Auf einen Blick
- SBB ignorierten frühen Ausstiegsbericht des Schüttelzug-Projekts
- Probleme seit Projektbeginn: Züge rütteln, Passagiere unzufrieden
- Die SBB bestellten 59 Doppelstockzüge für 1,9 Milliarden Franken
- Es ist unklar, wie hoch die Umbaukosten der Schüttelzüge sind, angeblich tiefer als 250 Millionen
Das Fiasko mit den Schüttelzügen der SBB nimmt kein Ende. Jetzt wurde bekannt, dass ein interner Bericht frühzeitig den Ausstieg aus dem Projekt empfahl. Was jedoch vom SBB-Management um den früheren CEO Andreas Meyer (63) ignoriert wurde.
Wie die «SonntagsZeitung» schreibt, lieferte ein Schadensregulierungsbeauftragter bereits Anfang 2014 einen alarmierenden Statusbericht ab. Darin hält er eine «schlechte technische Reife des Projekts» fest und behauptet, diese sei Grund für die verspätete Auslieferung der Züge.
Von Anfang an ein Problemzug
Zur Erinnerung: Die SBB kündigten 2010 die «grösste Rollmaterialbestellung ihrer Geschichte» an. Bei Bombardier (heute Alstom) bestellten sie 59 Doppelstockzüge für den Fernverkehr, für ein Auftragsvolumen von rund 1,9 Milliarden Franken. Doch die Probleme liessen nicht auf sich warten. Die Auslieferung wurde mehrfach verschoben. Offiziell, weil Umbauten für bessere Behindertengerechtigkeit nötig waren.
Doch die Probleme gehen viel tiefer. Als die Züge 2018 endlich im Passagierverkehr zum Einsatz kamen, hagelte es vernichtende Kritiken: Die Fahrgäste bemängelten den Fahrkomfort, weil die Züge namens FV-Dosto während der Fahrt rütteln und schwanken. Die genervten Passagiere prägten den Begriff Schüttelzug.
Grund für das Rütteln ist eine «Wankkompensation», die schnelles Fahren in Kurven erlauben sollte. Damit lässt sich schneller fahren, also der Fahrplan weiter optimieren.
Doch das funktioniert nie richtig. Die SBB verzichteten ab 2022 auf das schnelle Fahren in Kurven. Das Ruckeln blieb. Deshalb meldete die Bundesbahn in diesem Sommer, dass sie die Schüttelzüge umbaut. Der Umbau der FV-Dosto-Züge der SBB wird voraussichtlich bis Anfang 2030 dauern. Mehrheitlich auf eigene Kosten. Wie hoch diese sind, verraten die SBB nicht. Die vom «K-Tipp» kolportierte Zahl von 250 Millionen Franken sei «falsch»: Man gehe aktuell «von wesentlich tieferen Kosten» aus.
Milliardenausgaben trotz Warnung
Bei diesen Zusatzkosten wird es jedoch nicht bleiben. Für mehrere Milliarden Franken sollen die Strecken Bern–Lausanne und Winterthur–St. Margrethen neu gebaut werden, damit die SBB die versprochene Fahrzeitverkürzung trotzdem erreichen können.
Das rückt den Bericht des Schadensregulierungsbeauftragten in ein neues Licht. Dieser hielt nicht nur fest, dass Bombardier keinen einzigen Termin einhalten könne, sondern auch, dass er einen «Worst Case» für das Projekt nicht ausschliesse. Die Chance für einen Totalausfall lag dem Bericht zufolge bei 40 Prozent. Er empfiehlt die Suche nach Alternativen.
Doch laut der «SonntagsZeitung» haben Meyer und seine damalige Leiterin Personenverkehr Jeannine Pilloud (60) den Verwaltungsrat über den Bericht nicht in Kenntnis gesetzt. Sie räumten zwar Probleme ein, schlossen aber einen Rücktritt der SBB aus dem Werkliefervertrag «wegen Schadenersatzforderungen» aus.
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Brisant: Im Januar 2014 hoffte Meyer gegenüber Blick noch, dass die Auslieferung der Züge bis 2015 erfolgen könne. Wenige Tage später setzte er den Verwaltungsrat in Kenntnis, dass Bombardier die Lieferung der ersten Fahrzeuge für 2016 verspreche. Dazu zeigt eine gestaffelte Zahlung nach Abnahme der Wankkompensation sowie separat nach dem Nachweis von deren Funktionieren, dass sich die SBB klar über die Produktionsprobleme waren.
Die SBB beschwichtigt
Natürlich gibt es bei grossen Beschaffungsprojekten stets grössere und kleinere Probleme. Meyer selber sagt, er habe den Stand des Projekts nie beschönigt.
Auch der aktuelle SBB-Chef Vincent Ducrot (62) kriegt sein Fett weg. Er unterzeichnete 2010 als Leiter Fernverkehr den Vertrag mit Bombardier. Und vergass darin offenbar ein frühzeitiges Rücktrittsrecht aus dem Vertrag. Weshalb eine Schadenersatzforderung von Bombardier möglich gewesen wäre, trotz der Produktionsprobleme.
Diese wäre aber wohl tiefer ausgefallen als die Kosten, die die SBB 14 Jahre nach dem Kauf für die Behebung des Schüttelzug-Fiaskos aufwerfen müssen.