War die Übernahme der Credit Suisse (CS) durch die UBS die einzige Möglichkeit, einen Bankenkollaps zu verhindern? Auch ein halbes Jahr nach der Notübernahme der CS läuft die Debatte auf Hochtouren. Und gerade ausländische Banken-Aufsichtsexpertinnen und -experten bedauern, dass die Schweiz die Credit Suisse nicht in die Abwicklung geschickt hat – so wie es die Bankenregulierung, die nach der Weltfinanzkrise entwickelt wurde, eigentlich vorsah. Bei einer geordneten Abwicklung bzw. Sanierung übernimmt die Aufsicht die Kontrolle über die Krisenbank, stärkt das Kapital und versucht, werthaltige Teile zu retten oder zu verkaufen.
«Die Schweiz hätte einen anderen Weg gehen können, es gab vom Ausland keinen Druck, die Übernahmelösung zu wählen», sagt ein mit den Vorgängen vertrauter Top-EU-Aufsichtsexperte, der seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will, weil das Thema brisant ist. «Wenn man sagt, dass die Abwicklung einer Grossbank zu gefährlich ist, hätte das weitreichende Folgen», so die Auskunftsperson.
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Die Schweiz wird die UBS nicht retten können
Denn wenn man dies zu Ende denke, dürfe die UBS dann eigentlich nicht länger ihren Sitz in der Schweiz haben, meint der Experte. Denn eine andere Schweizer Bank, welche die UBS im Falle einer Krise übernehmen könne, gebe es nicht. Und für eine Verstaatlichung sei die UBS schlicht zu gross.
Der Experte unterstreicht damit die Argumentation eines bemerkenswert kritischen Berichts des Finanzstabilitätsrats (Financial Stability Board – FSB). In diesem Gremium sind die weltweit wichtigsten Finanzaufsichtsbehörden, Ministerien und Notenbanken vereint. Laut dem FSB-Papier hat es «keine materiellen Hindernisse für eine Abwicklung» der Credit Suisse gegeben. Da die US-Behörden ein wichtiger Player beim FSB sind, kann man davon ausgehen, dass auch das US-Finanzministerium und die Notenbank Fed hinter dem Bericht stehen. Auch ein vom Bundesrat bestellter Expertenbericht über die Folgen der CS-Krise kommt zum Schluss, dass die Abwicklung oder die Sanierung der CS unter Leitung der Finma möglich gewesen wäre.
Das FSB-Papier widerspricht damit den Einschätzungen der Schweizer Behörden. Das Eidgenössische Finanzdepartement begründet die gewählte Übernahmelösung damit, dass «der massive Vertrauensverlust in die Credit Suisse vor dem Wochenende vom 18. und 19. März derart umfassend war, dass höchst fraglich war, ob eine erneute Kapitalerhöhung und eine Sanierung das notwendige Vertrauen wieder hätten herstellen können.»
Wie hätten die Finanzmärkte reagiert?
Der oben zitierte Aufsichtsexperte räumt ein, dass es schwierig sei, die Marktreaktionen auf einer Abwicklung im Voraus abzuschätzen. «Der entscheidende Punkt ist, welche Story man den Märkten am Montag erzählt, sprich, wie es mit der Bank nach dem Beschluss der Abwicklung weiter geht.» Die Finma hätte im Falle der Abwicklung erklären müssen, wer der Sanierungsbeauftragte ist und was mit der CS genau nun passiert – zum Beispiel, welche Bankteile verkauft oder final abgewickelt werden.
Eine Abwicklung der CS hätte so aussehen können: Die Aufsicht Finma erklärt, dass die CS nicht mehr überlebensfähig ist. Das Aktienkapital wird auf null abgeschrieben. Die sogenannten AT1-Anleihen sowie weitere verlustabsorbierende Kapitalinstrumente werden abgeschrieben oder in Eigenkapital gewandelt. Die Finma übernimmt die Kontrolle über die Bank, wirft das Management raus und setzt einen Sanierungsbeauftragten ein.
Am Montag darauf hätte die CS wieder ihre Schalter geöffnet und über 73 Milliarden Franken neues Eigenkapital verfügt. Zudem wären auch im Falle der Abwicklung neue Liquiditätshilfen der Notenbank nötig gewesen.
Blackrock war an Teilen der CS interessiert
«Im Falle der Abwicklung der Credit Suisse hätte am Ende des Prozesses ebenfalls die Übernahme durch die UBS stehen können», so der Experte. Es wäre zudem besser gewesen, den Deal im Rahmen einer Abwicklung aufzugleisen. Denn so wäre auch die Gläubiger-Hierarchie gewahrt geblieben, bei der zuerst die Aktionäre ihr Geld verlieren und dann die Anleihen-Investoren dran sind. Beim UBS-Deal hatte es international einen Aufschrei gegeben, weil die CS-Aktionärinnen und -Aktionäre immerhin noch UBS-Aktien im Wert von drei Milliarden Franken bekamen, während die AT1-Gläubiger alles verloren.
Neben einer Vollübernahme wären im Abwicklungsverfahren auch Teilverkäufe der CS möglich gewesen. Blackrock war bekanntlich am Wealth Management der Credit Suisse interessiert und hatte sogar schon ein Krisenteam am fraglichen Märzwochenende zusammengestellt. Da aber die Herauslösung der Kernsparte der CS über nur ein Wochenende nicht machbar war, zog sich Blackrock wieder zurück.
Für das Schweiz-Geschäft – dem Juwel der Credit Suisse – hätten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit potente Kaufkandidaten wie eine Santander oder eine BNP Paribas gefunden. Fraglich bleibt, wie die Märkte auf ein Filetieren der CS reagiert hätten und ob das Kundenvertrauen so hätte wiederhergestellt werden können.
Genau das bezweifeln die Schweizer Behörden: «Die weitergeführte Bank wäre immer noch die Credit Suisse gewesen, mit einem dann gewiss durch die angeordnete Sanierung noch stärker beschädigten Ruf», hatte Finma-Chef Urbahn Angehrn im April zur Frage gesagt, warum die Aufsicht vor diesem Weg zurückgeschreckt ist.
«80 Prozent Erfolgschance einer Abwicklung»
Die Schweiz wäre die erste Behörde weltweit gewesen, die eine Grossbank tatsächlich in die Abwicklung schickt. Daher gibt es offenbar im Ausland grosses Bedauern, dass die Schweiz das nicht durchgezogen hat. Denn damit hätte der Weg der Abwicklung international an Glaubwürdigkeit an den Märkten gewonnen. «Die CS war eine der kleinsten global systemrelevanten Banken und in der Eurozone eher unbedeutend», analysiert der Gesprächspartner.
«Europa betreibt derzeit viel Lobbying, damit die Abwicklung einer Bank weiterhin als Option erhalten bleibt», sagt ein Finma-Insider. Auch er bedauert, dass man im Fall CS die Grossabwicklung nicht gewagt hat. «Ich taxiere die Erfolgschancen auf 80 Prozent, aber ich kann auch verstehen, dass dem Bundesrat das Restrisiko des Scheiterns zu hoch war.»
Auch der befragte EU-Experte räumt ein, dass die Fusionslösung ohne Zweifel den Vorzug hat, dass sie unmittelbar die Finanzmärkte beruhigt hat. Die UBS ist in solch einer guten Verfassung, dass ihr die Akteure die Übernahme und erfolgreiche Integration zutrauen. «Das Problem dieser Lösung besteht aber darin, dass sie Folgeprobleme mit sich bringt», warnt der EU-Experte. Zum einen bekommt die Schweiz ein Wettbewerbsproblem, weil die UBS nun eine dominante Position im Heimatmarkt hat – eine Einschätzung, der UBS-Chef Sergio Ermotti mit Leidenschaft widerspricht und dabei gern auf die grosse Marktmacht der zum Teil staatlichen Kantonalbanken verweist.
Das zweite Folgeproblem sei, so der Experte, dass die Schweiz mit der UBS nun eine noch grössere Bank habe, bei der heute vollkommen unklar sei, was mit ihr geschehen soll, sollte sie in Zukunft wie einst 2008 in Schieflage geraten. Eine private Übernahme der UBS scheint unmöglich, denn Käuferin müsste eine ausländische Bank sein. Eine grenzüberschreitende Grossbankfusion ist aber an einem Wochenende nicht zu stemmen.
Aufseherinnen und Aufseher müssen ein Drehbuch schreiben
«Vor diesem Hintergrund ist es für die Zukunft wichtig, dass die Aufsichtsbehörden weltweit die Abwicklung besser vorbereiten», so der Experte. Dazu sei nötig, dass zum Beispiel die Schweiz ein Drehbuch mit genauen Schritten erarbeitet, was mit welchen Teilen der UBS im Falle ihrer Abwicklung passieren soll. Dieser Plan müsse so gut sein, dass er die Märkte überzeuge.
Die CS ist Geschichte. Doch ihr Crash hallt weiter nach. Und ob die mühsam erarbeiteten Abwicklungspläne jemals den Realitätstest überstehen werden, steht weiter in den Sternen.