Es war nicht die Art von Finaleinzug, die sich ein Spitzensportler wünscht. Alexander Zverev (27) profitierte im Halbfinal von der verletzungsbedingten Aufgabe von Novak Djokovic (37) – doch der Deutsche machte hinterher auch keinen Hehl daraus, dass er dennoch «happy» ob der sich ihm nun bietenden Titel-Chance sei. Davor aber ermahnte er das Publikum in Melbourne, gefälligst nicht zu buhen, wenn ein Spieler wegen einer Verletzung die Reissleine ziehen müsse: «Bitte, Leute! Ich weiss, ihr habt viel für eure Tickets bezahlt und hättet am liebsten fünf Sätze gesehen. Doch wenn Novak aufgibt, dann geht es wirklich nicht mehr. Zeigt etwas Respekt, er hat diesem Sport in seiner Karriere alles gegeben.»
Zverev erhielt daraufhin warmen Applaus. Er hat sich im Platz-Interview äusserst eloquent gezeigt, wie so oft, wenn er Red und Antwort stehen muss. Zverev kann sich geschickt ausdrücken, ist enorm schlagfertig. Das hat er auch vor dem Turnier bei einem Showmatch gegen Djokovic bewiesen, als er witzelte: «Er wird wohl noch fünf Grand Slams mehr gewinnen, während ich immer noch auf meinen ersten warte. Es ist immer die gleiche Geschichte. Ich werde älter, Novak wird jünger. Wir werden in zehn Jahren noch am selben Punkt stehen.»
Nun, genau diese «gleiche Geschichte» könnte Zverev am Sonntag jetzt umschreiben. Er bekommt die dritte Möglichkeit seiner Karriere, in einem Grand-Slam-Endspiel seinen langersehnten ersten grossen Titel zu gewinnen. Seine beiden ersten Finals endeten jeweils in schmerzlichen Fünf-Satz-Niederlagen. 2020 unterlag er an den US Open Dominic Thiem, 2024 an den French Open Carlos Alcaraz. «Jetzt hoffe ich, dass auch ich mal das Final-Glück auf meiner Seite habe», so Zverev, dessen grösster Erfolg bislang der Olympiasieg 2021 in Tokio ist.
Zverev gegen Sinner wieder im Vorteil?
Seit jener Goldmedaille hat der Hamburger ebenfalls oft für Schlagzeilen gesorgt, allerdings meist negative. Erst hatte er Verletzungspech, dann wurde zu einer der umstrittensten Figuren auf der Tour. 2022 verletzte er sich im Roland-Garros-Halbfinal schwer am Knöchel, musste mit dem Rollstuhl vom Platz gebracht werden und fiel monatelang aus. Dann kam der Wirbel um die Beschuldigung der Körperverletzung seitens seiner Ex-Freundin Brenda Patea. Zverev wies die Vorwürfe stets zurück, legte Einspruch gegen einen ersten Strafbefehl ein und sah den anschliessenden Prozess letztlich nach Zahlung einer Geldauflage von 200’000 Euro eingestellt.
Nun bekommt die Weltnummer zwei die Gelegenheit, wieder positiv von sich reden zu machen. Im Final steht ihm der Weltranglistenerste Jannik Sinner (23) gegenüber, der in Melbourne bereits im Vorjahr triumphierte. Doch die Statistik spricht hierbei für Zverev: Er führt in den Direktbegegnungen mit 4:2.