So geht Generationenwechsel richtig
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Geschwister übernehmen Betrieb:So geht Generationenwechsel richtig

Für Familienunternehmen ist der Generationenwechsel oft ein Problem – nicht so beim Werkzeugbauer Urma
Diese drei Geschwister sind bereit

Gleich drei Geschwister sitzen beim Werkzeugbauer Urma in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Noch hält der Vater die Fäden in der Hand, doch die Geschwister stehen bereit, führen ihre eigenen Bereiche.
Publiziert: 09.01.2023 um 00:55 Uhr
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Ziehen geschäftlich am gleichen Strick: Oliver, Jessica und Yannick Berner (v. l.).
Foto: Nathalie Taiana
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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Es kommt selten vor, dass man bei einem Firmenbesuch von drei Mitgliedern der Geschäftsleitung gleichzeitig empfangen wird. Die noch dazu Geschwister sind und alle fast gleich jung. Möglich ist das beim Werkzeughersteller Urma in Rupperswil AG. Hier dreht sich fast alles um das Bohren von Löchern. Was bei weitem nicht so banal ist, wie es klingen mag.

«Es geht bei uns um die präzise Bearbeitung von Löchern unterschiedlichster Grösse», erklärt Yannick Berner (30) beim Rundgang durch die Produktionshallen. «Wir machen auch viele Sonderanfertigungen», ergänzt der um vier Minuten ältere Zwillingsbruder Oliver (30). «Der Kunde kommt mit einem Problem zu uns, wir helfen dabei, es zu lösen.»

Frauenanteil verdoppelt

Zwar zieht im Moment noch Vater Urs Berner (65) als Präsident und CEO die Fäden, doch die Geschwister Jessica (31), Oliver und Yannick wirken schon heftig mit. Die dritte Generation des Familienbetriebs, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, steht für den Generationenwechsel bereit.

Der Vorteil eines solchen Übergangs: Die nächste Generation sichert den Fortbestand der Firma. Streitigkeiten um das Erbe entfallen, Arbeitsplätze bleiben erhalten.

Eine bereits erstaunlich reife, aber auch moderne Generation. Begriffe wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Agilität, Innovationsförderung, aber auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kommen den Geschwistern wie selbstverständlich über die Lippen. «Wir schreiben jede Stelle mit Teilzeit aus, gehen, wo möglich, auf die Arbeitszeitwünsche unserer Mitarbeitenden ein», erklärt Finanz- und Personalchefin Jessica. «Wir wollen mehr Frauen in die Industrie locken, auch um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.» Mit Erfolg: Innert weniger Jahre hat sich der Frauenanteil in der Firma verdoppelt.

Glaube an den Standort Schweiz

Der Mangel an qualifizierten Fachleuten macht der Personalchefin Sorgen: «Das ist noch nicht der Höhepunkt, da kommt einiges auf uns zu.» Stolz ist sie deshalb auf die eigenen Lehrlinge. Einige, die hier ausgebildet wurden, arbeiten noch heute im Betrieb. Mit 94 Prozent ist der Exportanteil hoch und typisch für einen Schweizer Industriebetrieb. Der Grossteil der Präzisionswerkzeuge geht in den Euroraum. Der starke Franken ist auch für Urma immer wieder eine Herausforderung. «Dank der hohen Fertigungstiefe und Automatisierung bleibt der grosse Teil der Wertschöpfung in Rupperswil», sagt Oliver.

Für die drei Geschwister ist klar: «Wir glauben an den Standort hier im Aargau.» Sie haben deshalb sogar ein eigenes Testcenter aufgebaut, um die Entwicklung neuer Produkte zu beschleunigen. «Von der Idee bis zur Vermarktung machen wir alles selbst», sagt Yannick, der für Digitalisierung und Marketing verantwortlich ist.

Um der Kundschaft eine noch breitere Produktpalette anbieten zu können und um der Frankenstärke nicht völlig ausgeliefert zu sein, setzt die Firma seit längerem auf ein zweites Standbein: den Maschinenhandel. Dieser Bereich hat das stärkste Wachstum in der Schweiz. Urma vertreibt exklusiv die Werkzeugmaschinen des US-Produzenten Haas – Besitzer des gleichnamigen Formel-1-Rennstalls – und verkauft seit 2019 3-D-Drucker für industrielle Anwendungen. Die Sparte führt Oliver, der erst seit kurzem in der Firma dabei ist. Er weiss um die Verantwortung des Unternehmers gegenüber seinen Angestellten: «Hinter jedem Arbeitsplatz steht eine ganze Familie. Allein beim Gedanken daran bekomme ich immer wieder Gänsehaut.»

Engagierter Industrieller

Die Wertschätzung für die 130 Angestellten und viele andere Führungstugenden haben die Geschwister von ihrem Vater im vor sechs Jahren gegründeten Familienbeirat gelernt. Hier diskutiert die Familie – auch die aus Hongkong stammende Mutter versteht als ehemalige Urma-Informatikerin einiges vom Geschäft – Fragen rund um die Firma. Der Vorteil: Bei Familienfeiern dreht sich das Gespräch dann eben nicht um den Betrieb.

Yannick wirkt ein bisschen wie der Wortführer der drei Geschwister, was die anderen aber nicht stört. «Ich bin der Schnurri in der Familie», erklärt der jüngere Zwilling, der mit seinem Redetalent auch als FDP-Grossrat in der Aargauer Politik mitmischt. Seine Geschwister unterstützen ihn dabei: «Es ist wichtig, dass sich Unternehmer und Industrielle engagieren. Von ihnen hat es viel zu wenige in der Politik», so Jessica, die auch mal frühmorgens Wahlkampf-Flyer für den Bruder verteilt.

Keine Eile mit Nachfolge

Die Geschwister harmonieren gut, ergänzen sich im Gespräch, trennen Privates und Berufliches: «Unstimmigkeiten dürfen nicht auf Kosten der Firma gehen», sagt Oliver dezidiert. «Zudem haben wir gar keine Zeit, zu streiten.» Geschäft und Geschwisterliebe gehen Hand in Hand, sind keine Konkurrenz. Dabei hilft die klare Aufgabenteilung beim Führungstrio: Jeder hat seinen Verantwortungsbereich, schätzt die Meinung des anderen. Finanzchefin Jessica geht pragmatisch mit Konflikten um: «Verliert man einen Kampf, gibt es morgen einen neuen, den man gewinnen kann.» Wobei der «Kampf» sich immer um das beste Argument drehe, wie alle drei versichern.

Bleibt die Frage, wer den Vater an der Spitze des Unternehmens ablösen könnte: «Wir haben keinen Stress bezüglich Nachfolge», antwortet Yannick. «Das eilt im Moment nicht.» Zumal Urma mit den drei Geschwistern in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat schon viel weiter ist als andere Firmen in vergleichbaren Situationen.

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