Kein anderes Ereignis hat das Wirtschaftsjahr 2023 so geprägt wie der Untergang der Credit Suisse. Bis zuletzt hatten viele geglaubt, ja gehofft, dass sich das Schlimmste noch abwenden liesse. Doch die Bank war so marode, dass nur noch der Notverkauf an die UBS eine globale Finanzkrise verhindern konnte.
Es war ein grauer Sonntag im März, als der Finanzplatz erschüttert wurde. Das grosse Bankenbeben hatte sich über Jahre abgezeichnet. Seit Mitte 2022 traten die Vorbeben immer häufiger auf, schickten erste Schockwellen durch das Finanzsystem, die Kundinnen und Kunden liefen der Bank davon. Am 19. März 2023 brach das morsche Gebälk der 176 Jahre alten Credit Suisse unter lautem Getöse zusammen – die CS war Geschichte.
Das entscheidende Essen
Auch die letzten Stützen hatten versagt. Damit hatte selbst Sergio Ermotti (63) nicht gerechnet. «Ich hätte nie gedacht, dass es zu so einem dramatischen Ende der CS kommen könnte», sagt der Tessiner im Gespräch mit Blick. Wenige Wochen später sass Ermotti wieder auf dem Thron der neuen UBS. Sein Vorgänger – der Niederländer Ralph Hamers (57) – wurde elegant in die Wüste geschickt.
Es brauchte ein Abendessen mit UBS-Präsident Colm Kelleher (66) und zwei Tage Bedenkzeit bis Ermotti zusagte, die Fusion der beiden Grossbanken anzuführen. Er folge dem «Ruf der Pflicht», wie er selber sagt: «Es ist eine grosse Motivation für mich, diese Integration zu leiten und einen Mehrwert für die Aktionäre, die Kunden und auch den Finanzplatz Schweiz zu schaffen.»
Der Anfang vom Ende
Der schleichende Niedergang der CS hatte spätestens mit dem Abgang von Brady Dougan (64) 2015 eine neue Dynamik bekommen. Mit dem Amerikaner ging der letzte CS-CEO von Bord, der das Risikomanagement noch zur Chefsache erklärt hatte. Der toxischen Risikokultur vor allem im Investmentbanking waren von diesem Zeitpunkt an keine Schranken mehr gesetzt.
Der ungezügelte Risikoappetit gipfelte Jahre später in milliardenteuren Debakeln mit dem amerikanischen Hedgefund Archegos und mit Greensill Capital. All die Bussen, Schadensersatz- und Vergleichszahlungen rissen tiefe Löcher in die Kasse der Bank. Unterm Strich verdiente die CS in den letzten 15 Jahren ihres Daseins insgesamt gerade mal 800 Millionen Franken – und zahlte trotz des mageren Gewinns im selben Zeitraum 40 Milliarden Franken an Boni aus.
Die Bank hätte dringend ein nachhaltiges Geschäftsmodell gebraucht. Doch die letzten Chefs der CS – Präsident Axel Lehmann (64) und CEO Ulrich Körner (61) – versagten auch in dieser Hinsicht. Im Oktober 2022 präsentierte die Bank einen Umbauplan, der auf weitere Jahre hinaus Verluste in Aussicht stellte. Damit war das Schicksal der Bank besiegelt.
Nationalbank greift ein
Auch wenn das viele – vor allem in der Schweiz – noch nicht so richtig wahrhaben wollten. «Erst am Donnerstag vor der Übernahme durch die UBS ist für Aussenstehende erkennbar geworden, wie schlecht es um die CS wirklich steht», sagt der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (57).
Am Abend zuvor hatte die Nationalbank der CS 50 Milliarden Franken Notfallliquidität zur Verfügung gestellt – und betonte einmal mehr, dass die Bank die Anforderungen bezüglich Kapital und Liquidität erfülle. «Bis im März konnte man davon ausgehen, die CS habe noch eine Chance. Die relevanten Kennzahlen der Bank waren ok. Das haben die Behörden immer wieder bekräftigt», erinnert sich Straumann.
Doch Märkte und Kunden liessen sich schon lange nicht mehr blenden. Der Aktienkurs war im Keller, die Kunden zogen ihr Geld ab. Zeitweise verlor die CS 10 Milliarden Franken an Kundengeldern – pro Tag.
Ermotti entspannt an der Seitenlinie
Nun folgten die dramatischsten vier Tage der jüngeren Schweizer Finanzgeschichte. Bundesrat, Nationalbank, Finma und Vertreter der beiden Grossbanken trafen sich zu einer Notsitzung nach der anderen.
Das liess auch bei Sergio Ermotti die Alarmsignale blinken: «Es gibt keine Notsitzung des Bundesrates, die ohne Grund öffentlich gemacht wird. Für mich war klar, die CS kann am Montag nicht so weiter machen. Am Wochenende musste etwas passieren.»
Hektik allerdings kam bei ihm keine auf: «Bis am Samstagnachmittag war ich nur ein Beobachter», erzählt der Tessiner, der auch Präsident eines Fussballclubs ist. «Donnerstag und Freitag war ich Skifahren. Am Samstag habe ich das Fussballspiel meines FC Collina d'Oro gegen Zug 94 angeschaut. Bis zur Halbzeit habe ich alle Telefone ignoriert.»
Das konnten andere nicht tun: Unter Anwendung von Notrecht und unter Umgehung der Aktionäre der beiden Grossbanken wurde das Rettungspaket geschnürt, die CS für drei Milliarden Franken an die UBS verkauft. Am Sonntagabend um 19.30 Uhr traten Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59), Bundespräsident Alain Berset (51), Finma-Präsidentin Marlene Amstad (55), SNB-Präsident Thomas Jordan (60) sowie UBS-Präsident Kelleher vor die Medien – und verkündeten das Ende der traditionsreichen Credit Suisse. Mit am Tisch sass wie ein begossener Pudel CS-Präsident Lehmann.
Neue Regeln für die Banken
Der Schock in der Schweiz war gross: Schnell machte das Wort von der «Monsterbank» die Runde. Die Bilanzsumme der UBS schwoll mit einem Schlag auf über das Doppelte der jährlichen Schweizer Wirtschaftsleistung an. Für Straumann ist wegen der schieren Grösse der UBS und dem Fehlen einer zweiten Grossbank klar, was passieren wird, sollte die UBS je in Schieflage geraten: «Eine temporäre Teilverstaatlichung lässt sich in Zukunft kaum vermeiden, auch wenn die Bank nachher abgewickelt wird.»
In der Politik wurde sofort der Ruf nach einer schärferen Regulierung der Banken laut. Diese Rufe sind leiser geworden: «Inzwischen verstehen viele Leute: Auch mit mehr Kapital hätte man die CS nicht retten können», sagt Ermotti heute. Will heissen: Erst sollen die Fakten zum Untergang der CS auf dem Tisch liegen, dann soll über eine Stärkung der Finma und neue Regeln für die Banken nachgedacht werden.
Verunsicherung der Mitarbeitenden
Inzwischen schreitet die Integration der CS voran. Voraussichtlich dürfte dieser Prozess 2026 abgeschlossen sein: «Das ist ein Marathon und wir sind erst bei 10 Kilometer», so Ermotti. «Aber wir sind uns bewusst, dass wir gut trainiert haben. Schauen, dass wir regelmässig trinken und uns verpflegen. Wir wissen auch, dass es bei jedem Marathon immer mal wieder Rückschläge geben kann.» Doch diese Rückschläge werde die Bank überstehen und am Ziel ankommen, ist der UBS-Chef überzeugt.
Einige allerdings werden auf der Strecke bleiben. Alleine in der Schweiz will die UBS 3000 Stellen abbauen. Noch ist offen, wen es genau treffen wird. Auch weil die Systeme der CS solange weiterlaufen müssen, bis die Integration vollständig abgeschlossen sein wird. So lange wird sich auch die bei vielen Mitarbeitenden spürbare Verunsicherung nicht legen.