Sein Gehstock liegt zwar auf der Hafenmauer, doch Sandro Michel (28) braucht ihn gerade nicht. An diesem winterlichen Samstagvormittag in Wädenswil ZH braucht Michel anderes. Einen guten Köder und Geduld, ob die Fische im kalten Zürichsee anbeissen. Der schwer verunglückte Bob-Anschieber ist leidenschaftlicher Hobbyfischer. Wie auch Michels Bob-Teamkollege Michael Vogt (26). Das Duo verabredete sich an diesem Tag in aller Herrgottsfrühe. Die beiden lieben beim Fischen die fast meditative Ruhe in der Natur. Als Blick eintrifft, hat sich der kalte Nebel schon verzogen, die Wintersonne wärmt Michel und Vogt sogar etwas. Der Stapel an herausgezogenen Egli ist schon beträchtlich.
Michel kann wieder angeln. Wie früher, vor seinem verheerenden Unfall am 13. Februar 2024 in der Bobbahn von Altenberg (De). Der beste Schweizer Anschieber wurde nach einem Sturz von Vogts Vierer-Schlitten herausgeschleudert und lag bewusstlos im Eiskanal, als der rund eine halbe Tonne schwere Bob vom ansteigenden Zielauslauf wieder rückwärts in die letzte Kurve rutschte und den schutzlos dort liegenden Aargauer lebensgefährlich verletzte.
Es drohte die Beinamputation
«Es hätte definitiv anders herauskommen können», sagt Michel nachdenklich, als er die Angel neu präpariert. Er weiss: Der Erstrettung an der Bahn und der Not-Behandlung in der Uniklinik Dresden hat er sein Leben zu verdanken. Und womöglich auch sein Bein, die Amputation war ein düsteres Szenario. «Es bestand hohe Infektionsgefahr», schildert Michel. Denn es gerieten viele Fremdkörper wie Fasern von seinem Rennanzug in die Wunde.
In der laufenden Bob-Saison fehlte bisher mit Sandro Michel nicht nur der schnellste Schweizer Anschieber, sondern mit Michael Vogt (26) auch der schnellste Schweizer Pilot. Der Schwyzer musste nach seiner Bandscheiben-OP vom August monatelang Reha machen. Diese verlief nach Plan: Vogt sass die letzten zwei Wochen bei Testfahrten in Lillehammer mit dem neuen, in der Schweiz entwickelten Bob («Projekt Neos») erstmals wieder im Schlitten. Seinem Weltcup-Comeback am ersten Januar-Wochenende scheint nichts im Weg zu stehen. «Meinen Rücken gehts gut. Wenn das so bleibt, gehe ich in Winterberg an den Start», sagt Vogt.
Die Rückkehr von Vogt als Schweizer Podestanwärter ist auch eine gute Nachricht für die Organisatoren des Heimrennens in St. Moritz. Das Engadin ist diesen Winter gleich zweimal Weltcup-Bühne. Neben dem traditionellen Weekend mit Zweier- und Viererbob vom 11./12. Januar kommts am 25./26. Januar zu zwei Vierer-Rennen. Der Grund: Weil auf der engen Bahn in Sigulda (Lett) keine grossen Schlitten fahren können und es keine Überseerennen gibt, sprang St. Moritz ein, um genug Rennen für die Weltcup-Wertung im Kalender zu haben. (md)
In der laufenden Bob-Saison fehlte bisher mit Sandro Michel nicht nur der schnellste Schweizer Anschieber, sondern mit Michael Vogt (26) auch der schnellste Schweizer Pilot. Der Schwyzer musste nach seiner Bandscheiben-OP vom August monatelang Reha machen. Diese verlief nach Plan: Vogt sass die letzten zwei Wochen bei Testfahrten in Lillehammer mit dem neuen, in der Schweiz entwickelten Bob («Projekt Neos») erstmals wieder im Schlitten. Seinem Weltcup-Comeback am ersten Januar-Wochenende scheint nichts im Weg zu stehen. «Meinen Rücken gehts gut. Wenn das so bleibt, gehe ich in Winterberg an den Start», sagt Vogt.
Die Rückkehr von Vogt als Schweizer Podestanwärter ist auch eine gute Nachricht für die Organisatoren des Heimrennens in St. Moritz. Das Engadin ist diesen Winter gleich zweimal Weltcup-Bühne. Neben dem traditionellen Weekend mit Zweier- und Viererbob vom 11./12. Januar kommts am 25./26. Januar zu zwei Vierer-Rennen. Der Grund: Weil auf der engen Bahn in Sigulda (Lett) keine grossen Schlitten fahren können und es keine Überseerennen gibt, sprang St. Moritz ein, um genug Rennen für die Weltcup-Wertung im Kalender zu haben. (md)
Als Michel seinen Köder wieder ins Wasser befördert, sind rund neun Monate seit dem Unfall vergangen. Das Jahr 2024 – es wird in seinem Leben immer die grosse Zäsur bleiben. Ja, er kann wieder fischen: «Ich stehe halt einfach auf dem linken Bein.» Doch nur schon der Weg zurück zum Auto mit der ganzen Fischerausrüstung ist weiter als früher. Michel braucht zur Fortbewegung seinen Gehstock. «Das Hauptproblem ist die Beweglichkeit des Hüftgelenks.»
Die gebrochenen Rippen, die verletzte Lunge und die beschädigten Muskeln beim Brustkorb sind gut verheilt. Es ist die wieder aufgebaute Hüfte rechts, um die sich die nach wie vor intensive Reha vor allem dreht. Dreimal die Woche schuftet Michel in der Rehaklinik Bellikon AG, wo er im Frühling nach der Rückführung aus Deutschland zehn Wochen stationär lebte.
Die Bilder vom Unfall helfen ihm in den Krisenmomenten
Zweimal die Woche gehts nach Zürich in die Osteopathie. Und so oft wie möglich daheim in Baden AG im Hallenbad. «Ich musste wegen der Narben lange warten, bis ich ins Wasser durfte. Jetzt gehe ich sehr gerne, es tut sehr gut», sagt Michel, der mittlerweile auch wieder 14 Stunden wöchentlich in seinem früheren Job als Projekt-Ingenieur bei einem Energietechnik-Unternehmen arbeitet.
Michel kehrte in sein Leben zurück. Auch Spanien-Ferien mit Freundin Sina Halter konnte der Bob-Athlet im Herbst unternehmen. Aber eben: immer mit Gehstock. Michel schildert, dass er auch extreme Frustmomente habe. Auch weil er nach wie vor mit den Bobbahnbetreibern von Altenberg hadert. Dort fanden mittlerweile erneut Weltcuprennen statt – ohne angepasste Sicherheitsvorkehrungen, was im Bob-Tross nicht nur Michel kritisiert.
Für den Hobbyfischer ist klar: Er kann nicht mehr richtig gehen, weil man sich in Altenberg zu wenig um die Gefahr von zurückrutschenden Schlitten kümmerte. Doch in solchen Momenten schaue er die Bilder von sich in den ersten Tagen und Wochen nach dem Unfall an. «Das zeigt mir, dass ich in der Reha doch erhebliche Fortschritte mache. Dann bin ich wieder dankbar, dass ich überhaupt hier stehen kann und zwei Beine habe.»
Mit seinem langjährigen Piloten Michael Vogt geht Michel wieder zum Angeln. Gemeinsam auch wieder wie bei WM-Bronze 2023 richtig schnell Bob zu fahren, bleibt für den Anschieber das grosse Ziel: «Mir ist völlig bewusst, dass es sehr schwierig wird. Aber es ist definitiv mein Ziel, auf hohem Niveau zurückzukehren.» Weiter erklären kann er nicht: Es zappelt schon wieder ein Egli am Haken.