Die deutsche Regierung atmete am Donnerstagmorgen auf. Russland liefert wieder Gas durch die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 1. Zuvor stand die Leitung wegen Revisionsarbeiten für zehn Tage still. Politiker sowie Experten befürchteten, dass Russland den Gashahn überhaupt nicht mehr aufdrehen könnte.
Die Pipeline soll wie vor den Revisionsarbeiten wieder zu 40 Prozent der maximalen Kapazität ausgelastet sein. Das entspricht etwa 67 Millionen Kubikmeter pro Tag. Doch für wie lange? Deutschland muss seine Gasspeicher bis im Winter per Gesetz zu 90 Prozent füllen. Bleibt das Nachbarland unter dieser Vorgabe, hätte dies wohl auch für die Schweiz Folgen. Blick liefert die wichtigsten Antworten.
Wird Deutschland seine Gasspeicher nun doch rechtzeitig füllen können?
Experten bezweifeln, dass ein Füllstand von 90 Prozent bis Anfang November zu erreichen ist. Aktuell sind die deutschen Gasspeicher zu gut 65 Prozent gefüllt. Da nun wieder Gas durch Nord Stream 1 fliesst, wird sich die Geschwindigkeit beim Füllen merklich erhöhen. Drei Viertel des Gases kommen aktuell aus Norwegen, Belgien und Niederlande. Ein grosser Teil des übrigen Gases stammt nach wie vor aus Russland.
Bleibt Nord Stream 1 jetzt offen?
Die russischen Gaslieferungen nach Europa und Deutschland können je nach geopolitischer Lage jederzeit versiegen. Russland dürfte die Gaslieferungen weiterhin als politisches Mittel einsetzen. Deutschland ist dem Kreml in dieser Hinsicht ausgeliefert. Russland teilt jeden Tag mit, wie viel Gas es durch die Pipelines nach Deutschland liefert.
Wie wichtig sind volle Gasspeicher im Ausland für die Schweiz?
Die Schweiz besitzt keine eigenen Gasspeicher und ist bei den Lieferungen vollständig aufs Ausland angewiesen. Das Gas fliesst durch Pipelines aus Frankreich, Italien oder Deutschland in die Schweiz. Wird im Ausland das Gas knapp, könnten die Leitungen versiegen.
Wie viel Gas benötigt die Schweiz?
In den vergangenen Jahren wurden rund 15 Prozent des Schweizer Energieverbrauchs aus Erdgas gewonnen. Diese Abhängigkeit konnte mittlerweile zwar etwas reduziert werden. Beispielsweise können einige Industriebetriebe von Gas auf Öl umstellen. Nach wie vor werden jedoch knapp 25 Prozent der Gebäude mit Gas geheizt. Zudem wird Gas in der Schweiz und in den Nachbarländern auch zur Stromproduktion verwendet. Fällt dann noch Strom aus anderen Quellen weg, steigt das Risiko einer Strommangellage zusätzlich.
Was kann die Schweiz zur Verhinderung einen Gas-Notstand tun?
Der Bundesrat hat bereits im März eine Verordnung erlassen, welche die inländischen Gasversorger dazu verpflichtet hat, 6 Terawattstunden Gas in ausländischen Speichern zu sichern. Das entspricht rund 15 Prozent des Jahresbedarfs. Kommt es im Ausland zu einer akuten Mangellage, sind aber auch diese Mengen nicht mehr sicher. Das meiste Gas gelangt über Deutschland in die Schweiz. Deswegen versucht die Schweiz mit Deutschland ein Solidaritätsabkommen zu unterzeichnen, das zuerst von der EU-Kommission geprüft werden muss. Bei einer Knappheit werden die Bevölkerung und die Wirtschaft Gas sparen müssen.
Was plant die EU im Fall eines Gas-Mangels?
Weil mittlerweile die Hälfte aller EU-Länder kein oder kaum mehr russisches Gas erhalten, hat die EU einen Notfallplan ins Leben gerufen. Die Mitgliedstaaten sollen sich gegenseitig aushelfen und ihren Gasverbrauch in den nächsten Monaten um 15 Prozent senken.
Wie gut sind die Gasspeicher in anderen europäischen Ländern gefüllt?
Polen ist mit einem Füllstand von 98 Prozent bestens auf den kommenden Winter vorbereitet. Auch Schweden (85 Prozent) und Dänemark (83). Italien steht bei 68 Prozent, Belgien und die Slowakei bei je 66 Prozent. Die EU verlangt von ihren Mitgliedern bis zum Winter einen Füllstand von mindestens 80 Prozent.