Auf einen Blick
Hoch konzentriert sitzt eine Mitarbeiterin des Industriebetriebs Urma in Rupperswil AG hinter dem Mikroskop. Mit ihren Augen kontrolliert sie auf einem Bildschirm, ob die Kanten des daumennagelgrossen Präzisionswerkzeugs keine Fehler aufweisen. Geschickt dreht sie das Werkstück unter dem Objektiv, unterzieht es einer dreidimensionalen Qualitätskontrolle.
Eine anstrengende Arbeit, die Augen ermüden schnell, alle zwei Stunden gehört eine Pause dazu. Bald schon soll künstliche Intelligenz die Mitarbeitenden entlasten.
Doch zuerst muss die KI noch mit Bildern fehlerhafter Werkstücke gefüttert werden, damit sie die Qualitätsmängel genauso gut erkennt, wie die geschulten Angestellten. Und es braucht noch einen weiteren Automatisierungsschritt, um die flinken Finger zu ersetzen. «Wir überlegen uns, mit mehreren Kameras zu arbeiten, damit die KI das Werkstück von allen Seiten betrachten und kontrollieren kann», erklärt Kevin Schmale (37), Produktionsmanager der Abteilung Schleiferei bei Urma.
KI reduziert Arbeitsbelastung
«Ich bin sehr optimistisch, was den Einsatz von KI in der Industrie anbelangt», sagt Schmale. Nur: Teilen seine Mitarbeitenden diesen Optimismus auch? Oder fürchten sie eher um ihre Jobs? «Nein, die sind erleichtert, wenn die KI einen Teil der Arbeit übernimmt», ist Schmale überzeugt. «Wir sind hier am Anschlag, weil die Qualitätskontrolle höchsten Ansprüchen genügen muss.» Dank KI könnten sich die Mitarbeitenden vermehrt auf andere Arbeitsschritte konzentrieren.
Dem pflichtet Yannick Berner (32), der zusammen mit seinem Zwillingsbruder Oliver das Familienunternehmen in der dritten Generation leitet, bei: «Wir haben – auch wegen des Fachkräftemangels – so viel Arbeit. Da sind wir um jede Entlastung froh, die es uns erlaubt, die Leute anderswo einzusetzen.» Berner vergleicht die Einführung von KI mit dem Beginn der Automatisierung in der Industrie: «Damals hatten auch einige Angst, die Roboter würden ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen». Doch diese hätten vor allem die Arbeit erleichtert und die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen gesteigert. «Als Industriebetrieb sind wir es gewohnt, so wie die gesamte Tech-Industrie, dass wir uns ständig neu erfinden müssen.» Das gelte gerade auch für die Angestellten.
Noch ein weiter Weg
Wie bei vielen Firmen steckt die KI auch bei Urma – einem KMU mit rund 150 Mitarbeitenden – noch in den Kinderschuhen. Ein Thema ist sie aber schon länger: Bereits zum zweiten Mal hat Urma im letzten Jahr einen sogenannten Hackathon durchgeführt. Dabei kamen Interessierte aus der ganzen Firma zusammen, um sich einen Tag lang über Anwendungsmöglichkeiten von KI den Kopf zu zerbrechen. «Mir ist wichtig, dass nicht einfach die Geschäftsleitung bestimmt, wo KI eingesetzt wird», so Berner. «Wir müssen die Mitarbeitenden mitnehmen und schauen, wo wir gemeinsam als Firma die Arbeitslast verringern können.»
Neben der Qualitätskontrolle wurde die Produktionsplanung als ein weiterer Anwendungsbereich ausgemacht: «Wir haben in teure Maschinen investiert. Dazu kommen die hohen Lohnkosten in der Schweiz. Es geht also um die Frage, wie können wir Maschinen und Angestellte am effizientesten einsetzen, damit es keine – teuren – Leerläufe gibt», erklärt Berner.
Die meisten Mitarbeitenden stehen dem Einsatz von KI offen gegenüber. Das habe auch damit zu tun, dass die meisten keine Berührungsängste hätten, weil sie schon mal – privat oder beruflich – selbst auf generative KI zurückgegriffen haben. Also eine Mail, eine Geburtstagskarte oder einen anderen Text mithilfe von ChatGPT oder einem ähnlichen Tool kreiert hätten.
Neue Kompetenzen gefragt
Allerdings ist sich Berner sehr wohl der Grenzen dieser frei verfügbaren Helferlein bewusst: «Wir müssen besonders beim Datenschutz sehr wachsam sein: Welche Daten dürfen eingelesen werden, wo sind sie gespeichert, was kann verarbeitet werden?» Gerade bei heiklen Kundendaten müsse man sich das sehr gut überlegen.
Wichtig sei auch, dass die Firmen in die Ausbildung der Angestellten investieren, ist Berner überzeugt. «Das Prompten, also die Art und Weise, wie man der KI Handlungsanweisungen erteilt, wird künftig zu einer der Kernkompetenzen gehören.» Zudem müssten die Mitarbeitenden darin geschult werden, die Resultate, welche die KI ausspuckt, kritisch zu hinterfragen.
KI kann also noch lange nicht alles und wird im Idealfall die Menschen in der Arbeitswelt unterstützen, aber nicht überflüssig machen. Das gilt gerade auch für den Chef. Berner: «Führungsthemen können sie nicht an einen Chatbot auslagern. Das persönliche Gespräch mit den Mitarbeitenden kann keine KI ersetzen».