Keine Ski-Nation hatte im Corona-Sommer 2020 so gute Trainingsmöglichkeiten wie die Schweiz. Ob auf den Gletschern in Saas-Fee oder Zermatt, stets genoss Swiss-Ski Pisten-Priorität. «Ich finde das in Ordnung», sagt Deutschlands Frauen-Cheftrainer Jürgen Graller. «Der Heimvorteil spielt nun mal. Und man behandelte uns immer fair», ergänzt er. So weit, so gut. Aber: Warum in aller Welt mussten die Schweizerinnen im September trotz ihres Gletscher-Vorteils auch noch in den Norden Deutschlands reisen, um im Alpincenter Hamburg-Wittenburg zu trainieren?
Aus Umwelt-Perspektive erscheint dies wenig sinnvoll. Denn: In der Ski-Arena inklusive angrenzendem Hotel wurden einst 6500 Tonnen Stahl und 30'000 Tonnen Beton verbaut. Heute sorgen fünf Kältemaschinen, 54 Umluftkühlgeräte, 15 Schneekanonen und 30 Kilometer Kühlschläuche für eine konstante Temperatur von minus 1,5 Grad.
Gisin: «Das gehört halt dazu»
Michelle Gisin (26) sagt: «Das freut mich aus ökologischer Sicht auch nicht. Unser Sport sollte draussen in der Natur ausgeübt werden. Aber so ein Training gehört halt auch ein wenig dazu.» Die Engelbergerin spulte mit Aline Danioth (22) und Elena Stoffel (24) während drei Tagen fünf Einheiten mit bis zu 15 Läufen im Ski-Tiefkühlschrank ab. Mit dabei waren auch einige Schweizer Europacup-Starterinnen. Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor erklärt die Vorteile des Indoor-Trainings: «Ein Faktor ist die geringe Höhenlage – man kann grössere Umfänge trainieren. Dies dient der Stabilisation und dem Automatisieren von Bewegungsabläufen. Man kann vertieft und effizient an der Präzision arbeiten.»
Auch Gisin betont die Vorteile. «Rauf, runter, rauf, runter – wir konnten extrem viel und in kurzer Zeit trainieren.» Ihre Zimmerkollegin Danioth, die sich vor zehn Tagen beim Training auf der Diavolezza das Kreuzband riss, sagte noch vor ihrem Malheur zu BLICK: «Meine Schwäche im Slalom sind die flachen Passagen. In der Halle fand ich genau dieses Terrain vor. Für mich war es ideal.»
Hallen-Nutzung? «Nur sehr selektiv»
Ein weiterer Vorteil des Hallen-Trainings ist die gewässerte Kunstschnee-Unterlage. «Die Athletinnen finden vereiste Pisten vor und damit Verhältnisse wie auf vielen Weltcup-Strecken», so Tschuor. Er betont, dass das Training in der Halle für Swiss-Ski die grosse Ausnahme sei. Alpin-Direktor Walter Reusser sagt: «Swiss-Ski nutzt Ski-Hallen nur sehr selektiv und konzentriert.»
Längst sind die Indoor-Trainings kein Thema mehr – der Winter ist in den Bergen bereits da. Und Gisin tröstet sich mit einem ökologischen Gedanken: «Wegen Corona flogen wir in diesem Jahr wenigstens nicht nach Südamerika ins Trainingslager.»