Darum wurde Djokovic trotz Ausnahmebewilligung abgewiesen
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Die Chronologie des Dramas:Darum wurde Djokovic trotz Ausnahmebewilligung abgewiesen

Der Trotzkopf aus Serbien
Warum Novak Djokovic so oft und heftig aneckt

Der jüngste Fettnapf, in den der in Australien gestrandete Novak Djokovic (34) getrampelt ist, ist nur einer von vielen. Warum immer er? Ein Versuch, den serbischen Tennisstar zu erklären.
Publiziert: 09.01.2022 um 00:34 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2022 um 11:39 Uhr
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Auf dem Tenniscourt vollbringt Weltnummer 1 Novak Djokovic (34) Wunder und jagt Rekorde.
Foto: Getty Images
Cécile Klotzbach

Die Geschichte des Novak Djokovic – sie beginnt wie eine männliche Version des Aschenputtel-Märchens. Oder des Froschkönigs. Es war einmal ein armer serbischer Junge, der im vom Krieg zerbombten Dorf Kopaonik an der serbisch-kosovarischen Grenze und bei seinem Grossvater in Belgrad aufwuchs. Der für Brot, Milch und Wasser Schlange stehen musste, aus Zeitvertreib Tennisbälle an eine mit Schusslöchern versehrte Steinwand schlug. Und dabei so viel Talent bewies, dass er eines Tages auszog, die Tenniswelt das Fürchten zu lehren.

Die Eltern, die in einer Pizzeria arbeiteten, opferten den letzten Heller für den Ältesten ihrer drei Söhne, stellten die Wünsche der beiden jüngeren Marko und Djordje hintan, weil schlicht nicht mehr möglich war. Sie verschuldeten sich auf der Suche nach mehr Geld für ihren «Nole» bei mafiösen Kriminellen, versetzten sich und die ganze Familie damit in Gefahr.

Der serbische Junge aber verfolgte unbeirrt sein Ziel. Feilte allein in fremden Ländern an seiner Tenniskunst, mit zwölf Jahren bei Nikola Pilic in Deutschland, debütierte 2003 als Profi. Zwei Dekaden später ist er der mit über 150 Millionen Dollar Rekordpreisgeld belohnte Tenniskönig der Welt. Ist seit 354 Wochen die Nummer 1. Vielleicht sogar der beste Spieler der Geschichte.

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Ersehnte Liebe bleibt verwehrt

Mehr Märchenpotenzial geht nicht. Wären da nicht immer wieder diese seltsamen Nebenschauplätze in der Djokovic-Story. Im Kampf gegen die Stiefmutter leidet jeder mit Aschenputtel. Und ein glücklicher Froschkönig geniesst alle Sympathien – selbst wenn der keine Prinzessinnen, sondern Pokale küsst. Aber dieser Märchenprinz scheint nicht rundum glücklich. Weil ihm schlicht die globale Liebe verwehrt bleibt, die er sich so sehr wünscht.

Er kann siegen, so viel er will, immer wieder versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, grosszügig für wohltätige Zwecke spenden, seinen Status für Verbesserungen im gebeutelten Heimatland oder auf der Tennis-Tour nutzen – das alles tut er, keine Frage. Aber es nützt nichts. Beim mittellosen Jungen aus Kopaonik, der Wunder vollbracht hat und dafür grossen Respekt verdient, bleiben die Gefühle vieler Menschen zwiespältig.

In seiner Heimat ist er für sein Schaffen zwar ein Held, geradezu ein Heiland. Aber seine fanatisch anmutende Anhängerschaft in den Balkanländern schlägt obendrein wie ein Bumerang beim Rest der Welt ein. Je vehementer das serbische Volk Diskriminierung moniert, je pathetischer ihm der umstrittene Präsident Aleksandar Vucic huldigt, desto weniger Anerkennung erntet der tragische Held weltweit. Je göttlicher ihn seine gläubige Familie darstellt (Mutter Dijana hält ihren Sohn für «von Gott auserwählt») und je mehr sie die Konkurrenz beleidigt (Vater Srdjan über Federer: «Komm schon, erzieh deine Kinder, mach was anderes, geh Ski fahren»), desto mehr Schatten fällt über den Stammhalter.

Gerecht oder ungerecht? Schwierige Frage. Tatsache ist: Nicht nur seine Herkunft ist dafür verantwortlich, dass die Djokovic-Geschichte eher Drama statt Märchen, bestenfalls Tragikomödie ist. Auch dieser Mann ist seines eigenen Glückes Schmied. Dass er dabei nicht immer ein glückliches Händchen hat, bahnte sich schon mit den ersten Grosserfolgen an.

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Asket mit Schokolade

Kaum wurde Djokovic als ernsthafte Gefahr und Herausforderer für die beliebten Rekordsammler Roger Federer und Rafael Nadal ernst genommen, verscherzte er es sich, indem er sich als Komiker ausgab und Spielerkollegen imitierte. Dies durchaus gelungen – aber nicht alle seine «Opfer» fanden es lustig, manche warfen ihm sogar Respektlosigkeit vor. So war es kaum gemeint. Aber der Serbe wird eben oft missverstanden.

So landeten auch seine häufigen Aufgaben von Matches bei vielen im falschen Hals. Verletzungen, Atemlosigkeit – auch alles nur Imitation? Täuscht er seine Leiden nur vor, wenn ihm der Spielstand zu brisant wird – oder um seine Gegner aus dem Takt zu bringen? Nach zahlreichen Untersuchen entdeckte ein Arzt 2012 eine Glutenintoleranz, die der Ursprung von Djokovics Anfälligkeit sein soll. Der Verzicht auf Gluten, Laktose und letztlich die Umstellung auf vegane Ernährung wirkten tatsächlich Wunder. Der Tennisasket wurde immer stabiler und eroberte die Weltrangliste kontinuierlich.

Und dann sein Umgang mit den Medien. Bei den internationalen Journalisten gilt er als wort- und sprachgewandt, intelligent, humorvoll und galant. Zunehmend jedoch auch als etwas anbiedernd. Vor allem wenn er seinen grossen Respekt für Federer und Nadal in geradezu unterwürfiger Lobhudelei ausspricht oder in Medienkonferenzen zur Feier eines siegreichen Tages Schokolade verteilt. Eigentlich ja nett – aber mit der Zeit wurde sein übertriebener Charme immer unglaubwürdiger.

Denn er passt so gar nicht zu seinem kämpferischen, martialischen Auftreten auf dem Court. Dort zerreisst sich der «Djoker» im Siegesrausch seine T-Shirts, um sich wie King Kong auf seine nackte Brust zu klopfen. Von dem hat er vielleicht auch seine furchteinflössenden, affenartigen Urschreie, die er in Momenten höchster Anspannung ablässt. Läufts ihm nicht, zertrümmert oder schleudert er in blinder Wut seine Rackets fort oder tritt heftig in die Banden. Aber Achtung: Hat er die Menge erst einmal gegen sich – vielleicht auch, weil er gegen einen Publikumsliebling wie Federer spielt –, und signalisiert seine Leidensmiene unter Buhrufen grösste Verzweiflung, dann ist er am gefährlichsten!

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Allein gegen den Rest der Welt

In der Rolle des «Spielverderbers» scheint sich der Familienvater, der mit seiner Jugendliebe Jelena die zwei Kinder Stefan (7) und Tara (4) grosszieht, am wohlsten zu fühlen. Das zeigt sich nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben. Alleine gegen den Rest der Welt – das zieht sich bei Novak seit der Kindheit durch. Dazu gehört auch die Gründung der «Professional Tennis Players Association» (PTPA), die der Allmacht der Spielervereinigung ATP entgegenwirken und den Spielern zu mehr Einfluss und Entscheidungsgewalt verhelfen soll.

Seine Revolutionsattacke lancierte der PTPA-Präsident kurz vor den US Open 2020. Just als nach Monaten des pandemischen Ausnahmezustands endlich wieder etwas Normalität in die Tour kommen sollte. Er spaltet seitdem die Tennisszene in zwei Lager – zur Opposition gehören auch die eher konservativen Traditionalisten Federer und Nadal.

Nein, ein Traditionalist ist Djokovic nicht. Eher ein Spiritualist, was er in immer extremeren Masse zur Schau trägt und ihn immer unfassbarer macht. Mit dem spanischen Ex-Profi und heutigen Guru Pepe Imaz predigte er Frieden und Liebe. Imaz half Novaks Bruder Marko 2013 aus einer Depression, deshalb setzte auch der Tennis-Superstar auf dessen Hilfe. Er war so begeistert von der Wirkung der Meditation und langen Umarmungen, dass er sich 2016 urplötzlich von Erfolgscoach Boris Becker und dem restlichen Betreuerstab trennte. Erst zwei Jahre später – nach einer erfolglosen Periode mit dem Guru-Coach – kehrte der Serbe zu Stammtrainer Marian Vajda zurück.

2020 driftet Djokovic in noch höhere Sphären ab. In Livedialogen im Netz lässt er sich öffentlich von Esoterikern inspirieren und beeinflussen. Mit dem holländischen Extremsportler Wim Hof tauscht er sich über die «Kraft der Gedanken» aus und folgt dessen Empfehlung, Eisbäder in der winterlichen Natur zu nehmen. Mit dem US-Iraner Chervin Jafarieh, einem «seelenverwandten» Alchemisten, philosophiert er über die Verschmelzung von Spiritualität und Wissenschaft. Mit der Kraft von Geist und Gebet könne man giftiges Wasser in heilendes verwandeln. Seine Erleuchtung: «Wir Menschen sind elektrische Wesen – ebenso Energie wie Chemie.»

Das Jahr der Skandale

Geist und Gebete sind dann allerdings nicht kräftig genug, um vor eineinhalb Jahren einen verhängnisvollen Wutausbruch an den US Open zu unterdrücken. Vor leeren Rängen schiesst er im Achtelfinal einen Ball unbeabsichtigt, aber unkontrolliert in Richtung einer Linienrichterin. Sie wird an der Kehle getroffen, bricht nach Luft japsend auf dem Platz zusammen. Djokovic wird disqualifiziert.

Ein Skandal, dem ein anderer Fauxpas vorwegging. Mit der Kraft der Gedanken – nicht einer Impfung – sollte auch Corona an ihm abprallen. Tat es aber nicht. Mit der von ihm mitten in der Pandemie initiierten «Adria-Tour» liess Djokovic die Blase, in welcher der Sport damals steckte, mit einem lauten Knall platzen. Richtig peinlich wurde es, als er und andere geladene Gäste sich beim Rahmenprogramm der Showturniere ausgelassen mit nackten Oberkörpern in der Disco feiernd und fussballspielend zeigten und sich prompt mit dem Covid-19-Virus infizierten.

Corona und Djokovic – ein Thema für sich. Obwohl er sich schon seit Beginn der Krise als Impfgegner outete, wurde lange spekuliert, ob er sich dem Druck der Tour und der strengen Einreisebestimmungen ausländischer Regierungen beugen und sich den Piks aus Vernunftgründen doch noch geben lassen würde. Spätestens für die Australian Open, wo die Regeln strenger als sonst wo sind, und es dem neunfachen Rekordsieger wichtiger als sonst wo sein dürfte, seinen Titel zu verteidigen. Denn die Chance, sich mit dem 21. Grand-Slam-Titel als «the GOAT» (Greatest of All Times) vor den 20-fachen Majorsiegern Federer und Nadal zu verewigen, liegt für ihn in Melbourne auf dem Präsentierteller.

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Novak Djokovic wird seinen Titel an den Australian Open nicht verteidigen können.
Foto: AFP

Es ist weder eine Überraschung, dass er sich nicht beugt, noch dass er die Konsequenzen nicht trägt. Mit dem naiven (Horror-)Trip nach Down Under hat zumindest die Geheimniskrämerei über seinen Impfstatus ein Ende. Sonst wäre Djokovic nicht am Zoll des Flughafens Tullamarine abgefangen worden, weil seine medizinische Sonderbewilligung für die Einreise aus noch unbekannten Gründen nicht hieb- und stichfest ist. Der Australian-Open-Held ist nun ein Gefangener in Australien. In einem schmuddeligen Quarantänehotel für Migranten und Auszuweisende betet der Tenniskönig nun für einen erfolgreichen Rekurs vor Gericht, über den am Montag entschieden werden soll.

Die Chancen auf einen Start am ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres sind klein, aber intakt. Doch selbst wenn er antreten darf – und unter zu erwartenden Anfeindungen des aufgebrachten australischen Publikums Kraft seines Geistes auch noch triumphieren würde: Seine Geschichte wäre noch immer kein Märchen. Der mittlerweile 34-jährige Trotzkopf aus Serbien hätte seinen Kritikern allenfalls ein weiteres Schnippchen geschlagen.

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