Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die über siebenjährige Negativzins-Ära am Donnerstag beendet. Die Notenbank hat den sogenannten Leitzins über die Nulllinie auf 0,5 Prozent erhöht. Was bedeutet dieser Entscheid für Konsumentinnen und Konsumenten, für die Haushalte in der Schweiz? Blick gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was bedeutet der Zinsentscheid für Hausbesitzer mit einer Festhypothek?
«Für Eigenheimbesitzer mit einer Festhypothek heisst es erst mal: keine Panik!», sagt Donato Scognamiglio (52), Chef der Immobilienberatungsfirma Iazi. Denn für sie ändert sich fürs Erste nichts. Die Auswirkungen des SNB-Entscheids werden für diese Hausbesitzer erst dann spürbar sein, wenn sie eine neue Hypothek abschliessen müssen. Die Zinsen für Festhypotheken stiegen bereits seit Anfang Jahr stark an. Aktuell befindet sich der Zinssatz je nach Laufzeit zwischen 2,65 und 3,1 Prozent.
Die Saron-Hypothek war bisher eine günstige Alternative. Ändert sich das jetzt?
Auf jeden Fall! «Für Hausbesitzer mit einer Saron-Hypothek ist der heutige Entscheid keine gute Nachricht», sagt Scognamiglio. Der Saron basiert auf dem Leitzins. Dieser ist von minus 0,25 Prozent auf plus 0,5 gestiegen. Das heisst: Der Saron-Zinssatz wird ebenfalls steigen. Und zwar nicht nur auf die Höhe des Leitzinses. Hinzu kommt laut dem Immobilienexperten eine Marge der Bank von rund 0,7 Prozent.
Der Saron wird also einen Sprung machen. «Und zwar jetzt, nicht erst morgen», sagt Scognamiglio. Er erwartet, dass der Zins auf 1,3 bis 1,5 Prozent steigt. «Dieser Zinssprung wird für Hausbesitzer deutlich spürbar sein.»
Steht ein weiterer Anstieg der Hypothekarzinsen bevor?
«Wir müssen davon ausgehen, dass es weitere Zinssteigerungen geben wird», sagt Scognamiglio. Es sei möglich, dass der Saron in den nächsten sechs bis zwölf Monaten auf 2 Prozent klettert. «Dann kann es passieren, dass die langen und die kurzen Fristen plötzlich gleich teuer sind», so der Immobilienexperte. Das würde die Festhypotheken wieder attraktiver machen. Wenn sich dann viele Hauskäufer auf Festhypotheken stürzen, würden sie sich weiter verteuern.
Dazu kommt der Nebenkostenschock. Die Preise für Heizöl, Gas und Strom steigen stark an. «Aus Nebenkosten werden Hauptkosten», so Scognamiglio. «Deshalb rate ich Hausbesitzern, jetzt Geld auf die Seite zu legen und Schulden abzubezahlen.»
Was bedeutet der Entscheid für Mieter?
Auch Mieter werden diese Zinserhöhung zu spüren bekommen. Allerdings mit einer gewissen Verzögerung. Die Mieten werden steigen. Aber erst, wenn der Referenzzinssatz erhöht wird.
Der Referenzzinssatz ist der Durchschnitt aller Hypothekarzinssätze. Wenn der Referenzzinssatz um 0,25 Prozent steigt, müssen Mieterinnen und Mieter auf einen Schlag 3 Prozent mehr Miete bezahlen. «Ich erwarte, dass das nächstes Jahr der Fall sein wird», sagt Scognamiglio.
Müssen erste Eigenheimbesitzer um ihr Haus zittern?
«Es ist klar: Der SNB-Entscheid ist für Hausbesitzer eine schlechte Nachricht», sagt Scognamiglio. Probleme werden nun jene Hausbesitzer bekommen, die zusätzlich zu den steigenden Zinsen auch privat vor einer Herausforderung stehen – sei es eine Scheidung oder ein Jobverlust. «Dann ist es möglich, dass man sich die Hypothek, die bisher bezahlbar war, plötzlich nicht mehr leisten kann.»
Steht der Schweizer Häusermarkt vor einer Preiskorrektur?
Einen Crash erwartet der Immobilienexperte nicht. Aber die Zinserhöhung dürfte den Höhenflug des Schweizer Häusermarktes fürs Erste beenden. «Spitzen-Immobilienpreise gehören der Vergangenheit an», sagt Scognamiglio.
Ab wann können sich erste Hausbesitzer ihre Hypothek nicht mehr leisten?
«Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Hypothekarzinsen nächstes Jahr auf 3 bis 4 Prozent steigen», sagt Scognamiglio. Eine Katastrophe mit Ansage? Denn dieser Zinssprung hätte für viele Hausbesitzer fatale Konsequenzen.
Ab 3 Prozent können die ersten Hausbesitzer ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen. So steht es im Finanzstabilitätsbericht der SNB. Ein Fünftel der Eigenheimbesitzer kann sich dann ihr Haus nicht mehr leisten. «Das ist zu viel, ganz klar», so Scognamiglio.
Kriegen Sparerinnen und Sparer endlich wieder etwas fürs Geld?
Die Zeiten der leidigen Negativzinsen sind vorbei. Die Berner Kantonalbank, die Postfinance und die Zürcher Kantonalbank schaffen die Negativzinsen auf ihren Konten ab, verzichten jedoch weiterhin auf positive Zinsen. Die Banken WIR und Valiant haben die Negativzinsen bereits im Juni abgeschafft und gehen mit den Zinsen jetzt weiter hoch. Ein Sparkonto bei WIR wirft ab Dezember 0,15 Prozent Zins ab, bei Valiant sind es per November 0,25 Prozent. Auch die Graubündner Kantonalbank erhöht den Zins für gewisse Konten ab Oktober auf 0,25 Prozent. Was sich zudem ändert: «Es wird vermehrt wieder Zinsunterschiede zwischen Spar- und Privatkonten geben, wie es früher der Fall war», sagt Andreas Dietrich (45), Professor am Institut für Finanzdienstleistungen der Hochschule Luzern.
Werden die Banken in naher Zukunft um Sparer kämpfen?
Es ist eine Frage der Zeit, bis die Banken wieder positive Zinsen anbieten werden. Ein Kampf um die Sparer dürfte aufgrund der Leitzinserhöhung jedoch kaum ausbrechen, sagt Dietrich. «Bei den Banken spielen für die Zinsen auf Kundenguthaben noch viele andere Faktoren wie die Zinsrisiken und die Zusammensetzung der eigenen Bilanz eine Rolle.» Zudem sind Schweizer nicht nur bei der Krankenkasse wechselfaul, sondern auch bei ihren Bankkonten. Kleine Zinsunterschiede verleiten nur wenige zu einem Wechsel.
Werden die Ferien im Ausland billiger?
Nach dem Entscheid der Nationalbank hat sich der Schweizer Franken überraschend leicht abgewertet. Ein Euro kostet neu 0,967 Franken. Mittelfristig dürfte die Zinserhöhung den Franken jedoch stärken und so die nächsten Skiferien für Gäste aus dem Ausland verteuern. Gleichzeitig können Schweizerinnen und Schweizer günstiger ins Ausland reisen. Der Franken hat sich in den letzten Monaten stärker aufgewertet, als die Preise für Hotels oder Restaurantbesuche in den Nachbarländern durch dortige Teuerung gestiegen sind.
Droht wegen der Leitzinserhöhung jetzt eine Wirtschaftsflaute?
Die Auftragsbücher der Schweizer Industrie sind bei manchen Firmen noch bis Ende des nächsten Jahres voll. Die St. Galler Kantonalbank geht davon aus, dass die Schweizer Wirtschaft 2022 um 2 Prozent wächst, im nächsten Jahr dann aber abkühlt. «Der Zinsschritt der Nationalbank verstärkt eine solche Abschwächung der Konjunktur. Er macht Kredite teurer, und hat auch einen psychologischen Effekt. Die Leute werden beim Konsum zurückhaltender», sagt Caroline Hilb (44), Leiterin Anlagestrategie und Analyse bei der St. Galler Kantonalbank.
Steigt mit dem Leitzins auch die Arbeitslosigkeit?
Die Schweizer Bevölkerung muss sich derzeit kaum Sorgen über eine steigende Arbeitslosigkeit machen. Die Firmen finden nach wie vor zu wenig Fachkräfte. Schwächt sich die Konjunktur ab, könne die Zahl der Arbeitslosen zwar leicht steigen, sagt Hilb. «Doch die Firmen wissen noch, wie schwierig es nach der Corona-Pandemie war, wieder Personal zu finden. Deshalb werden sie sich zweimal überlegen, ob sie jemanden entlassen oder lieber zuwarten.»