Für die neue Schweizer Fluggesellschaft Chair Airlines kommt die Pandemie im dümmsten Zeitpunkt. Nach der Pleite der Berliner Airline Germania im Jahr 2019 gelangt die Schweizer Tochter Germania Flug AG in die Hände der Schweizer Unternehmerin und Air-Prishtina-Chefin Leyla Ibrahimi-Salahi. Die Flugzeuge werden neu gestrichen – auf dem Heck prangt seither das Schweizer Kreuz. Kaum in der Luft, müssen die Jets wegen Corona gegroundet werden. Die Mitarbeitenden werden in Kurzarbeit geschickt.
Das Pandemiejahr bezeichnen Chair-Angestellte als «nicht enden wollender Albtraum». Ihre schlechten Arbeitsbedingungen sind in der Branche kein Geheimnis. Die breite Öffentlichkeit erhielt erstmals im Spätsommer des vergangenen Jahres einen Einblick. Damals wird publik, dass das Kabinenpersonal zu neuen Arbeitsverträgen mit deutlich schlechteren Konditionen gedrängt worden ist. Unter Androhung einer Änderungskündigung! Chair-CEO Shpend Ibrahimi (49) kommentiert diese Änderungen damals als «unvermeidbar». Der Basislohn eines Flugbegleiters beträgt seit Januar weniger als 2500 Franken.
Angstkultur, Bespitzelungen
Andrea L.*, die bereits für Germania tätig war, erlebt das Drama tagtäglich hautnah mit. Sie ist immer noch für Chair Airlines in der Kabine tätig. Im Gespräch mit Blick berichtet sie von einer Arbeitskultur, die von «Angst und Terror» geprägt ist. «Die ranghöchsten Flugbegleiter wurden angewiesen, auf jedem Flug einen Rapport zu verfassen und explizit zu vermerken, was bei ihren Mitarbeitenden schlecht lief», erzählt sie.
Die Anweisung sei vom Chef des Kabinenpersonals persönlich gekommen, der während der Corona-Pandemie befördert worden ist. «Er hat ein Klima der Angst in der Kabine geschaffen, die unsere Arbeit immer mehr beeinflusst hat», sagt die Frau. Einstige Kollegen würden sich gegenseitig belauschen, um beim ranghöchsten Flight-Attendant in einem guten Licht dazustehen. «Jeder bespitzelt jeden – es kommt mir vor wie bei der Stasi», sagt L.
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Chair-CEO Shpend Ibrahimi widerspricht seiner Angestellten deutlich: «Die Vorwürfe betreffend der Arbeitsbedingungen sind vollkommen aus der Luft gegriffen», sagt er. «Wenn die Situation tatsächlich so wäre, könnten wir nicht am Markt bestehen.» Den Chef des Kabinenpersonals nimmt Ibrahimi in Schutz. «Er leistet sehr gute, hoch qualifizierte Arbeit.»
Vorwurf: «Wer krank ist, fliegt trotzdem»
Die Arbeitsbelastung sei wegen Corona enorm gestiegen, sagt L. «Wir mussten Extraflüge durchführen. Gleichzeitig wurde überall gespart. Sogar die Flugzeuge müssen wir nach jeder Landung selber putzen. Aber wir haben nicht einmal Putzutensilien an Bord.» Krankheitsbedingte Ausfälle beim Kabinenpersonal seien vom Chef nicht mehr toleriert worden. «Die Anweisung hat man uns klipp und klar mündlich gesagt: Wer krank ist, fliegt trotzdem. Ansonsten würde man Probleme kriegen», berichtet L. Auch sie selbst sei deshalb krank zur Arbeit erschienen – und das mitten in einer Pandemie!
Dass das Personal teilweise selber putzen muss, gesteht Chair-CEO Ibrahimi ein. «Aber nur an Orten, wo wir aus rein operativen Gründen auf schnelle Turnarounds angewiesen sind und zum Beispiel 45 Minuten nach der Landung schon wieder in der Luft sein müssen.» Den Vorwurf, dass Crew-Mitglieder auch krank fliegen sollen, weist er zurück: «Wenn jemand von unserem Kabinenpersonal krank ist, muss er ganz sicher keine Angst haben, sich krankzumelden.»
Mitarbeiter wurden entlassen und ersetzt
Vor wenigen Tagen kommt es in Opfikon ZH zum grossen Knall, wie Blick erfahren hat. Einer Handvoll Flugbegleiter wird gekündigt. «Es hat ausschliesslich Mitarbeiter getroffen, die während der Pandemie pausenlos im Einsatz gestanden sind», sagt L. Sie werden nun ersetzt, teilweise durch Arbeitskräfte aus dem Ausland.
CEO Ibrahimi bestätigt drei Entlassungen im Juli. Dafür seien im Juni neun neue Mitarbeitende eingestellt worden. «Die Pandemie hat die Airlinebranche extrem hart getroffen. Entlassungen liessen sich leider nicht vermeiden. Wir bedauern das selbst am allermeisten», sagt er.
*Name von der Redaktion geändert