Katholische Priester haben über Jahrzehnte Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. Die Bischöfe schauten weg. Übergriffe wurden vertuscht, fehlbare Priester einfach versetzt. Mindestens 1000 Fälle zählt eine Studie der Universität Zürich im Auftrag der Bischofskonferenz schweizweit seit 1950. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Fälle nicht bekannt sind. Die tatsächliche Zahl ist daher mit Sicherheit höher.
Viele Gläubige sind enttäuscht von der katholischen Kirche und kehren ihr den Rücken. Dies zeigt eine Umfrage von SRF bei Kirchgemeinden in der ganzen Schweiz. In Basel-Stadt etwa ist die Zahl der Kirchenaustritte nach Veröffentlichung der Studie stark angestiegen: In rund zwei Wochen gab es 140 Austritte. Normalerweise gibt es laut der römisch-katholischen Kirche Basel-Stadt pro Monat rund 50 Austritte. Auch die römisch-katholische Kirche in Basel-Landschaft stellt einen Anstieg der Austritte fest. Sie nennt jedoch keine genauen Zahlen.
Hochburgen werden nicht verschont
Im Stadtpfarramt Baden gibt es momentan wöchentlich 20 bis 25 Austritte. Überraschend treten dort auch ältere Personen aus. Zwei Pastoralräume im Kanton Solothurn zählen ebenfalls mehr Austritte als üblich.
Sogar in den katholischen Hochburgen der Zentralschweiz wenden sich die Menschen von der Kirche ab. In der Stadt Luzern traten in den zwei Wochen nach Veröffentlichung der Studie rund 160 Gläubige aus der Gemeinschaft aus. Normal wären rund 13 Austritte pro Woche. In der Stadt Zug traten im gleichen Zeitraum 50 Personen aus der katholischen Kirche aus. In Schwyz waren es 70 Austritte, in Nidwalden 35. Von einem Anstieg der Austritte berichten auch Kirchengemeinden in Obwalden und Uri.
Auch im Wallis sind die Folgen der Studie spürbar. Die Pfarreien von Brig, Naters und Visp rechnen normalerweise mit 10 Austritten pro Jahr. Diese Zahl ist nun allein in zwei Wochen zustande gekommen.
778 Austritte in grössten Zürcher Kirchgemeinden
In Zürich, Winterthur, Uster und Dübendorf, den vier grössten Kirchgemeinden im Kanton Zürich, traten in zwei Wochen 778 Menschen aus der Kirche aus. Zuvor war eine solche Zahl erst innert drei Monaten erreicht worden. In St. Gallen erhöhten sich die Kirchenaustritte nach der Veröffentlichung der Studie von 25 auf 120 in zwei Wochen. In Frauenfeld von 10 auf 56.
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Wie die «NZZ» berichtet, gab es 2021 laut der Kirchenstatistik des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) mit 34'000 an der Zahl die bisher meisten Kirchenaustritte. Aufgrund der gegenwärtigen Empörung dürfte sich ein neuer Rekord anbahnen.
Ein erhöhtes Interesse an Kirchenaustritten stellt jedenfalls auch der Verein «Kirchenaustritt» fest. Gründer Stefan Amrein: «So hoch wie in diesen Tagen war die Nachfrage noch nie.» Im Vergleich zum Vorjahr habe es nach der Veröffentlichung der Studie 10- bis 15-mal mehr Zugriffe auf die Website gegeben. (noo)