Wusste Axel Lehmann (64), der Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse (CS), bereits etwas über die staatlich koordinierte CS-Notlösung, während er inbrünstig verkündete, eine solche sei «kein Thema»? Ein Video, aufgenommen im Rahmen der Financial Sector Conference 2023 in der saudischen Hauptstadt Riad, wird aktuell in Bankenkreisen herumgereicht. Darin spricht Lehmann überzeugt davon, dass eine staatliche Intervention bei der CS nicht nötig sei und seine Bank eine «genügend starke Kapitalquote» habe.
Das wird ihm nun im Nachhinein angelastet. Dass er so etwas sage, während im Hintergrund bereits das Ende der CS aufgegleist wird. Über Lehmann wird gespottet. Die Frage liegt im Raum, ob solch eine «Falschaussage» sogar justiziabel sei.
Ging alles zu schnell?
Die CS äussert sich auf Anfrage von Blick nicht zum Video und zu den Aussagen Lehmanns. Ein genauer Blick auf die Abfolge der Vorgänge zeigt aber: Lehmann spricht in Riad – zeitlich der Schweiz zwei Stunden voraus – morgens zwischen 9 und 10 Uhr an einer Podiumsdiskussion. Bundesrätin Karin Keller-Sutter (59) sagt in der Medienkonferenz des Bundesrats vom darauffolgenden Sonntag, dass erste Gespräche zwischen Bund, UBS und CS «am Mittwochnachmittag» stattgefunden haben. Am Abend desselben Tages informieren die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) und die Schweizerische Nationalbank (SNB), dass «von den Problemen gewisser Bankinstitute in den USA keine direkte Ansteckungsgefahr für den Schweizer Finanzmarkt» ausgehe, und die CS «die Anforderungen an Kapital und Liquidität» erfülle. Die SNB werde «im Bedarfsfall» der CS Liquidität zur Verfügung stellen.
Am Donnerstag kündigt die CS an, dass sie die Hilfe der SNB annimmt. Ein «normaler Prozess», wie selbst Keller-Sutter betont. Am selben Abend entscheidet aber der Bundesrat, dass die CS an die UBS gehen soll, mit Segen und Finanzhilfe des Bundes.
Die Situation entwickelt sich rasant. Ob Lehmann bereits am Mittwochmorgen von der staatlichen Intervention wusste, lässt sich nicht nachweisen und darf angezweifelt werden. Sicher ist nur, dass Lehmann um die prekäre Lage seiner Bank gewusst haben muss.
Unvorsichtige Ausdrucksweise
Einen Vorwurf muss sich der Bankpräsident deshalb gefallen lassen: Seine Aussagen in Riad waren suboptimal und unvorsichtig für eine Grossbank, der die Kunden davonlaufen. «Auf die Frage nach einer staatlichen Intervention musste Lehmann vorbereitet sein», glaubt Kommunikationsprofi Ferris Bühler (46). Mit seiner dezidierten Antwort, wonach staatliche Einmischung kein Thema sei, musste Lehmann in Kauf nehmen, dass ihm diese Aussage bei einer Änderung der Lage um die Ohren fliegt. «Statt eine geschlossene Antwort zu geben, müsste Lehmann eine staatliche Intervention als eine mögliche Option für den Fall einer Lageverschlechterung im Raum stehen lassen», meint Bühler. «Man darf immer sagen, dass man mit Herausforderungen kämpft.»
Leider habe die CS die Probleme immer kleingeredet und generell unzureichend zu den vielen Herausforderungen kommuniziert. Bühler: «Trotz der soliden Bilanz ist ihr damit das Vertrauen der Öffentlichkeit entgleitet.»