Mitschuld sind wechselfaule Bankkundinnen
So machten die Banken die Negativzins-Ära zum Erfolg

In der Schweiz kosten Finanzdienstleistungen heute deutlich mehr als vor Einführung der Negativzinsen. Mitschuld daran tragen wechselfaule Bankkundinnen.
Publiziert: 25.09.2022 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2022 um 17:54 Uhr
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Dezember 2014: Nationalbankpräsident Thomas Jordan gibt die Einführung von Negativzinsen bekannt.
Foto: Keystone
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Aus. Schluss. Vorbei. Am Donnerstag beendete Thomas Jordan (59), Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die Ära der Negativzinsen.

Deren Einführung im Jahr 2014 kam überraschend, doch ihr Ende zeichnete sich ab: Angesichts einer Inflationsrate von 3,5 Prozent blieb der SNB kaum eine andere Wahl, als das Geld wieder teurer zu machen. Denn teures Geld, also hohe Kosten für Kredite, dämpft den Konsum von Firmen und Privaten. Was wiederum die Nachfrage nach Produkten dämpft – und die Preise sinken lässt. Zumindest in der Theorie.

Als die Negativzinsen eingeführt wurden, waren die Vertreter des Finanzplatzes wenig erfreut. Im Laufe der Jahre arrangierten sie sich jedoch mit den neuen Gegebenheiten. Mehr noch: Für die meisten Banken war die Ära der Negativzinsen ein voller Erfolg. Ihnen gelang das Kunststück, ihre Erträge deutlich auszubauen, viele glänzten gar mit Rekordergebnissen.

398 Millionen Franken mit Komissions- und Dienstleistungsgeschäft

Massgeblich trug das Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft dazu bei, also Gebühreneinnahmen aus Vermögensverwaltung, Kreditvergabe, Zahlungsverkehr und Kontoführung. Fast alle Finanzhäuser bauten diesen Bereich kräftig aus, besonders Postfinance: 2014 verdiente die Staatstochter mit dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft 175 Millionen Franken, 2021 waren es bereits 398 Millionen. Pro Kundin stiegen die durchschnittlichen Einnahmen von 67 auf 155 Franken.

Die Postfinance war allerdings zu diesem Ausbau beinahe gezwungen. Weil sie keine Kredite vergeben darf, waren ihr im Zinsgeschäft die Hände gebunden. Doch auch andere grosse Finanzinstitute hielten sich nicht zurück.

Die Kantonalbanken steigerten während der Negativzins-Ära ihre Einnahmen im Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft um 34 Prozent, Raiffeisen um 25 Prozent. Die Genossenschaftsbank verdiente damit im vergangenen Jahr 536 Millionen Franken. Bei 3,61 Millionen Kunden macht dies 148 Franken an Kommissionen und Gebühren pro Kopf. Zum Vergleich: 2014 lag dieser Wert bei 116 Franken.

Trend zu höheren Gebühren

Ungeachtet dieser Zahlen wehren sich die Finanzinstitute gegen den Vorwurf, ihren Kundinnen mittels Gebühren das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Medienstelle der Postfinance findet es «unseriös», aus der Entwicklung des Kommissions- und Dienstleistungserfolgs auf «Gebühren je Kunde» zu schliessen. Das Unternehmen erklärt den Anstieg zur Folge seiner Neupositionierung als «Anlagebank». So habe man das Volumen der Wertschriftendepots gegenüber 2014 mehr als verdoppelt und zahlreiche neue Angebote eingeführt. All diese Schritte führten im Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft zu höheren Erlösen.

Raiffeisen argumentiert ähnlich und hält ausdrücklich fest: «Höhere durchschnittliche Einnahmen pro Kunde aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft sind nicht das Resultat von Gebührenerhöhungen.»

Einschätzungen unabhängiger Experten zweifeln an diesen Beteuerungen. Laut Adriel Jost (37), promovierter Ökonom und bis vor kurzem Geschäftsleiter des Zürcher Beratungsunternehmens WPuls, sind gestiegene Kontogebühren durchaus ein Grund für die höheren Einnahmen aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft: «Faktisch wurden Negativzinsen eingeführt, ohne dies beim Namen zu nennen.»

Der Preisüberwacher stellte Ende August in seiner «Marktbeobachtung» ebenfalls «einen Trend zu höheren Gebühren» fest. Und angesichts der Tatsache, dass die Ergebnisse der meisten Banken «eher positiv» gewesen seien, forderte er eine Senkung der Gebühren, sobald sich die Zinssituation normalisiert habe.

Änderung nicht in Sicht

Seit Donnerstag ist es nun so weit. Dass die Gebühren rasch abnehmen, dürfte indes ein frommer Wunsch bleiben. «Ich glaube, dass die Gebühren eher nicht gesenkt werden», sagt Andreas Dietrich (46), Professor für Banking and Finance an der Hochschule Luzern.

Im Hinblick auf Zinsen ist Dietrich etwas optimistischer und erwartet, dass die meisten Banken für Sparkonten wieder einen Zins anbieten. «Bei vielen Instituten wird das jedoch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung geschehen.»

Martin Brown (52) ist Direktor des Studienzentrums Gerzensee, des Aus- und Weiterbildungszentrums der SNB. Auch er glaubt, dass die Banken keine Eile an den Tag legen werden, um ihre Konditionen anzupassen, weist aber darauf hin, dass die Kunden daran nicht ganz unschuldig seien. Brown: «Bei den Gebühren bestehen bereits heute grosse Unterschiede zwischen den Banken. Die Schweizer Konsumenten sind aber offenbar nicht allzu preissensitiv.»

Sprich: Solange die Kunden die Preispolitik ihrer Banken lautlos hinnehmen, haben diese auch keinen Grund, ihre Konditionen zu verbessern.

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