Die Doppelmoral ist neben Neid und Missgunst treuster Begleiter des Menschen. Wasser predigen und Wein trinken, das haben wir perfektioniert.
Beispiele dafür gibt es so viele, wie es fette Boni für die Taugenichts-Manager der Credit Suisse gibt.
Beispielsweise aufgeregt über die Klimaerwärmung diskutieren. Und dann die nächste Karibikreise buchen. Verzichten sollen die andern. Die Reisebranche boomt und brummt. Als gäbe es kein Morgen.
Die Doppelmoral hat auch den Spitzensport seit eh im Würgegriff. Am Morgen schütteln wir bei der Lektüre den Kopf darüber, dass Kylian Mbappé mehr als 600 Millionen wert sein soll. Am Abend hüpfen wir dann vor lauter Verzückung aufgeregt aus dem Sessel, wenn er uns wieder ein Zaubertor präsentiert.
Auch die Trennung von Sport und Politik ist ein weiterer sehnsüchtiger Irrglaube. Dass dies nicht funktioniert, wissen wir seit den Nazispielen 1936 in Berlin. Seither gibt es keinen Grossanlass, der im Vorfeld nicht heftig diskutiert und kritisiert wird.
Hinschauen, statt in Ohnmacht zu verharren
Mal gibt es Boykotte im Kalten Krieg. Mal ist es die Apartheid, mal sind es schutzlose Minderheiten, deren Land enteignet wird. Oder es sind die nicht eingehaltenen Menschenrechte. Oder überdimensionierte Protzbauten, die auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft werden.
Moralisch aufgeheizte Diskussionen rund um sportliche Superevents sind in Mode. Die Kritik ist meist richtig. Aber bewegt hat sie jeweils wenig bis nichts. Im Gegenteil: Es macht den Anschein, dass sportliche Grossanlässe bald nur noch von totalitären Staaten durchgeführt werden. Und immer mehr zu Propagandazwecken missbraucht werden. Dort, wo der demokratische Diskurs funktioniert, wendet man sich immer mehr ab.
Natürlich: Auch die Vergabe der Fussball-WM an Katar in der Vorweihnachtszeit ist Beweis dafür, dass die Fifa-Delegierten nicht die hellsten Kerzen auf dem Adventskranz sind. Darüber ärgern sich viele Menschen nun seit mehr als zehn Jahren.
Aber auch im Fall Katar wird der Mechanismus der Doppelmoral greifen. Sobald der Ball rollt, starrt die Welt gebannt an den Persischen Golf. Und das ist auch gut so. In Ohnmacht zu verharren, bringt nichts.
Chance zur Katharsis in Katar
Und bei aller berechtigter Kritik: Auch in diesem Fall gibt es auch eine «andere» Sichtweise. Es gibt auch auf der Arabischen Halbinsel nicht nur steinreiche, dekadente Scheichs und ausgenutzte Gastarbeiter. Es gibt auch dort ganz «normale» Menschen, die sich darüber freuen, dass es erstmals in diesen Breitengraden und in diesem Kulturkreis eine Fussball-WM gibt. Auch darum wären allfällige Boykotte der falsche Weg.
Ausgrenzung und Stigmatisierung waren noch nie zielführend.
Und vielleicht wird Katar in diesen düsteren Zeiten sogar zur Katharsis. Zu einem emotionalen Abreagieren von Konflikten und inneren Spannungen.
Darum freuen wir uns doch, wenn es heisst: Advent, Advent, der Fussball brennt.