Sind die Farbcodes wettbewerbsverzerrend?
Wie die Käse-Lobby die Lebensmittel-Ampel attackiert

Der Nutri-Score zeigt, ob Esswaren gesund sind oder nicht. Das System benachteilige aber Produkte wie Käse, findet der Ständerat. Konsumentenschützer wehren sich.
Publiziert: 24.06.2023 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2024 um 15:55 Uhr
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«Wir haben festgestellt, dass Nutri-Score für viele Naturprodukte aus der Schweiz faktisch eine Abstrafung bedeutet», sagte Benedikt Würth.
Foto: keystone-sda.ch
Raphael Brunner
Beobachter

Der Ständerat will den Nutri-Score anpassen. Mit 33 zu 8 stimmte er einem entsprechenden Vorstoss zu. Er will verhindern, dass die Lebensmittelampel für alle Produkte obligatorisch wird. Weiter soll der Bundesrat dafür sorgen, dass Lebensmittel wie Käse nicht als zu ungesund klassifiziert werden, weil das Wettbewerbsverzerrungen mit sich bringe.

«Wir haben festgestellt, dass Nutri-Score für viele Naturprodukte aus der Schweiz faktisch eine Abstrafung bedeutet», sagte Benedikt Würth (Die Mitte), der den Vorstoss mit eingereicht hatte, im Rat.

Der Nutri-Score ist ein Ampelsystem. Auf der Verpackung aufgedruckt, soll er den Konsumentinnen helfen, gesunde Lebensmittel auszuwählen. Die Skala reicht von A grün (= ausgewogen) bis E rot (= unausgewogen). Entscheidend ist der Nährwert eines Produkts. Früchte, Gemüse, Nüsse, gewisse Öle und Proteine beeinflussen die Bewertung positiv, ein hoher Gehalt an Zucker, Salz, Fett und Energie wirkt sich negativ aus.

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Ursprünglich aus Frankreich, sind heute auch in Schweizer Supermärkten und Läden immer mehr Produkte mit dem Nutri-Score gekennzeichnet.

Konsumentenschutz will obligatorische Kennzeichnung

Konsumentenschützer kritisieren scharf, dass der Ständerat den Einsatz des Nutri-Scores beschränken will. «Die Ampel ist für Konsumenten eine grosse Hilfe», sagt Sara Stalder vom Konsumentenschutz. 183 Marken und über 6900 Produkte seien bald damit gekennzeichnet.

Studien zeigen, dass nicht nur die Konsumentinnen gesünder einkaufen, wenn auf Lebensmitteln der Nutri-Score angebracht ist. Auch die Produzenten passen ihre Produkte an, nehmen zum Beispiel Zucker aus Müesliriegeln raus, um eine bessere Wertung zu erzielen. «Wir wünschen uns darum, dass der Nutri-Score obligatorisch für alle Produkte wird, statt dass der Bundesrat sein Engagement zurückbindet», sagt Sara Stalder. «Je stärker verbreitet sie ist, desto hilfreicher ist eine solche Kennzeichnung.»

Auch der Bundesrat wollte den Nutri-Score nicht neu regeln und lehnte den Vorstoss ab. Er habe nicht vor, die Ampel obligatorisch zu machen, sagte Gesundheitsvorsteher Alain Berset (SP) im Rat. Die Ampel solle ein freiwilliges Instrument bleiben.

Allerdings erwarten sowohl Befürworter wie Gegner der Lebensmittelampel, dass die EU den Nutri-Score bald bei allen Produkten für obligatorisch erklären wird. «Dann müsste die Schweiz nachziehen, was auch gut wäre», sagt Sara Stalder. Benedikt Würth und die Mehrheit des Ständerats hingegen wollen rechtzeitig gegensteuern.

Wird Konsumenten der Käse verleidet?

Der St. Galler Ständerat Würth sagt, der Nutri-Score sende oft falsche Signale. Käse zum Beispiel habe einen hohen Fettanteil. Aber er enthalte auch viel Kalzium, was im Score nicht zum Tragen komme. Wenn eine schlechte Bewertung die Konsumenten davon abhalte, Käse zu kaufen, sei das wettbewerbsverzerrend.

«Käse ist sicher nicht ungesund, sondern Teil einer ausgewogenen Ernährung», sagt der Präsident der Vereinigung AOP-IGP, eines Labels für traditionelle Schweizer Spezialitäten, insbesondere Käse und Wurst. Der Vorstoss beauftragt den Bundesrat, für den Nutri-Score Regeln festzusetzen, die einer Benachteiligung bestimmter Lebensmittel entgegenwirken. «Bei Käse können wir schliesslich nicht einfach das Fett rausnehmen, dann ist es kein Käse mehr.»

Der Bundesrat hält allerdings fest, dass er die Berechnung des Nutri-Scores nicht beliebig verändern kann. Grundlage ist ein Algorithmus, der in Frankreich erstellt worden ist. Es gebe nur einen Nutri-Score europaweit, alles andere mache keinen Sinn, sagte Bundesrat Alain Berset im Ständerat.

Wie andere Länder ist die Schweiz aber in einem Beirat vertreten, der den Algorithmus überwacht und weiterentwickelt. Das wurde bereits getan. Bei Süssgetränken etwa werden künstliche Süssstoffe neu mitberechnet. Cola Zero wird damit von B auf C abgestuft. Apfelschorle klettert mit der neuen Berechnung von D auf C. Obstproduzenten hatten sich in der Vergangenheit über die schlechtere Bewertung beschwert.

Müesli mit Müesli vergleichen

«Der Nutri-Score ist nicht dazu da, zwischen Käse oder Cornflakes abzuwägen», sagt Konsumentenschützerin Stalder. Ziel sei, dass sich verschiedene Cornflakes-Sorten in Bezug auf ihren Nährwert vergleichen lassen. «Es ist darum wichtig, dass der Bund besser informiert, wozu der Nutri-Score da ist.»

Den Leuten zu helfen, sich gesund zu ernähren, sei dringend notwendig, sagt die Konsumentenschützerin. In der Schweiz sind heute 40 Prozent der Erwachsenen stark übergewichtig, genauso wie 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen. «Dass Käse zwar fein ist, aber mit Mass genossen werden sollte, darüber darf man die Leute durchaus informieren.»

Als Nächstes entscheidet der Nationalrat, wie der Bundesrat beim Thema Nutri-Score weiter vorgehen soll.

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