Donato Zofreo (32) ist stolz. Seine Frau Jana (26) hat vor drei Wochen einen Sohn zur Welt gebracht – ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Bisher lebt die junge Familie in einer 3,5-Zimmer-Wohnung in Ermatingen TG – nun ist der Traum vom eigenen Haus erwacht: «Wir brauchen mehr Platz», sagt der frischgebackene Vater.
Damit sind die Zofreos nicht allein. 86 Prozent aller Schweizer wollen aktuell ein Eigenheim, wie eine Umfrage von FinanceScout24 zeigt. Zentrales Motiv ist Corona: Immer mehr Menschen arbeiten im Homeoffice. Raum – auch draussen – ist gefragt: «Balkone, Terrassen, insbesondere Gärten sind begehrt», sagt Robert Weinert (42), Immobilienexperte von Wüest Partner. «Das treibt die Nachfrage nach Einfamilienhäusern zusätzlich an.»
Angebot und Nachfrage stimmen nicht überein
Das Problem ist nur, die Nachfrage überrollt das Angebot. Weinert: «In der Schweiz wird zu wenig Wohneigentum produziert. Das Land zum Bau von Einfamilienhäusern wird immer knapper.» Ein Blick auf die Statistik zeigt die Folgen: «Während sich die Nachfrage nach Einfamilienhäusern seit Anfang 2016 um mehr als 30 Prozent erhöht hat, ist das Angebot um 30 Prozent gesunken», sagt Weinert.
Deshalb wird Wohneigentum immer teurer. Die Folgen sind absurd: «Seit Anfang 2020 sind die Preise für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen um 6,2 Prozent gestiegen», sagt Simon Hurst (34), Immobilienexperte von IAZI.
Die Häuserpreise explodieren – aber die Einkommen tun es nicht.«In den letzten zehn Jahren sind die Immobilienpreise fünfmal so stark gestiegen wie die Löhne», sagt Stefan Heitmann (43), CEO von MoneyPark. «Da verwundert es nicht, dass immer mehr potenzielle Käufer von Eigenheimen vom Markt ausgeschlossen werden.»
Zofreos Lohn reicht nicht aus
So wie Familie Zofreo: Der Koch und die Teilzeit-Krankenschwester verdienen zusammen 100 000 Franken im Jahr. Ihr Traum vom Eigenheim liegt zwar nah – das Haus von Donato Zofreos Eltern steht in der Nachbarschaft. Doch der Sohn kann die Immobilie mit fünf Zimmern und einem 500-Quadratmeter-Umschwung nicht übernehmen: Sie ist eine Million Franken wert. Und das Geld der Eltern steckt im Haus – sie können es ihrem Sohn nicht einfach schenken. Um es ihnen abzukaufen, müsste Zofreo eine halbe Million Eigenkapital einschiessen. «Dieses Geld haben wir nicht», sagt der Koch.
Dabei gehört das Haus längst nicht zu den teuersten. In Chur GR kostet ein vergleichbares Objekt fast 1,3 Millionen, in Zürich 2,4 und in Genf über 2,8 Millionen Franken. «Die Preise in den Zentren sind enorm», sagt Simon Hurst von IAZI. «Deshalb weiten immer mehr Interessierte ihre Suche auf die Peripherie aus.» Der Homeoffice-Schub treibe die Entwicklung zusätzlich an. «Mit dem Effekt, dass in diesen Regionen ebenfalls die Preise steigen», so Hurst.
Der Boom zeigt sich auch in den Agglomerationen – zum Beispiel in der Zürcher Gemeinde Oetwil an der Limmat. Hypothekenvermittler Moneypark hat ausgerechnet: Ein typisches Einfamilienhaus mit 5,5 Zimmern auf 415 Quadratmeter Land kostete dort vor drei Jahren 1,77 Millionen. Heute liegt der Preis bei zwei Millionen Franken – satte 13 Prozent mehr.
Mehr Eigenkapital nötig
Bei einer Maximalbelehnung von 80 Prozent bedeutet das eine Erhöhung der Hypothek um 184 000 Franken. Dafür sind 46 000 Franken mehr Eigenkapital nötig. Und das notwendige jährliche Einkommen für dieses Haus liegt jetzt bei 360 000 Franken – 41 000 Franken mehr als 2018.
So werden die Anforderungen an die Lohntüte für immer mehr Kaufwillige zum Problem: Die Hypozinsen bewegen sich im tiefen Bereich von einem Prozent – aber der kalkulatorische Zinssatz, mit dem Banken und Versicherungen die finanzielle Tragbarkeit berechnen, liegt nach wie vor bei fünf Prozent.
Für Donato Zofreo heisst das: Sogar, wenn ihm die Eltern ihre Immobilie günstig überlassen, hat er keine Chance. Er scheitert am kalkulatorischen Zinssatz.
Enorme Hürden für Erwerb von Wohneigentum
«Der Kreis möglicher Hypothekarnehmer wird von Jahr zu Jahr kleiner», sagt Moneypark-Chef Heitmann. «Und das in einem Markt, in dem ein Eigentümer bis zu 50 Prozent an monatlichen Wohnkosten gegenüber einer vergleichbaren Mietsituation einspart.»
In der Schweiz seien die Hürden für den Erwerb von Wohneigentum weltweit am höchsten, sagt Heitmann. Für ihn ist klar: «Die Kombination von steigenden Eigenheimpreisen und zu starren und rigiden Tragbarkeitsvorgaben ist toxisch. Eine Überarbeitung dieser Regeln scheint dringend angebracht.»
Mehr zu steigenden Preisen
Der kalkulatorische Zinssatz ist keine direkte Vorgabe der Finanzmarktaufsicht, sondern eine Massnahme der Banken, mit der sie allfällige Risiken bei einem Zinsanstieg im Zaum halten. Die Höhe dieses Satzes ist also nicht in Stein gemeisselt. Doch UBS-Immobilienexperte Claudio Saputelli (51) warnt vor voreiligen Lockerungen: «Natürlich ist die aktuelle Tragbarkeitsberechnung eine Hürde für das Eigenheim. Aber sie begrenzt die Verschuldungshöhe.»
Was ist bedeutet der kalkulatorische Zinssatz?
Je stärker der kalkulatorische Zinssatz falle, desto mehr könnten sich Hypothekarnehmer im Vergleich zum Einkommen verschulden, sagt Saputelli. «Das ist gefährlich. Sobald die Zinsen steigen, fangen die Probleme an.» Die Banken könnten schon kurzfristig mehr Kredite geben. «Aber damit würde die Nachfrage noch stärker angekurbelt.» Mit der Folge, dass die Preise weiter steigen. «Dann liegt auch die Verschuldungsquote höher», sagt Saputelli. «So vergrössert man am Ende nur das Pulverfass.»
Das Pulverfass ist heute 1138 Milliarden schwer – so hoch sind Schweizer Hypothekarnehmer verschuldet. In ihrem jüngsten Bericht zur Finanzstabilität hält die Schweizerische Nationalbank fest, die Anfälligkeit des Wohneigentummarkts für künftige Schocks habe deutlich zugenommen.
Keine Trendwende in Sicht
Kommt also bald der Crash? Simon Hurst von IAZI winkt ab. «Gerade die strikten Tragbarkeitskriterien wirken stabilisierend, falls die Zinsen wieder steigen.» Doch damit rechnet der Immobilienexperte in naher Zukunft ohnehin nicht: «Wir sehen keine Trendwende.» Neben dem knappen Angebot und dem Konjunkturaufschwung spiele auch die ungebrochen hohe Nettozuwanderung eine wichtige Rolle: «Die Schweiz ist begehrt», sagt Hurst.
Der Immo-Boom geht also weiter. «Und es ist kein Ende abzusehen», schreiben die Autoren der aktuellen Studie «Personenfreizügigkeit und Wohnungsmarkt» im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen. «Ohne Änderung des makroökonomischen Umfeldes wird sich dieser Markt nicht entspannen.»
Und die Zofreos? Sie bleiben in ihrer Wohnung. «So kann ich mir nie ein Haus kaufen!», sagt der Koch.