Es war eine Revolution: Das Babyfenster in Einsiedeln war nicht nur das erste der Schweiz – sondern eines der ersten weltweit. Am 9. Mai 2001 – pünktlich zum Muttertag – wurde es unter grossem Medienrummel eröffnet. 23 Jahre und 14 hier abgelegte Babys später könnten die Tage der Einsiedler Babyklappe demnächst gezählt sein.
Das Spital Einsiedeln hat jüngst bekannt gegeben, dass seine Geburtenabteilung definitiv geschlossen wird. Dies, nachdem die Abteilung bereits seit Monaten aufgrund von Personalmangel dicht war. Es gelang nicht, die nötigen Fachkräfte zu rekrutieren. Das liegt auch am schlechten Ruf des Spitals: Insider hatten letzten Herbst im Blick schwere Vorwürfe gegen die Spitalleitung erhoben.
Die Rede war von hoher Personalfluktuation, langen Schichten und Sparmassnahmen an den falschen Stellen. Auch der Kanton Schwyz wurde aktiv, nahm das Spital mehrfach unter die Lupe. Die Spitalbetreiberin Ameos – eine private Spitalgruppe, die besonders in Deutschland tätig ist – wies sämtliche Vorwürfe zurück.
Spital Schwyz steht in den Startlöchern
Mit der definitiven Schliessung der Geburtenabteilung verliert das Spital Einsiedeln nicht nur seinen kantonalen Leistungsauftrag für die Geburtshilfe – sondern auch jenen für die Grundversorgung von Neugeborenen. Theoretisch ist der Betrieb des Babyfensters auch ohne entsprechenden Leistungsauftrag weiterhin möglich. Dennoch wird nun offenbar nach Alternativen gesucht.
Blick weiss, dass derzeit Gespräche laufen, das Babyfenster von Einsiedeln nach Schwyz zu verlegen. Das bestätigt sowohl der zuständige Schwyzer Regierungsrat Damian Meier (49), als auch das Spital Schwyz: «Aktuell prüfen die Direktion und die Spitalleitung des Spital Schwyz, zusammen mit den medizinischen Fachspezialistinnen und Fachspezialisten, ob und in welcher Form dieses Hilfsangebot am Spital Schwyz eingeführt werden sollte.»
Der finale Entscheid über die Verlegung soll in den kommenden Wochen fallen, heisst es beim Spital Schwyz. Das Spital Einsiedeln will sich nicht weiter dazu äussern. Dominik Müggler (65), Präsident der Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind (SHMK), welche das Babyfenster in Einsiedeln in Zusammenarbeit mit dem Spital betreibt, schreibt zum möglichen Umzug: «Unser Interesse besteht in erster Linie darin, dass es in der Zentralschweiz stets ein qualitativ gut abgestütztes Babyfenster gibt.»
Babyfenster sind umstritten
In Einsiedeln sind seit der Eröffnung des Babyfensters 14 Kinder abgelegt worden. «Wer weiss, was sonst aus ihnen geworden wäre. Die meisten hätten wohl die Zeit nach der Geburt nicht überlebt», so Müggler. Vor der Eröffnung des ersten Babyfensters in der Schweiz wurden laut der christlichen und abtreibungskritischen SHMK im Schnitt drei Neugeborene pro Jahr getötet oder ausgesetzt. Heute liege dieser Wert bei durchschnittlich weniger als einem Neugeborenen pro Jahr. Ob Babyfenster tatsächlich Kindstötungen verhindern – oder vielmehr für zusätzliche Findelkinder sorgen – ist allerdings umstritten.
Babyfenster sind für Mütter in extremen Notsituationen gedacht. In der Schweiz gibt es acht solche Fenster. Neben Einsiedeln auch in Davos, Bern, Basel, Olten, Bellinzona, Zollikon und Sitten. Mütter können das Kind dort anonym in ein Wärmebett legen. Nach drei Minuten geht im Spital ein Alarm los, damit das Personal auf das Baby aufmerksam wird.
Babyfenster sind ein rechtlicher Graubereich. Wer sein Kind dort ablegt, hat bis zur Adoption Zeit, das Kind zurückzufordern. Die Adoption erfolgt frühestens nach einem Jahr. Ist das Kind einmal adoptiert, können es die leiblichen Eltern nicht mehr zurückfordern – können sich aber weiterhin via Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) melden, um den Kontakt herzustellen. Das passiert bei rund der Hälfte aller in einem Babyfenster abgegebenen Kindern. Melden sich die Eltern nicht, hat das Kind allerdings keine Möglichkeit, seine Abstammung herauszufinden. Und das, obwohl es ein Menschenrecht ist, die eigene Abstammung zu kennen.