Als Lara Gut-Behrami (32) die Ziellinie in Crans-Montana VS überfährt, klatschen die Swiss-Ski-Bosse im Zielraum ab. Präsident Urs Lehmann, Co-CEO Diego Züger und Alpin-Chef Hans Flatscher strahlen. Der Grund ist klar: Die Tessinerin hat es wieder einmal hinbekommen – und dann noch bei einem Heimrennen.
Sie gewinnt zum 44. Mal im Weltcup, braucht aber einige Sekunden mehr als die Zuschauer, um zu jubeln. Der Grund? Die Ziellinie wird vor der Abfahrt nach oben versetzt, weil der Schnee extrem schnell ist. «Eine richtige Massnahme. Denn der Zielsprung war gefährlich und der Zielraum unfahrbar», findet die Siegerin.
Kommentar zu Lara Gut-Behramis grossen Kugel-Chancen
Gut-Behrami wie einst Vonn und Shiffrin?
Aufhalten kann diese Anpassung Gut-Behrami nicht. Wie auch? Komme, was wolle – die Tessinerin meistert seit Wochen alles. Sie hat die letzten vier Rennen, zu denen sie gestartet ist, gewonnen: einen Super-G, zwei Riesenslaloms und nun die Abfahrt am Mont-Lachaux. Damit baut sie nicht nur ihre Führung im Gesamtweltcup auf 105 Punkte aus, sondern hat auch beste Chancen, neben der grossen auch drei kleine Kristallkugeln für die Disziplinen-Weltcups zu gewinnen. Vier Kugeln in einem Winter? Das schafften vor ihr bei den Frauen nur Lindsey Vonn (2010 und 2012) sowie Mikaela Shiffrin (2019). Gut-Behrami, die Kugel-Jägerin!
So wie schon 2016 im Duell mit Vonn profitiert Gut-Behrami auch diesmal davon, dass mit Shiffrin schon wieder eine Amerikanerin angeschlagen fehlt. Und Shiffrin an diesem Freitag erklärt, dass sie wohl erst im März in den Weltcup zurückkehren wird, hat Gut-Behrami fast schon freie Fahrt. «Es würde mich sicher freuen, den Gesamtweltcup zu gewinnen. Aber es bringt nichts, bereits jetzt darüber zu reden», sagt sie.
Wie hart muss das für ihrer Gegnerinnen sein?
Euphorisiert wirkt Gut-Behrami nach ihrem Triumph im Wallis nicht. Sie ist glücklich über ihren 44. Weltcupsieg, klar. Aber bei der Analyse ihrer Siegesfahrt hadert sie: «Dieser weiche Schnee liegt mir nicht, ich spüre ihn kaum. Auch der Ski ist mir immer wieder weggerutscht. Und meine Linie war auch nicht so, wie ich wollte.»
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Es sind Sätze, die sich in den Ohren ihrer Konkurrentinnen wie Peitschenhiebe anfühlen müssen. Zumal Gut-Behrami stets betont, dass sie nicht alles riskiere. «Das Wichtigste ist, gesund zu bleiben. Ich war zwar heute einige Male am Limit, fühle mich aber sehr sicher auf den Ski.»
Sport ist für sie wichtiger als Show
Aufpassen müsse sie dennoch, sagt Gut-Behrami. «Ich weiss, wie schnell man im Spital landen kann. Und das will ich nicht.» Könnte sie es sich sogar vorstellen, auf Rennen zu verzichten, wenn sie sich nicht bereit fühlt? Das sei die letzte aller Optionen, erklärt sie. «Dann würde es zum Beispiel mehr Sinn machen, nicht an die Startnummernauslosung am Abend zu gehen. Der Sport hat für mich Priorität, nicht die Show.»
Fakt ist: Sollte Gut-Behrami zum zweiten Mal die grosse Kristallkugel gewinnen, wäre sie die älteste Frau in der Geschichte des Weltcups, die dieses Kunststück schafft. In Crans-Montana findet sich kaum jemand, der daran zweifelt.