In sechs Wochen beginnen in einigen Kantonen die Sommerferien, in anderen kurz darauf. Früher war das gleichbedeutend mit dem grossen Aufbruch in die längsten Ferien des Jahres: per Auto ans Mittelmeer, per Flugzeug in die Ferne, per Bahn in spannende Städte. Wer «nur» in der Schweiz Ferien verbrachte, wurde bemitleidet.
2024 sind die Vorzeichen anders. Viele Schweizer verbringen die Sommerzeit im Land. Das zeigt eine Umfrage von Blick bei den wichtigsten Schweizer Reiseveranstaltern. Generell sei die Feriennachfrage zwar über dem Vorjahresniveau, aber nur dank vieler Vorausbuchungen für den Herbst. Dagegen hinkt die traditionell stärkste Saison, der Sommer, hinten nach. Das erstaunt.
«Wir verspüren seit Jahren den Trend, dass Kunden im Sommer eher in der Schweiz Ferien machen, dafür in den Frühlings-, Herbst- oder Sportferien ins Ausland reisen», bestätigt Reto Amin (42) vom Zürcher Spezialisten Amin Travel. Das Phänomen ist nicht auf die Schweiz beschränkt: Jede dritte europäische Reisende macht laut einer Umfrage der Hotelkette Accor einen grossen Bogen um Buchungen in der Hauptsaison.
Das «Sommer-Buchungsloch» hat mehrere Ursachen, aber eine sticht heraus: die Hitze.
Am Mittelmeer ist es zu heiss für viele
Die Verschiebung von Badeferien am Mittelmeer in den Herbst und Frühling sei «möglicherweise verbunden mit dem Wunsch, den im Mittelmeerraum im Sommer oft hohen Temperaturen ausweichen zu können», sagt Karin Markwalder (51), Badeferienchefin bei Kuoni/Helvetic Tours.
Die durchschnittlichen Sommertemperaturen im Mittelmeerraum sind in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen – der touristische Flugverkehr ist ironischerweise einer der Haupttreiber dieses Klimawandels. Die Folge: Hitzewellen und Waldbrände, im letzten Jahr beispielsweise auf Rhodos. «Die Hitze führt dazu, dass einige Schweizer vermehrt Ferien in kühleren Jahreszeiten oder im europäischen Norden buchen», bestätigt auch Hotelplan-Sprecherin Bianca Gähweiler.
Kein Nachholbedarf mehr, abwarten und beobachten
Kommt hinzu: Nach der Corona-Pandemie gab es ein Phänomen namens «Revenge Travel». Der Wegfall der Reise-Einschränkungen führte zu viel Reisetätigkeit, das angesparte Feriengeld wurde verpulvert. Dieser Effekt ist vorbei.
Ein anderer kommt hinzu: Die Reisepreise sind in den letzten Jahren wie in vielen anderen Bereichen unseres Lebens – Mieten, Krankenkasse und mehr – gestiegen. «In der gesamten Branche ist zu beobachten, dass die Schweizer in diesem Jahr sehr lange warten, um ihre Sommerferien zu buchen», analysiert Ludovic Rigel (37), Schweiz-Chef von FTI Touristik. «Die Leute warten ab, wie sich die Preise entwickeln und ob es kurzfristig Schnäppchen zu holen gibt». Es gibt auch Sicherheitsbedenken wegen vieler Konflikte auf der Welt und deren Auswirkungen auf den Reiseverkehr. Manche warten Wetterlage und Entwicklung der Temperaturen am gewünschten Ferienziel ab.
Weiter hilft den Reiseverkäufern nicht, dass es mit der Fussball-EM in Deutschland und den Olympischen Spielen in Frankreich zwei Sommer-Grossevents in der Nähe der Schweiz gibt. Tourismusexperte Christian Lässer (60) von der Uni St. Gallen sieht einen weiteren Grund für die Sommer-Buchungsflaute: «Die Anzahl Reisender, die an Schulferien gebunden sind, nimmt deutlich ab.» Wer nicht während der teuren Sommerferienwochen reisen muss, weicht zum Sparen auf andere Daten aus.
Purzeln jetzt die Preise?
Um die Sommerferien anzukurbeln, planen mehrere Schweizer Reiseveranstalter gezielte Verkaufsförderungsmassnahmen inklusive Preisaktionen. Michael Grütter (58), Schweiz-Chef von Express Travel International, glaubt an einen späten Buchungsansturm: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Sommerbuchungen abgehen.» Auch Markwalder rechnet mit Kurzfristgeschäft, «da die Preise für die Sommermonate aktuell sinken».
Bleibt die Frage, was jene tun, die nicht ins Ausland reisen: Ferien in der Schweiz oder Sommerferien aufsparen und durcharbeiten? Laut einer UBS-Studie wird die Anzahl Schweizer Gäste in Schweizer Hotels diesen Sommer stagnieren oder zurückgehen. Offenbar verbringen viele die Sommermonate tatsächlich auf dem heimischen Balkon.