Es sind ein, zwei Sätze oder ein paar gejapste Worte, die heute über Medaille oder nicht entscheiden könnten. Wenn Laurien van der Graaff im Teamsprint ein letztes Mal an Nadine Fähndrich übergibt, holt sie noch einmal tief Luft, um mit letzter Kraft ihrer Teamkollegin nachzurufen. «Sie schreit mich immer an», meint Fähndrich dazu. «In Dresden etwa rief sie: „Du kannst das! Du bist die Beste!“ Sie weiss halt, was ich in diesen Momenten brauche.»
Die 33-Jährige kennt ihre 8 Jahre jüngere Nachfolgerin als beste Schweizer Sprinterin. Allzu viele Gedanken muss sie sich darum nicht machen. «Das kommt ganz aus dem Bauch heraus und hängt auch von der Position ab, an der ich übergebe.» Die richtigen Worte hat sie zuletzt immer gefunden. Saison übergreifend standen die beiden in vier Teamsprints viermal auf dem Podest, bilden ein eingespieltes Duo. Was sicher nicht falsch sein kann, ist, Fähndrich eine Extra-Portion Selbstvertrauen mit auf die letzte Ablösung zu geben. Denn der Glaube an die eigene Stärke ist zwar mittlerweile da bei der schüchternen Eigenthalerin. Aber oft ist er auch einfach zu erschüttern.
Fähndrich war am Boden
So wie jetzt? «Alles andere als eine Medaille wäre eine Enttäuschung», sagte sie noch Anfang Woche, vor ihrem ersten Einsatz im Klassisch-Sprint. Dieser endet in einem Debakel. Fähndrich, die zumindest mit Aussenseiterchancen auf eine Medaille ins Rennen geht, scheitert in der Qualifikation. Sie ist am Boden zerstört, spricht von einer der grössten Enttäuschungen in ihrem Leben. Die Pleite schmerzt. Und es tönt wie eine Durchhalteparole, wenn sie sagt: «Ich werde schauen, dass ich mehr als parat sein werde am Sonntag.»
Hoffentlich kann Van der Graaff schon vor den ersten Läufen mit den richtigen Worten dafür sorgen. Denn für eine Medaille braucht es beide in Höchstform. Inklusive unserem Duo kommen sechs Teams ernsthaft fürs Podest in Frage.
Dass ein Schweizer Frauenteam heute nach den Sternen greift, hätte man vor ein paar Jahren noch als unmöglich erachtet. Van der Graaff war eine Einzelkämpferin. Eine Teamkollegin fehlte ihr. Doch ihr Selbstvertrauen, ihre grossen Ambitionen und dass sie ausserhalb der Swiss-Ski-Strukturen trainierte, wurde ihr das als divenhaft ausgelegt. Von den männlichen Kollegen wurde sie darum hinter vorgehaltener Hand als «Paris Hilton» bezeichnet.
Plötzlich stimmt der Teamgeist
Doch 2015 änderte sich das mit dem Weltcup-Einstieg der mittlerweile zurückgetreten Nathalie von Siebenthal und Fähndrich schlagartig. Plötzlich hatte Van der Graaff ein Team im Rücken. «Die letzten Jahre habe ich darum sehr gut in Erinnerung. Man geht viel lieber von daheim weg in den Weltcup. Man kann auch über andere Sachen reden und lachen», sagt Van der Graaff. «Nadine etwa hat eine sehr gute Selbstironie. Wir haben es jeden Abend sehr lustig.»
Fähndrich verdankt ihrer Kollegin viel. «Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden und sie hat mir sehr viel geholfen. Mit vielen Ratschlägen», verrät Fähndrich. Was genau? Van der Graaff gab ihre schlechten Erfahrungen weiter. «Ich habe alles erlebt, bei weitem nicht nur positives, sondern auch Tiefs. Ich konnte ihr glaube ich schon beibringen, dass man nicht alles zu persönlich nehmen darf.» Während sie normalerweise ein Zimmer teilen, sind sie nun in Oberstdorf jede für sich allein. Wegen Corona. Und, weil das Schweizer Team allein im Hotel ist und mehr als genügend Platz vorfindet. Am Teamgeist ändert das nichts.
«Wir bilden eine optimale Mischung», sagt Fähndrich. «Eine Medaille im Teamsprint wäre für mich sicher schöner.» Mit den richtigen Worten von Van der Graaff, könnte es heute klappen.