Auf einen Blick
- Homeoffice-Debatte: Chef kritisiert Coiffeur-Besuch während Arbeitszeit
- Arbeitsrecht verbietet private Erledigungen, moderne Firmenkulturen sind aber teils offener
- HR-Experten sind sich uneinig über den Coiffeur-Fall
Kai-Gunnar Hering ist so richtig wütend: Der Hamburger ist Chef der Marketingagentur Dewon Media GmbH – und hat kürzlich einen geharnischten Post auf dem Karriereportal Linkedin verfasst. «Wir müssen endlich aufhören, so zu tun, als wäre Homeoffice jemals eine gute Idee gewesen», schreibt er. Auslöser seiner emotionalen Nachricht ist das Verhalten einer Angestellten. Diese soll von 9 Uhr bis 13 Uhr zum Coiffeur gegangen sein, um sich gemütlich die Strähnchen machen zu lassen – während der Arbeitszeit. Sein hartes Fazit: «Das ist nicht Homeoffice. Das ist Chaos!»
Mittlerweile gibt es kritische Stimmen, die an der Echtheit des Wut-Posts zweifeln oder Herings Beweggründe für seinen Linkedin-Beitrag hinterfragen. Sie unterstellen dem deutschen Manager, nicht wirklich empört zu sein und bloss Klicks und Likes sammeln zu wollen. Zumindest das ist ihm gelungen: Sein Post hat mittlerweile über 5000 Kommentare. Und auch die Blick-Community diskutiert angeregt über den Fall.
Das zeigt: Unabhängig davon, was den Hamburger Chef zu seinem Post veranlasst hat, ist die Debatte über den richtigen Umgang der Angestellten mit Homeoffice und privaten Terminen ein Thema, das die arbeitenden Menschen bewegt. Ist ein Coiffeur-Besuch während der Arbeit komplett unakzeptabel? Oder gehört das in der heutigen modernen Arbeitswelt dazu? Blick ordnet den Fall mit HR-Experten ein – und klärt arbeitsrechtliche Fragen.
Das Arbeitsrecht setzt klare Grenzen
Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist der Fall eindeutig: Private Erledigungen sind in der Pause oder Freizeit zu erledigen. Ein Coiffeur-Termin während der Arbeitszeit – und damit auch im Homeoffice – ist von Gesetzes wegen also per se nicht erlaubt. Als Arbeitnehmer hat man eine Treuepflicht und ist daher grundsätzlich den Weisungen des Arbeitgebers verpflichtet. Wer sich diesen widersetzt und trotz Verbot des Chefs zum Coiffeur geht, dem drohen disziplinarische Massnahmen – von einer Abmahnung bis zur Kündigung.
Bei der Frage, ob Angestellte eine Homeoffice-Pause für einen Coiffeur-Termin einlegen dürfen, ist entscheidend, ob es vertraglich festgelegte Arbeitszeiten oder Verfügbarkeiten gibt. Oder ob die Mitarbeitenden keine fest definierten Zeiten haben. Sind Anwesenheitszeiten und Pausen im Arbeitsvertrag genau definiert, müssen sie eingehalten werden – auch im Homeoffice. In solchen Fällen braucht es die Einwilligung des Vorgesetzten.
Vertrauensmissbrauch oder «absolut vertretbar»?
Abseits des Arbeitsrechts ist die Debatte um Coiffeurbesuche im Homeoffice auch eine Frage von modernen Firmenkulturen. Und hier gehen die Ansichten bei HR-Experten auseinander. Stefan Hernandez (57), VR-Präsident des Karriereberatungsunternehmens Grass & Partner, sagt auf Anfrage zum Coiffeur-Fall: «Ob Homeoffice bei so einem Umgang effizienzsteigernd ist, stelle ich infrage.» Für eine Homeoffice-Regelung brauche es deshalb das gegenseitige Vertrauen, dass die Arbeitszeit nicht für private Belange missbraucht werde.
Elke Rottmann (53), Gründerin der Headhunter-Firma Hearts and Brains, vertritt eine dezidierte Meinung: Ein Termin beim Coiffeur mitten im Tag sei «absolut vertretbar» – sofern die Arbeitsergebnisse stimmten. «Es sollte in der heutigen Arbeitswelt nicht mehr darum gehen, vordefinierte Stunden abzusitzen und erreichbar zu sein. Sondern darum, produktiv und effizient zu arbeiten. Und das misst sich nun mal an Resultaten und Qualität», sagt sie.
Wie Chefs sinnvoll mit Homeoffice umgehen sollen
Der richtige Umgang mit Homeoffice ist aus Sicht von Rottmann ein heikles Thema. «Denn es setzt Vertrauen voraus und die Fähigkeit, loslassen zu können.» Leider sei der altbekannte Leitsatz «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» noch zu dominant und zu fest in den Köpfen verankert. «Das erschwert das Ganze immens.» Die Leistung solle immer der Indikator sein – «und nicht die Anwesenheit oder Präsenzzeiten», so Rottmann.
«Homeoffice ist Realität», hält auch Hernandez fest. Sich als Chef dagegenzustemmen, sei nicht sinnvoll. Jedoch seien Forderungen nach Flexibilität aus seiner Sicht nicht der richtige Ansatz – sondern das absolute Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. «Das bedeutet aber auch, dass bei Missbrauch auch mit Verwarnungen und Entlassungen gearbeitet werden muss.»
Expertin Rottmann wiederum plädiert für Offenheit der Vorgesetzten bei den Homeoffice-Arbeitszeiten. «Wenn wir den Arbeitnehmern einheitlich vorschreiben wollen, wann und wie sie welche Leistung erbringen sollen, wird darunter fast immer die Produktivität leiden», sagt sie. Schliesslich hätten Menschen unterschiedliche Biorhythmen und seien unterschiedlich leistungsfähig. Die beste Lösung für das Homeoffice liege in einer klaren Zielvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. «Wer weiss, was von ihm erwartet wird und wie die Leistung gemessen wird, kann eigenverantwortlich arbeiten. Und dann ist es auch völlig unerheblich, ob zwischendurch ein Termin beim Coiffeur oder ein Spaziergang stattfindet.»