Die Schweizer Bevölkerung dürfte derzeit mehr mit den Deutschen mitbibbern, als ihr lieb ist. Schafft es der grosse Nachbar bis im November, seine Gasspeicher prall zu füllen, stehen die Chancen auch in den Schweizer Haushalten deutlich besser, im Winter nicht frieren zu müssen.
Aktuell sehen die Vorzeichen wenig rosig aus: Die Lage rund um die Einspeicherung von Gas in Deutschland ist «angespannt», wie die Bundesnetzagentur in ihrem Bericht vom 4. August schreibt.
In den letzten Tagen wuchs der Füllstand der Speicher zwar wieder regelmässig um 0,4 bis 0,5 Prozent pro Tag an. Er liegt derzeit knapp über der 70-Prozent-Marke. Ziel ist es, die Speicher bis zum 1. September zu 75 Prozent zu füllen. Das liegt in greifbarer Nähe, «wenn sich an den aktuellen Bedingungen nichts ändert», sagt Nadia Affani, Sprecherin der Bundesnetzagentur, zu Blick.
Winterziel in Gefahr
Derzeit werde die Einspeicherungsrate von der Wetterlage begünstigt, so die Sprecherin. Und auch die höheren Liefermengen aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden lassen die Speicherstände schneller ansteigen. Das allein wird jedoch nicht reichen.
Beim Winterziel fällt die Einschätzung denn auch düsterer aus: Deutschland peilt bis zum 1. November einen Füllstand der Gasspeicher von 95 Prozent an. Nach aktuellem Stand dürfte die Marke «kaum ohne zusätzliche Massnahmen erreichbar» sein, so die Einschätzung der Bundesnetzagentur.
Bekommen die anderen Länder noch Gas aus Deutschland?
Das fehlende Gas aus Russland hat auch Auswirkungen auf viele andere Länder, die auf die deutschen Speicher angewiesen sind. «Von der Reduktion ist die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen», schreibt die Bundesnetzagentur. Das bekäme auch die Schweiz zu spüren.
Gleich in mehreren Schweizer Städten werden zwischen 40 und 65 Prozent der Wohnungen mit Gas beheizt. Weil die Schweiz jedoch keine eigenen Gasspeicher besitzt, ist sie völlig auf ihre Nachbarländer angewiesen. Ein grosser Teil des hierzulande verheizten Gases kommt aus deutschen Speichern. Kurzum: Frieren die Deutschen, steht auch der Schweiz ein kalter Winter bevor.
Deutschland verspricht Solidarität
In den kommenden Monaten dürfte sich das Problem weiter verschärfen: Mit der bevorstehenden Heizperiode ist es gemäss Affani fraglich, ob die Speicher mit der aktuellen Geschwindigkeit weiter gefüllt werden können. «Deshalb ist es wichtig, Gas zu sparen, Gas zu speichern und Gas zu importieren, um eine Gasmangellage zu vermeiden.»
Deutschland und die übrigen EU-Länder haben sich jüngst denn auch darauf geeinigt, den Gasverbrauch freiwillig um 15 Prozent zu senken. Die Schweiz hingegen hat sich dem Sparplan bisher nicht angeschlossen. Es fehlt die gesetzliche Grundlage. Auch eine Kampagne mit Sparappellen an die Bevölkerung ist erst in der Entstehung.
Derzeit importiert Deutschland täglich 3000 Gigawattstunden Gas, während 1000 Gigawattstunden das Land verlassen. Dreht Deutschland uns vorsorglich den Gashahn ab, um die eigenen Speicher schneller zu füllen? Nein, beruhigt Nadia Affani: «Der Export lässt sich nicht beliebig reduzieren.» Deutschland sei zur Solidarität gegenüber seinen europäischen Nachbarn verpflichtet, um die dort geschützten Kunden mit Gas zu beliefern. Dazu gehören auch die Schweizer Haushalte.