Auf einen Blick
- EU-KI-Gesetz: Kritik vom Mitverfasser wegen Komplexität und unklarer Auswirkungen
- Gabriele Mazzini fordert mehr Erleichterungen für KMUs und Start-ups
- Erste offizielle Evaluierung des AI-Gesetzes für 2028 geplant
«Lieber keine Regeln als solche, deren Auswirkungen unklar sind» – das sagt Gabriele Mazzini, Mitverfasser des ersten Entwurfs zum EU AI Act. Die kritische Haltung überrascht, schliesslich hat er das europäische Gesetz zu künstlicher Intelligenz (KI) mitgestaltet. Inzwischen umfasst das Regelwerk 459 Seiten – und schiesst damit laut dem Experten über das Ziel hinaus.
Die Komplexität des Gesetzes zeigt sich an den Zahlen: Die EU-Kommission muss 70 zusätzliche Leitlinien und Durchführungsakte erarbeiten. «Das offenbart die Unklarheit der Gesetzestexte. So kann Regulierung nicht funktionieren», sagt Mazzini, der heute öffentlich seine private Meinung vertritt. Seine Empfehlung an die Gesetzgeber ist deutlich: «Gerade bei einem so komplexen und dynamischen Thema wie KI sollte man sich mehr Zeit nehmen, wenn man sich nicht sicher ist.»
Wendepunkt beim EU AI Act
Seit Sommer 2024 forscht Mazzini am MIT zu künstlicher Intelligenz. Er beschreibt einen Wendepunkt in der KI-Gesetzesentwicklung: Nach den Positionierungen von EU-Parlament und Rat während der Trilog-Verhandlungen «begann ich zu spüren, dass die Entwicklung in eine Richtung geht, die ich nicht unbedingt gutheisse.» Besonders die Aufnahme sogenannter Foundation Models in das Regelwerk sieht er kritisch – eine Entscheidung, die als Reaktion auf ChatGPT ohne ausreichende Folgenabschätzung getroffen wurde, sagt er.
Zwar enthält der AI Act Erleichterungen für KMUs, wie gelegentlich vereinfachte Compliance-Verfahren und vorrangigen Zugang zu sogenannten Sandboxes. Doch Mazzini fordert mehr: Kleinere Unternehmen sollten von bestimmten Pflichten befreit werden, bis sie eine gewisse Grösse erreichen. Während grosse Konzerne wie Google die Compliance-Kosten stemmen können, könnten diese für Start-ups existenzbedrohend sein, sagt er.
Das rät Mazzini der Schweiz
Die vorauseilende Regulierung könnte laut dem Experten auch Europas eigenen Innovationsweg gefährden. «Kulturell sind wir anders als China, anders als die USA», sagt Mazzini. Die erste offizielle umfassende Evaluierung (und mögliche Überprüfung) des KI-Gesetzes ist für 2028 geplant – für Mazzini zu spät. Er fordert, sofort Daten über die Auswirkungen zu sammeln: «Wie viele Firmen verlassen die EU? Wie viele kämpfen um Finanzierung? Wenn wir in zwei Jahren einen dämpfenden Effekt auf das Unternehmertum nachweisen, müssen wir den Act früher überprüfen.»
An die Schweiz, die gerade ihre eigene KI-Regulierung entwickelt, richtet Mazzini einen klaren Rat: «Analysiert eure spezifischen Probleme – und findet dafür passende Lösungen.» Das EU-KI-Gesetz bietet zwar inspirierende Ideen, taugt aber nicht als simple Kopiervorlage, sagt er.