zu wenig Sauerstoff

Die Swiss trauert um einen jungen Flugbegleiter, der nach sieben Tagen auf der Intensivstation verstorben ist. Jetzt steht die Todesursache fest. Doch viele Fragen bleiben offen.
Publiziert: 05.01.2025 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2025 um 12:09 Uhr
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Am 23. Dezember musste ein Swiss-Flieger von Bukarest nach Zürich in Graz notlanden. Das Bild zeigt die Maschine am dortigen Flughafen.
Foto: Leserreporter

Auf einen Blick

  • Swiss-Flugbegleiter stirbt nach Notlandung im Spital
  • Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung
  • Sauerstoffmangel führte zu massivem Hirnschaden und Hirnödem
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Der Traum vom Fliegen ist so alt wie die Menschheit. Gerade junge Menschen träumen von der weiten Welt, vom Reisen, vom Kontakt mit Leuten aus allen Ländern und Kulturen. Ein 23-jähriger Schweizer hat diesen Traum nun mit seinem Leben bezahlt. Er war ganz neu bei der Swiss: Er hatte im Oktober die Ausbildung zum Flugbegleiter begonnen, die Übungsflüge erfolgreich abgeschlossen und flog erst seit kürzester Zeit als Flugbegleiter – zuletzt am 23. Dezember.

Am Abend vor Heiligabend musste der Swiss-Flug LX1885 von Bukarest (Rumänien) nach Zürich in Graz (Österreich) notlanden. Der Grund: Probleme mit einem Triebwerk, Rauch in der Kabine und im Cockpit.

Die 74 Passagiere mussten das Flugzeug über Notrutschen verlassen. Wie die zwei Piloten und die drei Flugbegleiter das Flugzeug verlassen haben, ist unklar: Der 23-jährige Flugbegleiter war mutmasslich bereits an Bord bewusstlos. Laut einem rumänischen Portal sagte ein Passagier: «Ich habe einer Flugbegleiterin geholfen, ihren Kollegen zu Boden zu bringen.» In Graz wurde er mit dem Helikopter ins Spital geflogen und kam auf die Intensivstation. Eine Woche später, am 30. Dezember, starb der Flugbegleiter. Die Swiss teilte «mit unendlich schwerem Herzen und in tiefer Trauer» mit, dass der Kollege «im Kreise seiner Liebsten» verstorben sei.

«Die Leiche wurde am Freitag obduziert»

Die Staatsanwaltschaft Graz leitete Ermittlungen ein und geht der Frage nach: Warum ist der Flugbegleiter gestorben? Sprecher Hansjörg Bacher zu Blick: «Die Leiche wurde am Freitag obduziert. Die vorläufige Todesursache lautet: hypoxischer Hirnschaden und Hirnödem.» Das bedeutet: «Das Gehirn ist durch einen schweren Sauerstoffmangel massiv geschädigt worden, und der junge Flugbegleiter ist daran auf der Intensivstation gestorben.» Bei der Obduktion sei auch ein «massives Hirnödem» festgestellt worden, also eine Schwellung des Gehirns.

In einem nächsten Schritt würden chemische und histologische Untersuchungen im Labor ausgewertet. «Wir prüfen, wie genau es zu diesem massiven Hirnschaden kam.» Bei der Obduktion sei ein für das Alter «extrem ausgeweitetes Herz» aufgefallen. Auch gebe es Hinweise auf eine eitrige Bronchitis. «Ob es einen Zusammenhang mit der Todesursache gibt, ist unklar», sagt Bacher. «Wir gehen auch der Frage nach, welche Rolle die Atemschutzmaske gespielt hat, die der Flugbegleiter getragen hat.»

Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung

Die Staatsanwaltschaft ermittle in alle Richtungen wegen fahrlässiger Tötung und wegen fahrlässiger Körperverletzung. Beschuldigte gebe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Staatsanwaltschaft will die Swiss-Crew als Zeugen vorladen, um die Geschehnisse an Bord zu rekonstruieren. «Die Swiss kooperiert und hat uns über einen Anwalt in Wien zugesichert, dass die Crew bereit ist, nach Graz zu kommen, um vor Ort auszusagen.» Ausser der Staatsanwaltschaft Graz sind auch die österreichische Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes und ihr Schweizer Pendant, die Sust, aktiv.

Die Frage nach der Atemschutzmaske ist für die Swiss heikel – denn Probleme mit der Maske gab es schon länger. Im Oktober 2023 gab die Airline bekannt, dass die Schutzausrüstung «teilweise fehlerhaft» sei. Es geht dabei nicht um die gelben Sauerstoffmasken, die Passagiere von den Sicherheitsinstruktionen kennen, sondern um Spezialmasken mit Sauerstoffgeneratoren für die Crew, «damit Atmen auch bei Rauchentwicklung in der Kabine möglich ist und sich die Besatzungsmitglieder ungehindert bewegen können».

Swiss prüft weitergehende vorsorgliche Massnahmen

Das alte Modell eines amerikanischen Herstellers sollte, so hiess es 2023, «in einigen Monaten» ausgetauscht werden. Nach Informationen von Blick kommt das alte Modell aber nach wie vor in einer Position im A340-Flieger und in der gesamten A220-Flotte zum Einsatz – so auch im Unglücksflieger Bukarest–Zürich. Warum dauert der Austausch so lange? «Die Modelle des anderen Herstellers unterscheiden sich in Grösse, Gewicht sowie in der Art und Position der Befestigung. Deshalb muss für jedes Gerät eine neue, passende Stelle definiert werden», teilt die Swiss mit. Hinzu komme der Genehmigungsprozess. Laut Swiss gibt es keine Hinweise, dass die bisherigen Masken nicht sicher sind. «Sie sind auch weiterhin zertifiziert und werden bei diversen Airlines eingesetzt.»

Trotzdem sorgt die Frage nach der Schutzausrüstung in der Belegschaft für Unruhe. Denn das ältere Modell liefert auch weniger Sauerstoff (15 Minuten) als das neuere (20 Minuten). Die Swiss betont, es prüfe «verschiedene weitergehende vorsorgliche Massnahmen. Dazu zählen eine mögliche Beschleunigung des Austauschs der noch verbleibenden Masken sowie ein zusätzlicher Ausbau unseres Trainings auf diesem Gebiet.»

Unglücksflieger erhält neue Sitzbezüge und Teppich

Offen sind auch die Fragen, warum die Turbine überhaupt versagte und wie Rauch in Kabine und Cockpit gelangen konnte. Das Triebwerk wurde in Graz demontiert und wird von den Behörden forensisch untersucht. Die Überprüfung dürfte hierfür einige Zeit in Anspruch nehmen. Für andere A220-Flieger hat dies jedoch keine Konsequenzen: Laut Swiss hat der Turbinenhersteller Pratt & Whitney allen Kunden kommuniziert, dass der Weiterbetrieb der A220 «aktuell ohne weitere Auflagen empfohlen wird».

Einfacher ist die Frage zu beantworten, was mit dem Unglücksflieger HB-JCD passiert – dieser soll bald wieder zum Einsatz kommen. «Die Überführung des Fliegers ist für nächste Woche geplant. Ein Ersatztriebwerk ist bereits montiert und alle Vorbereitungen sind in die Wege geleitet. Nach Ankunft des Flugzeugs in Zürich werden Sitzbezüge und Teppich komplett ersetzt», steht in einer internen Swiss-Nachricht, die Blick vorliegt.

Betreffend den toten Flugbegleiter teilt die Staatsanwaltschaft Graz mit, dass der Leichnam inzwischen freigegeben ist. Er dürfte in den nächsten Tagen in die Schweiz kommen. «Wir tun alles, um den Angehörigen in dieser äusserst schwierigen Zeit bestmöglich beizustehen und sie zu unterstützen», teilt die Swiss mit. Einen Termin für die Trauerfeier gibt es noch nicht. Derweil hängen die Swiss-Fahnen auf halbmast – und in der Herzkammer der Swiss, im «Operations Center» am Zürcher Flughafen, erinnert die Swiss mit Blumen, Kerzen und einem Kondolenzbuch an den verstorbenen Flugbegleiter.

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