Ist das Müesli im Regal gesund oder nicht? Abhilfe bei dieser Frage schafft in der Schweiz seit 2019 der Nutri-Score: Das in Frankreich entwickelte und in acht Ländern verwendete «Ampelsystem» liefert anhand einer fünfstufigen Skala von A (dunkelgrün=gut) bis E (rot=schlecht) Hinweise zu den Nährwerten.
Schweizweit machen derzeit rund 70 Unternehmen mit – darunter als Schwergewichte Migros, Nestlé, Danone oder Emmi. Coop blieb aussen vor.
Doch die Migros verabschiedet sich jetzt von dieser Lebensmittelampel. «Der Nutri-Score ist nach mehreren Jahren zu wenig bekannt und führt oft zu Fragen», so Sprecherin Carmen Hefti zu Blick. Kosten entstünden etwa durch die hohen Verpackungsaufwände.
Genauere Angaben macht Migros nicht, hält jedoch fest: «Die Kosten für den Ausstieg sind deutlich geringer als die weitere Umstellung und allfällige künftige Anpassungen aller Produkte.» Mit Umstellung gemeint ist: Das Nutri-Score-System wurde kürzlich überarbeitet. Teilnehmer im Programm haben bis Ende 2025 Zeit, die Änderungen zu berücksichtigen – was Kosten nach sich zieht.
Diverse Kritikpunkte
Die Nutzung des Labels Nutri-Score ist lizenzfrei. Die Erstellung eines Nutri-Scores erfolgt via Algorithmus, der Hersteller ist für die Richtigkeit der Angaben selber verantwortlich. Da entstehen kaum finanzielle Aufwendungen.
Für Ernährungswissenschaftler David Fäh (50) von der Berner Fachhochschule sind nicht die Kosten entscheidend: «Der Nutri-Score vereinfacht die Eigenschaften eines Lebensmittels stark und wird trotzdem von vielen Konsumenten missverstanden.» Damit erreicht das Label die wichtigste Zielgruppe möglicherweise nicht. Eine Lenkungswirkung, etwa im Kampf gegen Adipositas, sei unklar: «Es ist vorstellbar, dass Nutri-Score nun mehr Gegen- als Rückenwind erfährt.»
Obwohl das Update des Nutri-Score Verbesserungen, wie den Einbezug künstlicher Süssstoffe bringt, bleiben Schwächen: Vergleiche über Produktgruppen hinweg sind verwirrend. Dazu berücksichtigt der Nutri-Score andere heikle Zusatzstoffe wie Emulgatoren oder Konservierungsstoffe nicht. «Er bildet gesundheitliche Eigenschaften von Lebensmitteln ungenügend ab», so Fäh.
Konsumentenschutz kritisiert die Migros
Konsumentenschutz-Geschäftsführerin Sara Stalder (57) weiss um diese Schwächen, sieht aber Vorteile im europaweiten System: «Nur auf breiter Basis bringt so ein Programm etwas.» Den Austritt der Migros aus dem Nutri-Score-Programm bedauert sie sehr: «Ich habe grosse Angst, dass weitere Schweizer Unternehmen jetzt dem Beispiel der Migros folgen werden.»
Von Blick dazu befragt, weicht Nestlé aus und hält nur fest: «Wir waren immer offen für eine Weiterentwicklung des Nutri-Score.»
Laut Stalder haben Lobbys der Landwirtschaft und der Verarbeitungsindustrie den Nutri-Score seit längerem schlecht geredet. «Der Nutri-Score ist hauptsächlich eine Übersetzungshilfe für die Zusammensetzung und den Nährwert von Produkten», sagt sie.
Die Migros wird weiterhin Angaben zu Nährwerten auf ihren Artikeln publizieren. Dazu stellt sie zusätzlich die «Nährwerte pro Portion inklusive Angabe zur täglichen Referenzmenge» zur Verfügung.
Braucht es andere Initiativen?
Für Stalder eine Mogelpackung: «Die Industrie kann Informationen nach eigenem Gutdünken präsentieren und braucht sich nicht auf einen wissenschaftlichen, allgemeinen Konsens abzustützen.» Herkömmliche Inhaltsangaben seien «in Lebensmittelchemiker-Sprache und daher komplett unverständlich».
«Die Unternehmen nutzen den gesetzlichen Spielraum», stimmt Fäh zu. Aus seiner Sicht wäre eine Änderung des Lebensmittelgesetzes oder eine Kombination aus Besteuerung und Subventionierung zielführender als der Nutri-Score.