Bezirksgericht Zürich begründet Vincenz-Urteil auf 1200 Seiten
«Er fühlte sich in gewissem Mass zur Erotikszene hingezogen»

273 Tage nach dem Urteil im Fall Pierin Vincenz liegt den Beteiligten die Urteilsbegründung vor. Das Bezirksgericht Zürich widmete im 1200-Seiten-Werk einen gewissen Teil auch Vincenz' Abstechern ins Rotlichtmilieu.
Publiziert: 11.01.2023 um 20:21 Uhr
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Aktualisiert: 11.01.2023 um 21:03 Uhr
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Pierin Vincenz verlässt nach Tag acht der Verhandlungen im Frühling 2022 das Zürcher Volkshaus.
Foto: Philippe Rossier
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Seit Mittwochmittag laufen in rund einem Dutzend Anwaltskanzleien in und um Zürich die Scanner heiss. Denn der Postbote brachte im wahrsten Sinne dicke Post: die exakt 1200 Seiten umfassende schriftliche Begründung der Urteile im Vincenz-Prozess – in Papierform. Um die Papierflut zu bewältigen, wird jede einzelne Seite digitalisiert, damit Anwälte und Kanzleipersonal die Schrift auch elektronisch nach bestimmten Kriterien und Stichworten durchsuchen können.

Blick liegt das grosse Werk des Bezirksgerichts Zürich vor. Die voluminöse Urteilsschrift liest sich wie das minutiöse Protokoll des wichtigsten Schweizer Wirtschaftsprozesses seit dem Fall Swissair. Akribisch listet die Begründung zu Beginn auf, welcher der Angeklagten wann auch wirklich an den einzelnen Prozesstagen anwesend war. Einer der beiden Hauptangeklagten, Pierin Vincenz (66), glänzte an zwei Tagen durch Abwesenheit, da sein Anwalt aufgrund anderer Termine unabkömmlich war. Der andere, Beat Stocker (62), dagegen war an jedem Tag am Prozess präsent.

Abstecher ins Rotlichtmilieu nimmt viel Platz ein

Schnell wird klar, warum das Gericht nach der Urteilsverkündigung vom 11. April 2022 nicht weniger als 273 Tage brauchte, um sein Verdikt schriftlich zu begründen. Alleine 333 Seiten benötigt das Gericht für die Darstellung des Sachverhalts der Unternehmenstransaktionen, also der Schilderung, wie sich Vincenz und Stocker auf Kosten ihrer Arbeitgeber durch die Beteiligung an den Firmen Commtrain, Investnet oder Eurokaution in den Augen des Gerichts unrechtmässig bereichert haben sollen. Dafür verurteilten die Richter Vincenz zu einer Freiheitsstrafe von 3,75 Jahren, Stocker zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren.

Auch Vincenz' Spesenexzessen und Abstechern ins Rotlichtmilieu räumen die Richter viel Platz ein. In der Begründung der verhängten Strafe ist unter anderem von «grenzenlosen Ausgaben im Rahmen der Reise nach Marrakesch sowie insbesondere in zahlreichen Cabarets in der gesamten Schweiz» die Rede. Weiter unten ist zu lesen, dass der Beschuldigte Vincenz «sich in einem gewissen Mass zur Erotikszene hingezogen fühlte».

Was das Gericht Vincenz auch noch anlastet, ist die fehlende Reue und das Fehlen eines Geständnisses. Zudem habe er es bis heute unterlassen, «irgendwelche Bemühungen hinsichtlich einer Wiedergutmachung des Schadens zu tätigen», namentlich im Zusammenhang mit den Spesenexzessen. Dies wäre jedoch auch schwierig bei einem Mann, der von einer AHV-Rente von 2000 Franken im Monat lebt, wie im Urteil ebenfalls aufgeführt ist – und der über beide Ohren verschuldet ist.

Dank Medienberichten Strafmass reduziert

Zudem rechnet das Gericht akribisch vor, wie sich die Freiheitsstrafe von Vincenz genau bemisst. Die qualifizierte ungetreue Geschäftsbesorgung im Fall Investnet gewichten die Richter als schwerste Straftat und verteilen den Ex-Banker zu 27 Monaten. Für all die anderen Firmentransaktionen gibt es 24 Monate plus 3 Monate für die damit verbundenen Bestechungsdelikte. Für die «tendenziöse Medienberichterstattung» reduziert das Gericht das Strafmass um 9 Monate auf 45 Monate, umgerechnet 3,75 Jahre.

Die Anwälte von Vincenz, Stocker und Co. haben nun ebenso wie die Staatsanwaltschaft 20 Tage Zeit, um eine schriftliche Berufungserklärung beim Obergericht des Kantons Zürich einzureichen. Das heisst, bis zum 1. Februar müssen Kläger und Angeklagte mitteilen, ob sie das Urteil ganz oder nur teilweise anfechten wollen.

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