Die Schweizerische Nationalbank (SNB) drehte diese Woche erneut an der Zinsschraube – und nicht zu knapp: Präsident Thomas Jordan (59) und seine Direktoriumskollegen erhöhten den Leitzins von 0,5 auf 1 Prozent. Damit wollen die Währungshüter der Teuerung entgegenwirken.
Für Hausbesitzer – und all jene, die es werden möchten – ist diese Leitzinserhöhung keine gute Nachricht: Steigt das allgemeine Zinsniveau, verteuert sich über kurz oder lang auch die Eigenheimfinanzierung.
Vor einem Jahr waren zehnjährige Festhypotheken für einen Zinssatz von knapp 1 Prozent zu haben. Aktuell werden dafür zwischen 2,5 und 3 Prozent fällig. Diese Änderung ist bedeutsam: So fallen bei einer Hypothek über 800'000 Franken, die Ende 2021 abgeschlossen worden ist, jährliche Zinskosten von 8000 Franken an. Bei gleicher Kredithöhe würden heute jährliche Hypothekarzinsen zwischen 20'000 und 24'000 Franken fällig.
Regel soll Möglichkeit auf Immo-Crash minimieren
Damit die Eigenheimbesitzer durch einen solchen Zinsanstieg nicht in die Bredouille geraten, hat sich in der Schweiz folgende Tragbarkeitsregel etabliert: Die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum, also für Zinsen und Amortisation, dürfen ein Drittel des Familieneinkommens nicht überschreiten – und zwar bei einem kalkulatorischen Zinssatz von fünf Prozent.
Diese Faustregel soll verhindern, dass Eigenheimbesitzer ihren Verpflichtungen gegenüber der Bank nicht mehr nachkommen können, wenn die Zinsen plötzlich stark ansteigen und eine Erneuerung der Hypothek ansteht. Oder anders ausgedrückt: Diese Kalkulation soll die Wahrscheinlichkeit eines Immobiliencrashs auf ein Minimum reduzieren.
Der neuste Bericht zur Finanzstabilität 2022 der Schweizerischen Nationalbank zeigt jedoch, dass die Ein-Drittel-Regel in den vergangenen Jahren zunehmend ignoriert wurde. Gemäss dem Bericht, der im September veröffentlicht wurde, beharren die Banken mittlerweile nicht einmal mehr bei jeder zweiten neu vergebenen Hypothek auf Einhaltung der althergebrachten Tragbarkeitsrechnung.
Kriterien schwer erfüllbar
2021 belief sich der Anteil von Kreditnehmern, deren Kosten für Verzinsung und Amortisation der Hypothek bei einem kalkulatorischen Zinssatz von 5 Prozent ein Drittel des Einkommens übersteigen, auf 55 Prozent. Zehn Jahre zuvor ignorierten die Banken ihre Ein-Drittel-Regel nur bei 41 Prozent der neu vergebenen Hypotheken.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Preise für Wohneigentum in der Schweiz haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Weil die Löhne jedoch nicht annähernd so stark stiegen, wird es für Kreditnehmer zunehmend schwierig, die herkömmlichen Tragbarkeitskriterien zu erfüllen.
Nur: Wie ist es möglich, dass immer mehr Leute ein Eigenheim finanziert bekommen, die dafür eigentlich zu wenig verdienen? Haben die Banken ihre Tragbarkeitsregeln klammheimlich angepasst?
Nicht nur das Einkommen berücksichtigen
Die wichtigsten Player auf dem Schweizer Hypothekenmarkt bestreiten dies. Raiffeisen, Credit Suisse (CS), UBS sowie die Zürcher Kantonalbank (ZKB) betonen auf Anfrage unisono, dass sie ihre Standards bei der Tragbarkeitsberechnung in den vergangenen zehn Jahren grundsätzlich nicht angepasst haben.
Die Finanzinstitute räumen jedoch ein, dass sie «in Ausnahmefällen» auch Kreditanfragen bewilligen, die den üblichen Tragbarkeitsanforderungen nicht entsprechen. Wie oft das der Fall ist, wollen sie jedoch nicht verraten.
Raiffeisen, CS, UBS und ZKB bestreiten die Zahlen der Nationalbank nicht, wehren sich aber gegen die Schlussfolgerung, dadurch steige das Risiko von Kreditausfällen. Ein Sprecher der UBS kritisiert, dass bei dieser Analyse ausschliesslich das Einkommen des Hypothekarschuldners berücksichtigt werde: «Anderweitig vorhandene Vermögenswerte können jedoch ebenfalls in die Berechnung miteinbezogen werden.»
Finma sieht es nicht so locker
Die ZKB verweist ebenfalls auf diesen Punkt, argumentiert aber auch damit, dass die strikte Einhaltung der Tragbarkeitsregeln bei Menschen mit sehr hohen Löhnen weniger wichtig sei: «Solche Hypothekarnehmer geraten selbst dann nicht in finanzielle Schwierigkeiten, wenn die Wohnkosten auf mehr als ein Drittel des Einkommens ansteigen», so ein Sprecher. «Sie haben weiterhin genügend Mittel, um ihre Fixkosten zu bezahlen.»
Die Finanzmarktaufsicht Finma aber sieht es nicht so locker. In ihrem «Risikomonitor 2022», der Mitte November publiziert wurde, warnt die Aufsichtsbehörde unmissverständlich: «Tragbarkeitsrisiken haben in den letzten vier Jahren bei neu abgeschlossenen Hypotheken sowohl bei Finanzierungen von Eigenheimen als auch bei solchen von Renditewohnliegenschaften zugenommen.» So habe die Finma im Rahmen von Vor-Ort-Kontrollen oder Anfragen an die beaufsichtigten Banken beobachtet, dass teilweise lockere Kreditvergabekriterien angewendet werden.
Für Donato Scognamiglio (52), Chef des Immobiliendienstleisters Iazi, belegen die Zahlen der Nationalbank deutlich, dass die Ausnahme von der Tragbarkeitsregel keine Seltenheit mehr ist. Insbesondere vor dem Hintergrund der rasant steigenden Leitzinsen gibt dies zu denken. Dazu Scognamiglio: «Lange wurde der kalkulatorische Zinssatz von fünf Prozent von der Branche – und auch vielen Kreditnehmern – als übertrieben vorsichtig erachtet. Die aktuelle Zinsentwicklung zeigt nun aber, dass es schnell gehen kann und die etablierte Faustregel deshalb durchaus sinnvoll ist.»
Bleibt zu hoffen, dass die Hypothekarzinsen in den kommenden Monaten und Jahren stagnieren – und die Tragbarkeitsrechnungen der Schweizer Banken von einem harten Realitätscheck verschont bleiben.