Madison Hubbell (33) ist das erste Mal in ihrem Leben in der Schweiz. Doch sie beschert uns sogleich eine Weltpremiere: Die US-Amerikanerin läuft mit der Französin Gabriella Papadakis (29) einen Showauftritt am Art on Ice in Zürich, der an den Grundfesten des Eiskunstlaufs rüttelt.
Zwei Frauen als weibliches Eistanz-Team – das gab es auf diesem Level noch nie. Und schon gar nicht, dass zwei der grossen Stars diesen Tabubruch begehen. Hubbell ist Team-Olympiasiegerin 2022, Papadakis holte in Peking im Eistanz Olympia-Gold. Danach beendeten beide ihre Karrieren. Beide liefen ihr ganzes Leben lang mit einem Mann an der Seite – wie es schon immer Tradition war und beim Weltverband auch reglementarisch vorgeschrieben ist.
«Ich hätte mehr negative Reaktionen erwartet»
Jetzt stehen «Gaby» und «Mady» für eine neue Ära. Blick trifft Hubbell und Papadakis in den Hallenstadion-Katakomben. Später werden sie ihren Auftritt, den es in Zürich am Donnerstag erstmals zu sehen gibt, auf dem Eis üben. Das Duo sprüht vor Energie, es lacht und scherzt viel. «Wir haben sehr viele positive Reaktionen bekommen. Und einige negative. Ich hätte aber mehr erwartet», sagt Papadakis.
Als Botschafterinnen für eine moderne und diverse Form des Eiskunstlaufs sehen sie sich nicht. Aber gleichwohl: Es ist ein mutiges Projekt. Es ist ein wuchtiges Statement gegen die Gepflogenheiten und Traditionen ihres Sports. Vor allem für Papadakis. Während Hubbell nie Mühe mit der Rolle als Frau im Sport hatte, wie sie sagt, war es für die Französin mit den griechischen Wurzeln anders.
Papadakis bezeichnet sich als bisexuell und sagt, dass sie von ihrer Mutter strikt in der Mädchenrolle erzogen wurde: «Auch beim Eiskunstlauf hatten ich und mein Partner zuweilen total unterschiedliche Erwartungen von unseren Rollen. Ich fühlte mich nicht immer wohl. Ich hatte nicht immer eine Wahl, ich fühlte mich manchmal eingeschränkt.» Jetzt geniesst sie die Freiheit als selbstbestimmte Frau.
Hubbell und Papadakis waren zwar Konkurrentinnen, haben sich durch denselben Trainingsstandort in Kanada aber vor Jahren angefreundet. So sei die Idee eines gemeinsamen Auftritts immer wieder herumgespukt.
Durch den gleichzeitigen Rücktritt gab es dann plötzlich Zeit und Raum für das Experiment, das jetzt die Eislauf-Szene elektrisiert. Es entsteht für die Freundinnen die Möglichkeit eines Art-on-Ice-Auftritts. Der Song «Not loud enough» vom Schweizer Sänger Marius Bear passt den beiden von der ersten Sekunde an.
Die männliche Rolle übernimmt keine der beiden Frauen
Natürlich wissen sie um die Signalwirkung ihres Projekts. Hubbell: «Die Zeit ist reif dafür. Eigentlich ist es erstaunlich, dass es nicht längst jemand versucht hat.» Denn zumindest in Kanada ist das Reglement auf nationaler Stufe aufgeweicht. Es ist nicht mehr von Frau und Mann die Rede, sondern lediglich von «Skater A» und «Skater B».
Doch wie stellt man überhaupt ein Programm zusammen, wenn ein Mann – respektive die für Hebefiguren nicht unerhebliche Muskelkraft – fehlt? «Wir verkörpern bewusst nicht fix die weibliche und männliche Position. Wir vermischen es», schildert die Amerikanerin, «aber natürlich können wir nicht so tanzen wie früher mit den männlichen Partnern. Es ist anders.» Und die Kleider? Es werden zwei klassische Frauen-Kostüme sein. Beide genäht von Hubbells Mutter – wie schon zu ihrer Aktivzeit.
Am Ende lassen die Olympia-Champions durchblicken: Wenn sie mit ihrem Auftritt irgendwo auf der Welt Mädchen oder Jungen dazu ermutigen können, sich für den Eistanz oder Paarlauf einen gleichgeschlechtlichen Partner oder Partnerin zu schnappen, wären sie enorm stolz. «Wir glauben daran, dass eines Tages auch an Olympia gleichgeschlechtliche Paare starten.»