Auf einen Blick
- Sulzer verschärft die Präsenzpflicht, jetzt gilt die Rückkehr ins Büro
- Neue Regelung weltweit umgesetzt, Management kontrolliert in der Schweiz besonders genau
- Dabei zeigen Untersuchungen, dass Homeoffice die Produktivität steigert
Feuer unter dem Dach am Sulzer-Hauptsitz in Winterthur ZH. Das heisse Thema auf den Gängen des Bürohochhauses: das Aus der Homeoffice-Arbeit. Der Entscheid der Geschäftsleitung um CEO und Verwaltungsratspräsidentin Suzanne Thoma (62) kommt überraschend – umso mehr stösst sie mit der wiederhergestellten, vollständigen Präsenzpflicht am Arbeitsplatz zahlreiche Angestellte vor den Kopf.
Blick sprach mit voneinander unabhängigen Personen, die bei Sulzer auf unterschiedlichen Ebenen auf der Lohnliste stehen. Zudem meldeten sich weitere Beschäftigte, die firmenintern Wind bekommen haben von der Blick-Recherche. Sie alle wollen anonym bleiben, weil sie Angst vor dem Verlust ihrer Jobs haben.
Kaum war der Entscheid, betroffene Mitarbeitende wieder aus dem Homeoffice zurückzupfeifen, getroffen, wurden die Mitarbeitenden per E-Mail Anfang dieser Woche informiert. Die verschärfte Präsenzregelung ist bereits in Kraft getreten. Seitdem wird, vor allem in Sulzer-Büros in der Schweiz, akribisch die Anwesenheit kontrolliert. «Es ist alles sehr heikel», sagt eine der betroffenen Personen.
Das Blick vorliegende, missverständlich verfasste Schreiben an die Angestellten sorgt bei diesen erst für Fragezeichen, dann für Wirbel. Selbst bei den Kadern. Führungskräften wurde dann telefonisch durch die Personalabteilung erklärt: Homeoffice ist nicht mehr erwünscht. «Die Regel wird mit Biegen und Brechen umgesetzt», so eine weitere anonyme Quelle. Nach der Blick-Anfrage wurde den Angestellten zudem ein Meeting angeboten, um offene Fragen zu klären.
Mitarbeiter vor den Kopf gestossen
Beim Schweizer Traditionsunternehmen hatte sich das Homeoffice, wie bei so vielen Firmen seit der Corona-Pandemie, im Arbeitsalltag etabliert. Zumindest bei all jenen, die nicht an der Kundenfront oder in der Produktion arbeiten. Die Rede ist von 2700 der global 13'500 Sulzer-Angestellten. In der Schweiz sind 400 Personen von der revidierten Präsenzpflicht betroffen.
Zwei Tage pro Woche bei einem 100-prozentigen Arbeitspensum durften Büroangestellte bisher «remote», wie es im Fachjargon heisst, also von zu Hause aus arbeiten. Damit lag Sulzer voll im Trend und auf Linie mit der Mehrheit der Schweizer Grossfirmen. Während vor Corona nur 35 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz hybride Arbeitsmodelle nutzten, hat sich dieser Anteil nach der Pandemie auf 77 Prozent erhöht, wie eine Studie der Uni St. Gallen festhält.
Jetzt also die plötzliche Abkehr vom Homeoffice bei Sulzer. Pikant: Blick weiss von Beschäftigten, die kürzlich im Unternehmen gestartet sind und noch aktiv mit der Option auf Homeoffice angeworben wurden. Jene, die dank Homeoffice ihr Familienleben besser arrangieren konnten, fühlen sich durch das neue Regime vor die Frage gestellt: den Entscheid schlucken oder kündigen? So oder so müssen sie ihren Familienalltag komplett neu organisieren.
Im Gegensatz zu Schweizer Standorten scheren sich ausländische Sulzer-Büros dem Vernehmen nach wenig um die neue Direktive. Doch auch die Führungsetage in der Schweiz wird von Angestellten kritisiert. Genauso jene, die die Präsenzpflicht ihrer Teams jetzt sicherstellen müssen. «Diese Führungskräfte arbeiten auch von zu Hause aus. Das finde ich nicht gerecht», so eine weitere Person zu Blick.
Gemäss Studien steigt die Produktivität beim hybriden Arbeiten: Zu Hause sind Angestellte um bis zu 22 Prozent produktiver als im Büro. Keine langen Pendelzeiten und flexiblere Tageseinteilungen tragen dazu bei, wie eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Immobiliendienstleisters CBRE zeigt. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte auch eine Untersuchung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Jahr 2021.
Heike Bruch (57) unterstützt im Gespräch mit Blick die Erkenntnisse dieser Studien. Die Professorin forscht zu modernen Arbeitsformen und Wirtschaftspsychologie an der Uni St. Gallen. In der Unternehmenswelt hätten sich hybride Modelle, bei denen Mitarbeitende zwei bis drei Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten, besonders bewährt. «Solche Modelle fördern das Wohlbefinden, die Leistung, die Gesundheit und die Zufriedenheit. Sie ermöglichen es, Beruf und Privatleben besser in Einklang zu bringen», weiss die Forscherin. Aber: «Diese positiven Effekte hängen stark davon ab, wie das Homeoffice vom jeweiligen Unternehmen gestaltet wird.»
Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, ist bei Mitarbeitenden stark gefragt. Wo sich 2020 noch 65 Prozent der Arbeitnehmenden mobiles Arbeiten gewünscht haben, sind es gemäss HSG-Professorin Bruch 2023 bereits 87 Prozent.
Somit kann das Angebot von flexiblen Arbeitsformen im Kampf um Arbeitnehmende zum ausschlaggebenden Faktor werden: «Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist die Option, mobil zu arbeiten, ein entscheidender Vorteil für Unternehmen. Wird diese Möglichkeit gestrichen, riskieren sie, für qualifizierte Mitarbeitende unattraktiv zu werden».
Gemäss Studien steigt die Produktivität beim hybriden Arbeiten: Zu Hause sind Angestellte um bis zu 22 Prozent produktiver als im Büro. Keine langen Pendelzeiten und flexiblere Tageseinteilungen tragen dazu bei, wie eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Immobiliendienstleisters CBRE zeigt. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte auch eine Untersuchung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Jahr 2021.
Heike Bruch (57) unterstützt im Gespräch mit Blick die Erkenntnisse dieser Studien. Die Professorin forscht zu modernen Arbeitsformen und Wirtschaftspsychologie an der Uni St. Gallen. In der Unternehmenswelt hätten sich hybride Modelle, bei denen Mitarbeitende zwei bis drei Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten, besonders bewährt. «Solche Modelle fördern das Wohlbefinden, die Leistung, die Gesundheit und die Zufriedenheit. Sie ermöglichen es, Beruf und Privatleben besser in Einklang zu bringen», weiss die Forscherin. Aber: «Diese positiven Effekte hängen stark davon ab, wie das Homeoffice vom jeweiligen Unternehmen gestaltet wird.»
Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, ist bei Mitarbeitenden stark gefragt. Wo sich 2020 noch 65 Prozent der Arbeitnehmenden mobiles Arbeiten gewünscht haben, sind es gemäss HSG-Professorin Bruch 2023 bereits 87 Prozent.
Somit kann das Angebot von flexiblen Arbeitsformen im Kampf um Arbeitnehmende zum ausschlaggebenden Faktor werden: «Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist die Option, mobil zu arbeiten, ein entscheidender Vorteil für Unternehmen. Wird diese Möglichkeit gestrichen, riskieren sie, für qualifizierte Mitarbeitende unattraktiv zu werden».
Zu Hause bleiben nur noch bei Notfällen
Sulzer gibt sich gegenüber Blick wenig gesprächsfreudig. Die Antworten auf Fragen sind kurz gehalten. Sulzer-Sprecherin Marlène Betschart bestätigt aber, dass es eine «Präzisierung unserer Homeoffice-Regelung» gegeben hat. «Sie wurde erst in der HR-Community und im Führungsteam kommuniziert, bevor unsere Mitarbeitenden durch ihre Vorgesetzten persönlich informiert wurden.» Eine komplette Abkehr vom Homeoffice bestreitet das Unternehmen. Homeoffice sei bei Sulzer «in speziellen Fällen» weiterhin möglich, «sofern es mit der Aufgabe vereinbar ist, und in Absprache mit dem Vorgesetzten».
Sulzer begründet den neuen Entscheid damit, dass physische Präsenz und persönlicher Austausch vor Ort die Zusammenarbeit und den Teamgeist stärken würden, was dann wiederum «das geschäftliche Wachstum positiv beeinflusst». Warum dieser Entscheid so plötzlich fiel und umgesetzt wurde, hält der Industriekonzern unter dem Deckel.