Die Schweizer Arbeitsbevölkerung ist gestresst. Über 60 Prozent müssen auch in der Freizeit regelmässig für den Job anpacken, so eine aktuelle Studie von Travailsuisse. Die Ursachen sind vielfältig. In personell unterbesetzten Restaurants müssen die Servicekräfte zu viele Tische betreuen. Büroangestellten liegen zu viele Projekte auf dem Tisch, die sie in ihrer regulären Arbeitszeit gar nicht bewältigen können. Auch wenn Firmen an der Effizienzschraube drehen, bleibt an den Angestellten oft Mehrarbeit hängen.
In der Befragung des Dachverbands der Arbeitnehmenden gibt es zwischen den verschiedenen Branchen grosse Unterschiede. Über alle Branchen fühlen sich 41,7 Prozent der Beschäftigten oft oder sehr häufig gestresst. Das Baugewerbe steht mit 68,9 Prozent deutlich an der Spitze. Doch auch in den Gesundheitsberufen, der Bildung, im Gastgewerbe oder am Finanzplatz liegt das Stresslevel weit über dem Durchschnitt.
Gewaltiger Zeitdruck auf dem Bau
Dass die Büezer im Bauhauptgewerbe besonders oft unter stressigen Bedingungen leiden, zeigt auch eine Befragung des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV) von 2021. Von 600 Polieren gaben damals 92 Prozent an, dass der Zeitdruck auf den Baustellen zu hoch sei. Der Verband macht als Gründe unter anderem eine unzureichende Arbeit auf Planerseite, zu enge Zeitvorgaben bei öffentlichen Vergaben und Defizite bei der Professionalität der Bauherrschaften aus.
«Wir nehmen die Problematik ernst», sagt Verbandssprecher Matthias Engel. Die zum Teil mangelnde Bereitschaft, angemessene Preise für Baumeisterarbeiten zu bezahlen, in Kombination mit der wachsenden Zahl der Hitzetage würden den Druck weiter erhöhen. Bei grosser Nachmittagshitze ordnen die Baufirmen einfachere Tätigkeiten an oder stellen den Betrieb im Extremfall ganz ein. «Dann stellt sich die Frage, wie die verlorenen Stunden aufgeholt werden? Hier erwarten wir ein Entgegenkommen der Bauherren», so Engel. Diese müssten in solchen Fällen zusätzliche Zeit einräumen.
Weniger Stress in der Verwaltung
Engel ist überzeugt: «Es braucht generell ein Umdenken, damit eine moderne Arbeitsplatz- und Zeitgestaltung möglich ist. Wir sind ja auch daran interessiert, unsere Fachkräfte zu halten.» Solche Anpassungen hätte man mit den Gewerkschaften im Rahmen der Verhandlungen für einen neuen Landesmantelvertrag erreichen wollen. Das Ergebnis ist bekannt: Die beiden Seiten sind sich nicht einig geworden. Zu unterschiedlich waren die Meinungen darüber, wie die Arbeitsbedingungen auf dem Bau verändert werden müssten.
Am geringsten ist die Zahl der häufig gestressten Arbeitskräfte in der Informations- und Kommunikationsbranche (36 Prozent), in der öffentlichen Verwaltung (31,5 Prozent) und bei sonstigen Dienstleistungen (28,50 Prozent).