Endlich! Viele dürften aufgeatmet haben, als nach fast acht Jahren die Phase der Negativzinsen in der Schweiz endet. Die Schweizerische Nationalbank hebt den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte an. Neu liegt dieser bei plus 0,5 Prozent. Auch beim Präsidium der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist Erleichterung zu spüren, dass die Zinsen wieder im positiven Bereich sind. Im Gespräch mit Blick erklärt Thomas Jordan (59), Präsident der SNB, die Gründe für das Ende der Negativzinsen, die die Nationalbank Ende 2014 eingeführt hatte.
Blick: Mit dem heutigen Zinsschritt beendet die SNB die einmalige Phase in der Geldpolitik.Thomas Jordan: Wir hatten jetzt fast acht Jahre lang negative Zinsen. Mit diesem Schritt sind wir nun wieder im Bereich positiver Zinsen. Das ist eine gute Entwicklung.
Als damals die Negativzinsen eingeführt wurden, haben Sie damit gerechnet, dass diese so lange bleiben?Nein, damit haben wir wirklich nicht gerechnet, wir haben gedacht, das ginge schneller wieder vorbei. Aber das Umfeld hat sich nicht positiv entwickelt, eine Krise folgte auf die andere, der Druck auf den Franken ist geblieben. Deshalb musste die Nationalbank bis jetzt am Negativzins festhalten.
Die Inflation in der Schweiz ist so hoch wie schon lange nicht mehr. Hätten die Zinsen nicht noch weiter raufmüssen?0,75 Prozentpunkte sind ein grosser Schritt, viel grösser, als man bis vor kurzem noch für geldpolitische Entscheide gedacht hatte. Zudem schliessen wir weitere Zinserhöhungen nicht aus. Unser Ziel ist, dass die Inflation sinkt und im Bereich der Preisstabilität bleibt, also unterhalb von 2 Prozent.
Wann wird das so weit sein? Gemäss unserer Prognose sollte die Inflation gegen Ende des nächsten Jahres wieder sinken und dann 2024 bei etwa 2 Prozent liegen. Allerdings kann in der Zwischenzeit noch sehr viel passieren. Die internationale Lage ist sehr komplex. Es hängt davon ab, wie sich die Energiepreise und die internationale Konjunktur entwickeln. Wir werden aber alle notwendigen Massnahmen ergreifen, damit die Inflation mittelfristig wieder bei 2 Prozent ist.
Was treibt die Inflation in die Höhe? Das sind immer noch die Energiepreise. Der Ölpreis hat eine grosse Wirkung, in Zukunft vermehrt auch der Strom, da sind ja bereits Preiserhöhungen angekündigt. Aber davon ausgehend sind immer mehr Komponenten des Landesindex der Konsumentenpreise von Preissteigerungen betroffen. Das sind sogenannte Zweitrundeneffekte. Die Straffung der Geldpolitik soll dazu führen, dass möglichst wenige dieser Zweitrundeneffekte entstehen.
Was heisst das konkret? Wo sind diese Zweitrundeneffekte zu spüren? Werden nun auch Güter wie Möbel oder Autos noch teurer?
Gerade bei Möbeln oder Autos sehen wir bereits, dass die Preise steigen. Da spielen auch die Lieferengpässe eine Rolle. Aufgrund von Covid und dem Krieg in der Ukraine stehen bestimmte Güter und Komponenten nicht mehr zur Verfügung. Das hat Folgen für die Produktion, es entsteht Knappheit, und das treibt die Preise. Zweitrundeneffekte bedeuten, dass sich die erhöhten Energiepreise auch auf andere Güterpreise durchschlagen. Dazu könnten auch steigende Löhne gehören. Das führt dazu, dass sehr viele Güter teurer werden.
Der Leitzins der SNB ist endlich wieder positiv. Bekommen nun Sparer auch wieder Zinsen auf ihrem Konto?
Über die Zeit sollte das sicher der Fall sein, aber es ist eine Entscheidung der einzelnen Banken, wie sie genau die Spargelder verzinsen wollen. Aber die Banken stehen untereinander im Wettbewerb und sind darauf angewiesen, dass Sparer ihr Geld zur Bank bringen, ihr Lohnkonto dort haben. Das wird die Zinsen mittelfristig auch auf den Bankkonten ansteigen lassen.
Das ist doch absurd: Die SNB muss den Banken sofort Zinsen zahlen, aber die Sparer habe noch nichts davon?
Diese Frage müssten vor allem die Banken beantworten, ob sie im Wettbewerb bestehen können, wenn sie ihren Sparer nicht mehr Zinsen zahlen. Ab jetzt wird es eine ganze Reihe von Dominoeffekten geben, die dazu führen, dass auch andere Zinsen steigen.
Wie gross ist die Sorge der SNB bezüglich der Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt?
Der Immobilienmarkt ist schon lange auf unserem Radar. Die Preise sind in den letzten Jahren stark gestiegen, auch die Hypothekarzinsen haben angezogen – schon vor dem aktuellen Zinsentscheid. Allerdings sind die Hypothekarzinsen nicht explodiert, sondern um einen bis zwei Prozentpunkte angestiegen. Das sollte zu einer Normalisierung der Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt führen. Allerdings spielen da weitere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel das knappe Angebot von Wohnraum insgesamt.
Die Preise für Wohneigentum steigen ungebremst weiter.
Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. Wenn sich die Geldpolitik ändert, dann hat das nicht schon morgen einen Einfluss auf die Immobilienpreise. Das ändert sich erst über ein paar Quartale.
Die Schweizer Wirtschaft wird weniger stark wachsen als bisher angenommen. Weshalb?
Die internationale und vor allem die europäische Wirtschaft schwächen sich ab. Das ist in Europa die direkte Folge des Konflikts in der Ukraine. Die steigenden Energiepreise drücken auf die Stimmung der Konsumenten und Produzenten. Aber selbst in den USA wächst die Wirtschaft langsamer. Das hat direkte Auswirkungen auf die Exportnation Schweiz.
Droht nun gar eine Rezession?
Davon gehen wir im Moment nicht aus. Die Schweizer Wirtschaft dürfte dieses Jahr um 2 Prozent wachsen. Im nächsten Jahr könnte sich die Situation weiter eintrüben. Aber es gibt eine ganze Reihe von Risiken, die das Wirtschaftswachstum negativ beeinflussen können. Zum Beispiel, wenn die Energiepreise noch einmal stark ansteigen oder sich die Konjunktur im Ausland verschlechtert. Oder wenn sich die Corona-Situation nochmals verschärft. All das würde sich sehr negativ auswirken. Und dann könnte man nicht mehr ganz ausschliessen, dass die Weltwirtschaft und damit auch die Schweizer Wirtschaft in eine Rezession abrutschen könnten.