Bergbahnen-Chef Franz Julen erklärt den Erfolg von Zermatt – und schiesst gegen die Konkurrenz
«Jetzt können wir es allen Besserwissern zeigen»

Franz Julen ist einer der Köpfe hinter dem grossen Erfolg von Zermatt VS. Im grossen Blick-Interview erzählt er, weshalb andere Destinationen neidisch auf Zermatt sind, ob Skifahren in Zukunft zum Reichensport wird und ob er Angst vor dem US-Riesen Vail Resorts hat.
Publiziert: 27.11.2024 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2024 um 10:39 Uhr
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Franz Julen ist seit über sechs Jahren Verwaltungsratspräsident der Zermatt Bergbahnen.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Der Name Julen ist in Zermatt allgegenwärtig: Nicht weniger als 91 Einträge stehen im örtlichen Telefonbuch. Einer der berühmtesten Einwohner ist Franz Julen (66): Präsident der Zermatt Bergbahnen und des OK-Teams für den Ski-Weltcup, früherer weltweiter Intersport-Chef und Präsident der Valora (K-Kiosk), wo er heute noch Berater ist. Zudem ist Julen Verwaltungsrat von Aldi International und VFS Global mit Sitz in Dubai. Ganz gleich ob Berg oder Tal: An Franz Julen ist kaum ein Vorbeikommen.

Herr Julen, warum tun Sie sich das mit 66 Jahren noch alles an?
Franz Julen: Ich sehe es als ein Privileg an, für viele verschiedene Firmen noch arbeiten zu dürfen. Ich fühle mich fit und arbeite immer noch gerne. Mich spornt an, dass ich jeden Tag noch etwas Neues lernen kann.

Sie tragen Konfrontationen öffentlich aus. Warum gehen Sie diesen nicht aus dem Weg?
Von Natur aus bin ich ein Kämpfer, habe einen gesunden Ehrgeiz, bin konsequent und ehrlich. Bei mir weiss jeder, woran er ist. Ich versuche, etwas zu bewegen. Manchmal braucht es Konfrontation, um gute Lösungen zu finden.

Als die FIS Zermatt aus dem Weltcupkalender gestrichen hat, haben die Zermatt Bergbahnen hart reagiert und die Skiprofis vom Berg verbannt. Danach ist die FIS zurückgerudert. Eine Genugtuung?
Aufgrund des super Wetters in den letzten Wochen können wir jetzt all den Besserwissern und Kritikern zeigen, dass Rennen auf der Gran Becca machbar sind. Das gibt mir doch eine gewisse Genugtuung.

Wie stehen die Chancen für Weltcuprennen in den nächsten Jahren?
Wir haben einen Fünfjahresvertrag mit den Verbänden, drei Jahre sind noch offen, ich bin da ganz entspannt. Es liegt an der FIS und Swiss-Ski, nun mit konkreten Vorschlägen zu kommen. Ich bin überzeugt: Wenn Zermatt Weltcuprennen weiter will, wird Zermatt die früher oder später bekommen. Schneesicherheit, Höhenlage und das Image von Zermatt spielen uns in die Karten.

Sind Sie auch so entspannt, was die Ermittlungen der italienischen Justiz gegen Sie angeht?
Es geht um eine kurze Zufahrtspiste zur Rennstrecke auf der italienischen Seite. Die Cervinia-Bergbahnen haben diese erstellt. Wir haben vollstes Vertrauen, dass alles rechtmässig lief. Mehr kann ich nicht sagen.

Das autofreie Bergdorf Zermatt zählt zum «Olymp der Wintersportorte». Am Matterhorn allein liegt das wohl kaum?
Man hört im Oberwallis und auch generell oft, dass Zermatt wegen des Matterhorns so erfolgreich ist. Aber es steckt viel mehr dahinter. Wir hatten in Zermatt immer viele Pioniere. Sie haben 1898 die Gornergratbahn gebaut oder in den 1970er-Jahren die Bahn hoch zum Klein Matterhorn, die so heute kaum mehr realisierbar wäre. Ohne diese Bahnen wäre Zermatt eine komplett andere Destination.

Also verdanken Sie den Erfolg diesen Pionieren?
Entscheidend für unseren Erfolg ist ebenso, dass Zermatt heute noch immer grösstenteils den Zermattern gehört. Die Bergbahnen, Hotels, Restaurants, Sportgeschäfte, der Grossteil des Gewerbes liegen in einheimischen Händen. Während in anderen Destinationen Hotels verkauft, umgebaut und zu kalten Betten wurden, haben wir nach wie vor sehr viele warme Betten. Darum werden wir beneidet. Zermatt hatte lange vor dem Zweitwohnungsgesetz schon ein striktes Wohnungs- und Baureglement eingeführt. Zudem sind wir trotz unseres Erfolgs am Boden geblieben. Zum Erbe unserer Vorfahren gilt es Sorge zu tragen und es mit Weitsicht und einer gewissen Demut weiterzuentwickeln.

Über die Mieten und Wohnungspreise kann man das nicht sagen. Die haben stark abgehoben und sind für das Tourismuspersonal kaum mehr bezahlbar!
Der bezahlbare Wohnraum in Zermatt ist wie in attraktiven Städten und anderen Tourismusdestinationen eine Herausforderung. Damit die Unternehmen weiterhin erfolgreich sind, braucht es attraktive Arbeitsbedingungen für Angestellte, und dazu gehört bezahlbarer Wohnraum für Mitarbeitende und Einheimische. Ich bin überzeugt, dass die Einheimischen für dieses Problem Lösungen finden.

Die Gemeinde nimmt nun Investoren von neuen Hotel- oder Ferienwohnungsprojekten in die Pflicht, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Tun die Unternehmen genug?
Ich bin ein Verfechter für den Schutz von Eigentum und des freien Markts. Doch vielleicht braucht es gewisse Regulierungen. Es existieren bereits Ideen und Projekte, die das Problem entschärfen dürften.

Die Zermatt Bergbahnen haben selbst 320 Angestellte, was tun Sie gegen den Wohnungsmangel?
Wir sind in ein neues Verwaltungsgebäude umgezogen und haben das alte in Wohnungen und Studios für die Mitarbeitenden umgebaut. Wir hätten daraus natürlich Airbnb-Angebote machen oder wochenweise vermieten können. Die Rendite wäre viel höher. Deshalb planen wir ein zweites Personalhaus und werden so für die nächsten fünf bis zehn Jahre unseren Bedarf decken.

Die Destination präsentiert regelmässig Gästerekorde. Kann das Wachstum so weitergehen?
Zermatt ist ein Premiumprodukt, wir müssen qualitativ wachsen und nicht quantitativ. In schwächer ausgelasteten Randzeiten haben wir durchaus noch Potenzial. Deshalb verfolgen wir eine 365-Tage-Strategie.

Diese Ganzjahresstrategie stösst auch auf Kritik in der Gemeinde ...
... Ich respektiere jeden Unternehmer, der sagt, er wolle in den Randzeiten seine Ruhe haben und in die Ferien gehen. Diese Leute sollen dann aber nicht jammern, dass sie keine Top-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen kriegen. Mit einer Ganzjahresstrategie kann man Jahresverträge anbieten und so bessere Angestellte anlocken.

Zermatt wird immer wieder im Zusammenhang mit Overtourism genannt. Zurecht?
Die Definition von Overtourism ist, dass ein Ort so überlaufen ist, dass es zu negativen Folgen für Natur, Gäste und Bevölkerung kommt. Unser Premiumprodukt verträgt keinen Massentourismus. Wir verfügen über die nötige Infrastruktur. Die Bergbahnen haben eine Transportkapazität von 57'000 Gästen pro Stunde. Zu Spitzenzeiten befinden sich ca. 18'000 Gäste im Gebiet. Und die Bahnhofstrasse ist im Sommer tagsüber zwar sehr stark frequentiert, aber ein paar Minuten entfernt findet man bereits Gassen und Wanderwege, wo man praktisch allein ist. Wir haben in Zermatt keinen Overtourismus, nehmen das Thema aber ernst.

Persönlich: Franz Julen

Franz Julen (66) hat an der Schweizerischen Hotelfachschule in Luzern studiert und arbeitete jahrzehntelang erfolgreich in unterschiedlichen Führungspositionen bei internationalen Grossfirmen. Der Walliser Julen ist verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Kindern, und wohnt in Hünenberg ZG, ist aber oft in Zermatt. In seiner Freizeit spielt er Tennis und Golf oder kurvt die Skipisten in Zermatt hinunter. Auch die Zeitungslektüre hat in seinem Tagesablauf – Julen war einst Sportjournalist – einen festen Platz.

Franz Julen (66) hat an der Schweizerischen Hotelfachschule in Luzern studiert und arbeitete jahrzehntelang erfolgreich in unterschiedlichen Führungspositionen bei internationalen Grossfirmen. Der Walliser Julen ist verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Kindern, und wohnt in Hünenberg ZG, ist aber oft in Zermatt. In seiner Freizeit spielt er Tennis und Golf oder kurvt die Skipisten in Zermatt hinunter. Auch die Zeitungslektüre hat in seinem Tagesablauf – Julen war einst Sportjournalist – einen festen Platz.

Kann man in Zermatt überhaupt in der Hauptsaison spontan für den Abend einen Tisch im Restaurant reservieren, ohne Franz Julen zu heissen?
Wir haben 113 Hotels und 166 Restaurants. Man findet bestimmt Platz.

Sie durften im letzten Jahr das Matterhorn Alpine Crossing mit einer neuen Rekordbahn einweihen. Eine Gesamtinvestition von 140 Millionen Franken, die in den Medien schon als Flop bezeichnet wurde. Zahlt sich das aus?
Ja. Das Produkt ist erst seit anderthalb Jahren auf dem Markt, und wir haben die Werbung in den Fernmärkten noch gar nicht richtig hochgefahren. Trotzdem liegen wir bereits über den Zielen in unserem Businessplan, in dem wir mit Gästezahlen in der Grössenordnung des Titlis oder des Jungfraujochs gerechnet haben.

Diese befördern beide über eine Million Gäste pro Jahr.
Wir transportieren die Skifahrer von Zermatt und der italienischen Seite aufs Klein Matterhorn. Zusammen mit den Ausflugsgästen erreichen wir in Kürze auch diese Frequenzen.

Kritische Stimmen aus dem Gewerbe sagen, man habe 140 Millionen Franken investiert, damit Gäste bei einer einwöchigen Europareise einen kurzen Abstecher nach Zermatt machen können. Die Hotellerie habe nichts davon …
Aus den Fernmärkten kommen heute jedoch nicht mehr die grossen, sondern kleine Gruppen zu uns. Bieten wir als ganze Destination ein Premiumprodukt, bleiben sie mehr als eine Nacht in Zermatt. Wir entwickeln das Alpine Crossing laufend weiter und planen ein neues Bergrestaurant und eine neue Gipfelinfrastruktur. Dieses Generationenprojekt, von dem wir 80 Jahre träumten, wird der Destination noch viel Freude bereiten. Übrigens haben wir von den ganzen Investitionen bereits 46 Prozent abgeschrieben. Vergessen Sie dabei nicht: Solche Bahnen haben eine Lebensdauer bis zu 50 Jahren. Und noch etwas: Bei bahnbrechenden Projekten gibt es immer anfänglich Kritik. Diese nehmen wir ernst, zeigen aber auch Durchhaltewillen, Standfestigkeit und Weitsicht.

Der Erfolg in Zermatt weckt Begehrlichkeiten. Hat der US-Riese Vail Resorts noch nicht angeklopft?
Mir ist kein konkretes Interesse bekannt. Sie dürften wissen, dass das zwecklos ist. Die Geschäftsmodelle sind auch komplett verschieden. Vail Resorts bietet alles aus einer Hand, vom Skifahren über Hotels und Restaurants bis zum Sportgeschäft. Ich bin überzeugt, dass unser Zermatter Modell erfolgreicher und nachhaltiger ist. Die Hotels und alle Unternehmen sind eigenständig und kämpfen jeden Tag für ihren Erfolg. Das sorgt für Innovation. Das Konzept von Vail würde in Zermatt nie funktionieren.

Und warum nicht?
Schauen Sie sich die Skigebiete von Vail Resorts an! Die haben grösstenteils veraltete Bahnen, die in Betrieb sind, bis sie nicht mehr funktionieren. Wir legen viel mehr Wert auf Qualität, Service und Komfort. Sie haben die Bergbahnen in Crans-Montana übernommen und wollen innerhalb von fünf Jahren 30 Millionen Franken investieren. Das sind gerade mal 6 Millionen pro Jahr, obwohl der Investitionsbedarf ein Vielfaches davon ist. Die Zermatt Bergbahnen haben in den letzten 22 Jahren 750 Millionen investiert. Das sind 30 bis 40 Millionen pro Jahr.

So ganz ohne Amerikaner wollen Sie aber auch nicht. Wie läuft die Ticket-Kooperation mit Vail-Konkurrent Alterra?
Wir hatten schon immer viele amerikanische Gäste. Mit der Kooperation hat ihre Zahl noch mal zugenommen. Nach den Schweizern sind sie unsere wichtigste Gästegruppe. Von dieser Zusammenarbeit profitieren alle Beteiligten enorm. Alterra kann Zermatt in den Ikon-Pass integrieren, Ticketinhaber dürfen bis zu sieben Tage bei uns gratis Ski fahren. Die Bergbahnen erhalten von Alterra einen guten Preis. Das ganze Gewerbe profitiert von diesen zahlungskräftigen Gästen. Wir haben den Vertrag kürzlich langfristig verlängert. Wir haben die internationale Anbindung, ohne die Eigenständigkeit wie Andermatt oder Crans-Montana verloren zu haben.

In Amerika kosten Tageskarten über 200 Dollar. Reto Gurtner, Chef der Weissen Arena in Laax, rechnet damit, dass man in der Schweiz in zehn Jahren ebenfalls 200 bis 300 Franken zahlt. Würden Sie das unterschreiben?
Die Tageskarte in Zermatt wird in zehn Jahren garantiert nicht 200 bis 300 Franken kosten. Mit einem Anteil von 50 Prozent sind die treuen Schweizer Gäste unser wichtigster Partner. Sie würden solche Preise niemals akzeptieren. Unser wichtigstes Produkt sind heute Mehrtagespässe für vier bis sieben Tage. Je nach Saisonzeitpunkt zahlen diese Gäste für Zermatt zwischen 60 und 80 Franken pro Tag. Wir wollen nicht zu einem Skigebiet nur für Reiche werden. Kinder bis neun Jahre fahren bei uns gratis. Wir werden mit den Preisen nicht übertreiben. Unser Premiumprodukt hat sicher seinen Preis, doch dafür wird den Gästen auch einiges geboten. Diese sehen das ebenfalls so, sonst hätten wir nicht 2,7 Millionen Logiernächte pro Jahr.

Befürchten Sie, dass die Zahl der Skigäste künftig wegen des Klimawandels sinkt?
Ich rechne vor allem in Europa mit einem schrumpfenden Markt und einem zunehmenden Verdrängungswettbewerb. In Zermatt werden wir aber auch künftig voll auf den Wintersport setzen und investieren. Unser Skigebiet ist hoch gelegen und schneesicher. Unser Ziel ist klar: Wir wollen im Winter weiterwachsen und auch international Marktanteile dazugewinnen.

Für Skigebiete unter 1500 Metern über Meer dürfte Ihre Prognose unerfreulicher ausfallen?
Die Herausforderungen für diese Skigebiete sind gross. Ich hoffe, dass möglichst viele kleine Gebiete weiter bestehen. Sie sind für die Branche überlebenswichtig. Hier lernen viele das Skifahren, bevor sie nach Zermatt und in andere hochalpine Destinationen gehen. Wir sehen uns hier in der Verantwortung und helfen kleinen Bergbahnen mit unserem Fachwissen, Fachpersonal, im Unterhalt oder geben Maschinen und Anlagen, die wir ersetzen, gratis ab. Bei vielen Bahnen bietet zudem das Sommergeschäft riesige Chancen für die Zukunft.

Auch für Zermatt?
Absolut. In den Städten wird es im Sommer immer wärmer, und die Hitze zieht die Menschen in die kühlen Berge. Wir hatten 2023 einen Rekordsommer und beförderten 20 Prozent mehr Gäste als im bis dahin besten Jahr. In diesem Sommer konnten wir diese Zahlen trotz Hochwasser und Schlechtwetterphasen fast halten. Wir wollen den Sommer ausbauen und investieren in das Sommergeschäft, mit dem Alpine Crossing, ins Mountainbiken, Wandern, in die Kulinarik und in weitere Erlebnisangebote.

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