3223 Gläubige weniger innert sieben Wochen in der katholischen Landeskirche des Kantons Zürich, Tausende weitere an anderen Orten in der Schweiz: Seit zwei Forscherinnen der Universität Zürich am 12. September eine Studie veröffentlicht haben, die über 1000 Missbrauchsfälle aufdeckt, beschäftigt das Thema Kirchenaustritt die Pfarreien im ganzen Land.
Die Austrittswelle hat eine ökonomische Seite. Nicht nur für die Kirche in Form von sinkenden Kirchensteuereinnahmen. Es gibt Leute, die an den Austritten Geld verdienen: Wenn man das Wort «Kirchenaustritt» in die Suchmaschine eingibt, erscheinen Sites wie Kirchenaustritt24.ch, Austritt.ch oder Kirchenaustritt.ch auf den obersten Positionen.
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Kirchenaustritt braucht kein Formular
Rund 30 Franken verlangen diese Anbieter für ein Kirchenaustrittsformular. Dieses besteht aus einem vorgefertigten Brief, der der zuständigen Kirchgemeinde wortreich erklärt, dass die betreffende Person mit der Kirche nichts mehr zu tun haben möchte.
Bloss: Es geht auch viel einfacher, und zwar in den meisten Kantonen kostenlos. «Ein Blatt Papier mit einem Satz und einer handschriftlichen Unterschrift an die Kirchgemeinde genügt, um aus der Kirche auszutreten», sagt Simon Spengler, Sprecher der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.
Die Drittanbieter sind ihm schon lange ein Dorn im Auge. Nicht weil er – wie einige der Anbieter behaupten – den Moralapostel spielen und den Leuten den Austritt erschweren will. «Aber den Leuten Geld abzuknöpfen für etwas, was man auch gratis haben kann, ist Schindluderei», findet Spengler.
Angeblich zahlen nur zehn Prozent für ein Austrittsformular
Einer dieser Websitebetreiber ist Stefan Amrein von Kirchenaustritt Schweiz. Er weist den Vorwurf zurück und sagt, die Kirche diffamiere seine Organisation seit der Gründung. Zudem würden nur etwa zehn Prozent seiner Kunden die kostenpflichtige Version wählen. Die Besucher der Website hätten die Möglichkeit, ein kostenloses Formular herunterzuladen. Allerdings findet man das Gratisdokument erst nach längerem Suchen. Wer auf die Wörter «Kirchenaustritt-Formular» oder «Austrittsbrief» klickt, landet immer beim kostenpflichtigen Dienst.
Auch der Betreiber der Konkurrenzplattform Kirchenaustritt24.ch betont, dass er neben der Bezahlversion ein kostenloses Angebot habe. Um dorthin zu gelangen, müssen die Kunden aber eine seiner weiteren Websites aufrufen. Die Links zu diesen findet man aber auch erst nach längerem Suchen.
Wie viele Menschen Amreins Website monatlich aufrufen und wie viel Geld er mit dem Business verdient, möchte er nicht sagen. Klar ist nur: Die Website wird von seinem Verein Kirchenaustritt Schweiz betrieben, das Geld fliesst aber nicht in die Vereinskasse. Denn der Verein darf als gemeinnützige Organisation keinen Gewinn machen. Stattdessen stellt Amreins Firma Simple-net AG die Rechnungen aus.
Unterschrift muss in St. Gallen beglaubigt werden
Doch wofür zahlen die Kundinnen und Kunden überhaupt? Stefan Amrein erklärt, man erhalte «ein 100 Prozent vollständig ausgefülltes Formular», müsse die Adresse der Kirchgemeinde nicht selbst heraussuchen und könne sich zurücklehnen, wenn es Scherereien gibt. «Sie profitieren von unserer Bekanntheit, wenn es beim Austritt Probleme gibt. Dann schalten wir unseren Anwalt ein.»
Im Kanton St. Gallen verlaufe der Austritt in rund 30 Prozent der Fälle nicht reibungslos. «Manchmal scheitert es an der Inkompetenz der ländlichen Kirchgemeinden, aber mir scheint, dass der Austritt aus ideologischen Gründen erschwert wird», sagt Amrein.
Tatsächlich kennt das katholische Kirchenrecht im Kanton St. Gallen eine Besonderheit: Wer nicht mehr Mitglied sein will, muss neben dem Austrittswillen eine von der Einwohnergemeinde oder einem Anwalt beglaubigte Unterschrift einreichen. Diese Dienstleistung kostet – unabhängig davon, ob man bereits ein kostenpflichtiges Formular bei einem der Anbieter bestellt hat. Ob die von Amrein angeführten Probleme vor allem darauf zurückzuführen sind, dass diese Hürde den Kunden möglicherweise zu spät bewusst wird, bleibt unklar.
Kirche widerspricht: Kein erschwerter Austritt
Thomas Franck, Verwaltungsdirektor der katholischen Kirchenadministration St. Gallen, sagt: «Wenn ein Gesuch bei einer der 90 Kirchgemeinden eintrifft und die Vorgaben eingehalten wurden, ist der Austritt rechtsgültig.» Dass sie den Mitgliedern den Vorgang absichtlich erschweren, könne er nicht bestätigen. «Das wäre sinnlos. Wenn jemand austreten will, dann will er raus.» Er könne nicht ausschliessen, dass mal ein Brief etwas länger liegen bleibe, da die Kirchgemeinden teilweise Laienbehörden seien. «Mir ist aber nicht bekannt, dass es in einzelnen Kirchgemeinden grössere Probleme gibt mit Kirchenaustritten.»