Erst ein spitzer Schrei, dann die Erkenntnis: «Wow, ich kann hier hinten gar nicht steuern!» Nadine Fähndrich lacht lauthals auf dem Tandem mit Laurien van der Graaff. In der Loipe ist es sich die Langläuferin gewohnt, die Zügel in der Hand zu haben.
So wie an der Nordisch-WM Ende Februar. Als Schlussläuferin packte Fähndrich im Teamsprint alles aus, führte das Schweizer Erfolgs-Tandem zur historischen Silber-Medaille. Das erste Frauen-Edelmetall an einer WM nach 34 Jahren.
Für SonntagsBlick treffen sich die beiden Ende März zur Tandem-Fahrt. Danach folgt die Trennung. Denn die Saison ist vorbei, Fähndrich wohnt in Allschwil BL, van der Graaff in Davos GR. Zufällig läuft man sich da nicht über den Weg. Das Problem: Die gemeinsame Erfolgs-Fahrt könnte für immer beendet sein.
Van der Graaff vor Karriere-Ende
«Ich hoffe schon, dass ich Laurien im Trainingslager sehe», meint Fähndrich. Aber es ist offen, ob van der Graaff weitermacht. Bereits nach Olympia 2018 war die 33-Jährige beinahe zurückgetreten. Sie hatte Motivationsprobleme, war ausgelaugt. Seither nimmt sie Saison für Saison – und rätselt aktuell noch. «Aber Nadine ist sicher nicht der Grund, warum ich aufhören würde.»
Auch wenn der Kontakt ausserhalb der Saison abkühlt und sich auf ein paar Handy-Nachrichten zwischendurch reduziert, sind die beiden mehr als nur Sport-Partnerinnen, sondern sehen sich als Freundinnen. «Wir sorgen uns umeinander und unterstützen uns gegenseitig. Wir haben immer ein offenes Ohr. Und das beschränkt sich nicht nur aufs Sportliche», beschreibt es Fähndrich. Es gebe nichts, was sie sich nicht gegenseitig anvertrauen würden, beteuern beide.
Gemeinsam in die Sauna und zu Kaffee und Kuchen
Die gemeinsamen Lieblingsbeschäftigungen nebst dem Langlauf? «Wir gehen immer in die Sauna. Wenn es eine hat, sind wir zwei am Start. Von den anderen aber praktisch nie jemand», sagt van der Graaff. «Und wir trinken viel Kaffee und essen Kuchen», ergänzt Fähndrich. Sowieso seien sie «weit vorne dabei bei der ‹Essens-Front›».
Diese enge Beziehung war an der WM Silber wert. Fähndrich war in Oberstdorf nach dem Einzel-Sprint, wo sie als Mitfavoritin schon in der Qualifikation scheiterte, am Boden. In wenigen Tagen musste sie wieder aufgebaut werden. Ein Job für van der Graaff, die schon so manche Enttäuschung an Grossanlässen zu verdauen hatte. «Das hat brutal wehgetan, wie wenn es einem das Herz zerreisst», schildert Fähndrich. «Laurien hat mir klargemacht, dass das zwar nicht einfach weggeht, aber der Schmerz auf den Ski nicht existiert.»
Medaillentraum seit 2018
Sie sollte recht behalten. Wie schon 2018 in Pyeongchang. Dort sprach van der Graaff erstmals eine Medaille an, setzt bei Fähndrich einen Denkprozess in Gang. Immer wieder war der Traum seither Thema. Die beiden wurden stärker, eingespielter und selbstbewusster. Das zeigte sich auch im WM-Rennen. «Die Siege und Podestplätze gaben uns im Feld eine gewisse Unantastbarkeit», sagt van der Graaff. «Hinter uns sind viele gestürzt. Aber mit dieser Selbstverständlichkeit, passiert viel weniger was.»
Dieses Vertrauen in die eigene Stärke könnte auch bei den Olympischen Spielen in Peking nächsten Winter viel wert sein. Denn auch wenn dort der Teamsprint in der für sie eher schwächeren klassischen Technik statt im Skating durchgeführt wird, trauen sich die beiden grundsätzlich einiges zu. Bleibt nur zu hoffen, dass van der Graaff noch einmal auf das Tandem aufsteigt für die Fahrt nach China.