Die Finanzbranche hat das Image der Schweiz geprägt wie keine andere. Durch ihr jahrzehntelanges Treiben haben es die Paradeplatz-Banker geschafft, dass Hollywood-Bösewichte im Kino bis heute nach Zürich oder Genf fliegen, um ihr Schwarzgeld in Sicherheit zu bringen.
Um nicht auf ewig als Helfershelfer korrupter Politiker, Steuerbetrüger und sonstiger Krimineller geächtet zu werden, verabschiedete der Bundesrat Ende 2009 – auf massiven Druck des Auslands – die «Weissgeldstrategie» und schuf zu deren Umsetzung das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF).
Das SIF sollte nicht nur dafür sorgen, dass der Schweizer Finanzplatz in Zukunft ohne ausländisches Schwarzgeld auskommt, sondern auch «Grundlagen für die Finanzmarktregulierung» erarbeiten und sich «an den internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Finanzkriminalität» beteiligen.
SIF kommuniziert mit Banken
Mittlerweile aber scheint sich das SIF – das die letzten sieben Jahre an Ueli Maurer (72) rapportierte, seit Jahresbeginn nun an die neue Finanzministerin Karin Keller-Sutter (59) – auf die Rolle als Verteidigerin und Promoterin des Schweizer Finanzplatzes zu fokussieren. Diesen Eindruck erwecken E-Mails zwischen Staatssekretärin Daniela Stoffel (54) und hochrangigen Vertretern der Finanzbranche.
In den Nachrichten, die SonntagsBlick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) einsehen konnte, berät die SIF-Chefin mit Branchenvertretern etwa kritische Medienberichte. Im Juni 2021 wollte Stoffel von einem UBS-Banker zum Beispiel wissen: «Lieber (…). Kannst du mir das kurz in den Kontext setzen? Gibt es etwas zu besprechen? Gruss». Die Rede ist von einem Zeitungsartikel mit dem Titel: «Herbe Niederlage für die UBS in Frankreich».
Die Erläuterungen des UBS-Mannes, dessen Name vom Bund geschwärzt wurde, kommen prompt. Am Schluss des Mails schreibt der Mann vom Paradeplatz freundschaftlich: «Wäre es z. B. hilfreich, wenn (…) Dich in einem Catch-up zu aktuellen Prioritäten kurz nach der Sommerpause auch zum letzten Stand der Einschätzungen zum Urteil informiert?»
Schweiz förderte Kryptogeschäfte
Ende Januar 2022 diskutiert Stoffel einen kritischen Artikel der «Financial Times» («FT») über das «Crypto Valley» in Zug. In dem Bericht wird bemerkt, dass die Schweiz in den vergangenen Monaten viel getan habe, um Kryptogeschäfte zu fördern, während andere Länder versucht hätten, diese einzudämmen.
Der Journalist findet das heikel, da Kryptotechnologien zunehmend im Mittelpunkt «globaler illegaler Finanzströme» stünden. Sein Fazit: «Krypto birgt für die Schweiz das Risiko, eine Wiederholung der düsteren finanziellen Vergangenheit zu werden.»
Ein Vertreter der Zürcher Privatbank Vontobel ist alarmiert und schreibt am 26. Januar 2022 nach Bern: «Liebe Daniela (...) Meines Erachtens müssen der Finanzplatz und die staatl. Institutionen diese Tonalität extrem ernst nehmen.»
Stoffel antwortet innert Minuten: «Lieber (…). Wir haben heute über diesen Artikel intern diskutiert. Die ‹FT› ist strategisch dem CH-Finanzplatz ggü. sehr kritisch.»
«Integrität des Finanzplatzes ist zentral»
Das SIF meldet sich auch beim Journalisten der «Financial Times» und weist ihn auf ein Factsheet hin, in dem unter anderem festgehalten wird: «Für die Schweiz ist die Integrität des Finanzplatzes zentral.» Der Kommunikationschef schreibt höflich, aber bestimmt: «Vielen Dank, dass Sie diese Informationen berücksichtigen, wenn Sie wieder einmal über den Schweizer Finanzplatz schreiben.»
Ein Mitglied der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg), ebenfalls auf dem Mailverteiler, gefällt dieses Vorgehen: «Liebe Daniela. Besten Dank für die Intervention bei der ‹FT›», schreibt er tags darauf. Er warnt jedoch, dass der «Guardian» und die «Süddeutsche Zeitung» weitere «kritische Artikel zum Thema Geldwäscherei und Finanzplatz Schweiz» planten. «Ich werde unsere Medienstelle darauf hinweisen, proaktiv zu kommunizieren, wie das Thema in der Schweiz angegangen wird.»
Viele Kontakte zu Finanzinstituten
Finanzplatz-Vertreter und hohe Beamte beraten den Umgang mit kritischen Medien. Ist das üblich? Das SIF spielt die Kontakte herunter: «Die Staatssekretärin wurde von der Branche darauf (den «FT»-Artikel; Red.) angesprochen und hat ihrerseits auf das bereits vorher aufgeschaltete SIF-Faktenblatt zur Schweizer Blockchain-Regulierung verwiesen», so die Medienstelle knapp.
Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit. SonntagsBlick weiss aufgrund eines weiteren BGÖ-Gesuchs: Insgesamt hatte Staatssekretärin Stoffel zwischen Januar und August 2022 mit mehr als einem Dutzend Finanzinstituten E-Mail-Kontakt.
Verboten ist das nicht. Es wirft aber die Frage auf, ob zwischen der Behörde und dem Finanzplatz die nötige Distanz vorhanden ist. Denn das SIF hat nicht nur die Aufgabe, auf internationaler Bühne «die Interessen der Schweiz in Finanz-, Währungs- und Steuerfragen» zu vertreten und sich für «gute Rahmenbedingungen» einzusetzen, die Behörde ist auch für die Erarbeitung der Finanzmarktregulierung zuständig – und da mutet es seltsam an, wenn die oberste Chefin mit der Branche per Du ist.
Stoffel ist jedoch mit diesem Vorgehen in bester Gesellschaft: Auch ihr Vorgänger als SIF-Chef, der langjährige Bundesbeamte Jörg Gasser (53), pflegte ein ausgezeichnetes Einvernehmen mit dem Paradeplatz. 2019 wurde er dafür gar mit dem CEO-Posten bei der Bankiervereinigung belohnt. Diese Woche wurde bekannt, dass Gasser sein Amt in wenigen Wochen abgibt. Marcel Rohner (58), SBVg-Präsident und ehemaliger UBS-CEO, hat die Aufgabe, einen Nachfolger zu finden. Oder noch besser: eine Nachfolgerin. Der Name Daniela Stoffel dürfte dabei zumindest auf dem Zettel stehen.