Energiekrise, Teuerung und die Massentierhaltungs-Initiative, über die die Schweiz am 25. September abstimmt: Fabrice Zumbrunnen (52) ist in diesen Wochen gleich an mehreren Fronten gefordert. Am Hauptsitz in Zürich erklärt der Migros-Chef Blick, welche Notfallpläne er wälzt und wie er die grösste private Arbeitgeberin der Schweiz durch den Winter bringen will.
Blick: Was macht Ihnen als Hausbesitzer mehr Sorgen: Gasmangel oder Stromlücken?
Fabrice Zumbrunnen: Ein Stromausfall über mehrere Tage trifft mich mehr, als wenn sich das Gas verteuert oder gar ausbleibt. Aus einem einfachen Grund: Wir heizen mit Geothermie.
Sie wohnen in La Chaux-de-Fonds ...
... wo es im Winter eiskalt werden kann. Auch weil es nachhaltiger ist, haben wir vor zwei Jahren unser Heizsystem von Gas auf die Nutzung von Erdwärme mittels Wärmepumpe umgestellt.
Eine Wärmepumpe benötigt Strom. Ohne heisst es frieren. Haben Sie die dicken Pullover schon bereitgelegt?
Geothermie macht meinen Haushalt heute abhängig von Steigerungen des Strompreises. Wenn der Strom länger ausfällt, bleibt es kalt im Haus. Dann ziehe ich eben einen dicken Pullover an.
Kommt es so schlimm?
Ich glaube nicht. Darum habe ich mir auch keinen Extravorrat an Kerzen, Batterien oder einen Dieselgenerator zugelegt, um Ihre Frage vorwegzunehmen.
Wenn Sie sich da mal nicht verrechnen!
Tagelange Stromausfälle sind aus Expertensicht unwahrscheinlich. Wir sollten besonnen bleiben und Vertrauen haben, dass alle Beteiligten alles tun, um diesen Worst Case zu verhindern.
Auch Sie als Chef der Grossverbraucherin Migros mit ihren vielen Industriewerken sind gefordert?
Gas- und Strommangel beschäftigt mich und unseren Krisenstab praktisch täglich. Wir betreiben noch Gasheizungsanlagen, wie bei unserer Grossbäckerei Jowa. Bei anderen Betrieben haben wir wiederum Investitionen vorgezogen. Elsa, unsere Milchproduktion, wurde von Gas auf ein Pelletheizsystem umgerüstet. Wir prüfen jetzt, wo eine Umstellung Sinn macht und wir diese beschleunigen können.
Wie hilft die Migros, den Stromverbrauch zu senken?
Selbstverständlich machen wir uns auch Gedanken darüber, wie wir mithelfen können, den Stromverbrauch zu senken. Wir haben pragmatisch bereits zahlreiche Entscheidungen getroffen, wie zum Beispiel auf die Weihnachtsbeleuchtung zu verzichten.
Wie priorisieren Sie bei den Migros-Industrien, wenn Sie weniger Gas oder Strom abbekommen?
Die Migros ist systemrelevant, weil wir Verantwortung in der Landesversorgung tragen. Auch wenn der Strom ausfällt, müssen ausreichend Lebensmittel zur Verfügung stehen. Fliesst weniger Gas und Strom, müssen wir die Produktionszeiten verkürzen und entscheiden, was weniger oder gar nicht mehr hergestellt wird.
Können Sie ein Beispiel machen?
Nehmen wir unsere Grossbäckerei Jowa. Statt zahlreicher Brotsorten produzieren wir dann vielleicht nur fünf Sorten. Weil die Maschinen dadurch weniger gereinigt und abgestimmt werden müssen, können wir mengenmässig genug Brot bereitstellen, wie wenn wir keine Einschränkungen hätten. Stark eingeschränkt werden könnte beispielsweise das Patisserie-Sortiment, weil dieses nicht lebensnotwendig ist. Diese Überlegungen lassen sich auf alle Produktsegmente übertragen.
Dann gehen in der Industrie, in Baumärkten und Fitnessparks in diesem Winter die Lichter nicht aus?
Stromausfälle von ein paar Stunden kann es geben. Einschränkungen im Angebot auch. Ein Stromunterbruch von einer Woche? Dann würde die gesamte Gesellschaft nicht mehr funktionieren.
Was bedeutet ein Stromausfall für Ihre Migros-Filialen?
Haben wir für ein paar Minuten keinen Strom, können wir dies überbrücken, sodass Kundinnen und Kunden dies nicht spüren. Dauert der Ausfall zwei bis drei Stunden, lassen sich viele Produkte noch retten. Was nicht mehr verkäuflich wäre, ist zum Beispiel Fisch aus der Frischetheke. Haben wir über Tage zu wenig Strom zur Verfügung, schliessen wir Filialen.
Wie viele Filialen wären von Schliessungen betroffen?
Wenn wir aufgrund einer Kontingentierung nur noch 80 Prozent des Stroms bekommen, dann müssen wir uns einschränken. Im Notfall müssen wir die Öffnungszeiten anpassen, das heisst, weniger lang öffnen oder gar einzelne Filialen schliessen. Dadurch sinkt der Verbrauch von Strom, da Kassen, Kühlregale, Beleuchtung, Rolltreppen und Lifte abgestellt werden. Wir werden aber immer noch genug Filialen offen halten, damit die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. Mit Sicherheit schliessen wir dort nicht, wenn es im Umkreis einer Gemeinde nur eine Migros hat.
Haushalte sind von Kontingentierungen nicht betroffen. Sollen Private Energie sparen, damit die Wirtschaft weiterproduzieren kann?
Alle sollten jetzt einen Beitrag leisten. Wenn auch Privathaushalte ihre Möglichkeiten ausschöpfen, zum Beispiel die Raumtemperatur senken, die Beleuchtung auf LED umstellen, den Geschirrspüler in der Nacht auf Eco-Modus laufen lassen, bleibt uns das Schlimmste wohl erspart. Wichtig: Wir dürfen Unternehmen und Privathaushalte nicht gegenseitig ausspielen. Wir sollten als Gesellschaft an einem Strang ziehen.
Die Stromkosten gehen vielerorts durch die Decke. Auch bei der Migros?
Auch wir sind heute von den explodierenden Strompreisen betroffen. Sei es auf der Einkaufsseite am freien Markt, sei es als Mieterin von Liegenschaften. Heute sind wir mit Offerten konfrontiert, die um das Mehrfache höher sind als vor ein paar Jahren.
Überwälzen Sie die Mehrkosten Ihrer Kundschaft?
Im Moment trägt die Migros die steigenden Energiekosten. Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden so lange wie möglich davon verschonen. Wir haben auch erst Monate später Preise erhöht, als der Teuerungsschub in diesem Frühjahr einsetzte.
In der Schweiz liegt die Inflation bei 3,5 Prozent. Wo liegt die Teuerung bei der Migros?
Bei uns beträgt die Teuerung gegenwärtig etwas mehr als 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zur Erinnerung: Im April, als überall die Preise hochgingen, hatten wir noch eine Minusteuerung von 0,8 Prozent.
Nun ist der Preisschub im Laden da?
Gewisse Produktkategorien wie Pasta haben sich stärker verteuert, bei Obst und Gemüse stiegen die Preise lediglich um 1 Prozent. Für Milchprodukte und Fleisch zahlt man im Schnitt nun 3 Prozent mehr. Allerdings versuchen derzeit alle Lieferanten, noch höhere Preise durchzusetzen.
Lassen Ihre Kundinnen und Kunden Sie spüren, dass sie die Teuerung besorgt?
Wir bekommen seit einigen Wochen vermehrt kritische Rückmeldungen von Kundinnen und Kunden zu den steigenden Preisen. Sie fragen aber auch, ob es noch schlimmer werden kann. Es ist sehr schwierig, Prognosen zu machen. Wir hoffen natürlich, dass wir bald den Höhepunkt erreicht haben werden.
Hat sich das Kaufverhalten geändert?
Zum ersten Mal nehmen wir tatsächlich wahr, dass Kundinnen und Kunden ihr Kaufverhalten ändern und statt zu Premiumprodukten oder Bio-Fleisch vermehrt zu billigeren Artikeln greifen. Zudem werden mehr Aktionsartikel gekauft. Wir spüren, dass das Portemonnaie nicht mehr so locker sitzt.
Der Neuenburger Fabrice Zumbrunnen (53) übernahm Anfang 2018 den Chefsessel von Migros-Urgestein Herbert Bolliger (68). Nach der Corona-Pandemie muss der jüngste Migros-Chef aller Zeiten den grössten privaten Arbeitgeber in der Schweiz mit einem Umsatz von fast 29 Milliarden Franken nun durch mehrere Krisen gleichzeitig manövrieren. Zumbrunnen wohnt mit seiner Familie in der Uhrenmetropole La Chaux-de-Fonds NE. Ehefrau Paule (55) ist Konzertgeigerin. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder, Rose und Rodolphe.
Der Neuenburger Fabrice Zumbrunnen (53) übernahm Anfang 2018 den Chefsessel von Migros-Urgestein Herbert Bolliger (68). Nach der Corona-Pandemie muss der jüngste Migros-Chef aller Zeiten den grössten privaten Arbeitgeber in der Schweiz mit einem Umsatz von fast 29 Milliarden Franken nun durch mehrere Krisen gleichzeitig manövrieren. Zumbrunnen wohnt mit seiner Familie in der Uhrenmetropole La Chaux-de-Fonds NE. Ehefrau Paule (55) ist Konzertgeigerin. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder, Rose und Rodolphe.
Wird die Initiative gegen Massentierhaltung unser Kauf- und Essverhalten verändern?
Unser Essverhalten ändert sich langsam, und es gibt Trends. Ich glaube nicht, dass sich die Bevölkerung von oben herab diktieren lassen will, was sie zu konsumieren hat. So etwas funktioniert nicht in der Schweiz. Auch die Migros lässt den Kunden immer die Wahl, ob sie zu Bio-Fleisch, zu M-Budget-Fleisch oder zu Fleischersatzprodukten greifen wollen.
Schweine und Hühner sollen mehr Platz bekommen, in kleineren Gruppen gehalten werden, ins Freie können. Das ist doch ein legitimes Anliegen.
Tierwohl ist uns sehr wichtig. Wir bemühen uns heute schon, unsere Fleischprodukte so nachhaltig wie möglich zu produzieren. In den letzten Jahrzehnten haben wir hier massive Fortschritte erzielt. Im internationalen Vergleich ist die Schweiz heute Vorreiterin beim Tierwohl, unsere Betriebe sind deutlich kleiner. Diese Initiative ist unnötig und nicht zielführend.
Welche Folgen für die Migros hätte eine Annahme der Initiative?
Der hohe Selbstversorgungsgrad der Schweiz ist unseren Kundinnen und Kunden absolut zentral. Gemäss einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz würde dieser beim Poulet von 58 auf 5 Prozent sinken bei einer Annahme der Initiative. Eier von 56 auf 20 Prozent. Bei Schweinefleisch ist es von 92 auf 50 Prozent. Die Auswirkungen wären folglich massiv. Die Ernährungssicherheit, die während der Covid-Krise so gelobt wurde, wäre nicht mehr gewährleistet, wenn wir nur noch Bio haben, wie es die Initiative verlangt.
Die Migros hat eine riesige Fleisch- und Geflügelverarbeitungsindustrie ...
... darum wären wir auch enorm betroffen, wenn das Volk an der Urne ein Ja einlegt. Das gilt nicht nur für uns, sondern für den ganzen Detailhandel, die verarbeitende Industrie, den Grosshandel, die Gastronomie und die Agrarwirtschaft. Nur einer von zehn Betrieben ist Bio. Eine Annahme käme einer Revolution gleich. Ich spüre bereits einen grossen Frust bei befreundeten Bauern.
Frust auch bei Kundinnen und Kunden, weil die Preise im Laden dann massiv steigen?
Wir sehen jetzt schon, dass die Leute wegen der Teuerung sparen und statt Bio-Qualität auf günstigeres Fleisch mit IP-Suisse-Standard ausweichen. Es gäbe keine Alternativen mehr. Aber klar, wir können weitere Fortschritte in der Landwirtschaft erzielen und wir können noch besser erklären, was wir bereits leisten.
Ein Thema, das für Sie durch ist, aber bei vielen noch präsent, ist der abgelehnte Alkoholverkauf in Migros-Läden. Wie sehen Sie das Nein heute?
Das Ergebnis hat mich nicht überrascht, ich habe mit einem Nein gerechnet. Beim Sortiment bleibt alles beim Alten, wobei wir die alkoholfreien Biere weiter ausbauen. Und wir lancieren das Non-Bier, das die St. Galler Brauerei Schützengarten für uns braut.
Verraten Sie jetzt, was Sie in die Urne gelegt haben?
Ob Ja oder Nein spielt auch heute keine Rolle. Es ging um die Abstimmung der Genossenschafter und Genossenschafterinnen. Was der Migros-Chef abgestimmt hat, interessiert hier nicht.
Mit dem lukrativen Alkoholgeschäft ist es nichts geworden. Werden Sie als Gruppe im laufenden Jahr trotzdem wachsen?
Im ersten Semester haben wir beim Umsatz leicht vorwärtsgemacht. Gastronomie, Fitnessanlagen und unsere Reisetochter Hotelplan wachsen stark gegenüber dem Vorjahr. Unsere finanzielle Performance ist aber von steigenden Kosten belastet.